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  • Foriist

549 Beiträge seit 31.03.2016

Hier einige Details zum Bayer-Vernichtungsmittel ( u.a. Seralini-Studien)

Zusammenfassung zur Debatte ab 2012: https://de.wikipedia.org/wiki/Séralini-Affäre

GEGEN Seralinis Vorgehen sprach u.a. folgender Artikel: https://www.spektrum.de/news/wie-politisch-darf-wissenschaftliches-arbeiten-sein/1223878

DAGEGEN FÜR... (Vorsicht: Klartext - natürlich hinter der Bezahlschranke):
https://www.spektrum.de/magazin/die-technologie-wurde-viel-zu-schnell-von-der-industrie-angewendet/1178954

Ohne Bezahlschranke (Kurz: Fütterungsversuche liefen länger als beim Hersteller):
Frau Hilbeck, ist der schlechte Ruf der Pflanzengentechnologie wirklich gerechtfertigt?
Angelika Hilbeck: Ja, das hat sie sich selbst zuzuschreiben. Die Technologie wurde viel zu schnell von der Industrie angewendet, noch bevor wir begriffen haben, wie die Genetik und Gentechnik überhaupt wirklich funktionieren. Die Anwendungen bauen auf Annahmen auf, die sich längst als falsch herausstellten. Und die erforderlichen Korrekturen finden nicht statt. In jeder anderen Technologiebranche wäre das so nicht möglich: Stellen Sie sich vor, ein Flugzeugbauer würde sich weigern, neueste Erkenntnisse aus der Materialforschung anzuwenden.

Warum geschieht das dann in der Gentechnologie?
Hilbeck: In der Industrie herrschte die Einstellung vor, die Besorgnis unter den Verbrauchern würde schon vorbeigehen, sobald die gentechnisch veränderten Produkte einmal auf dem Markt wären und man sehen würde, dass nichts Nachweisbares passiert.
Doch das Gegenteil ist der Fall: Inzwischen sind 20 Jahre vergangen, und die Debatte ist nicht weniger kontrovers geworden.

Welches sind denn die veralteten Annahmen der Gentechnik?
Hilbeck: Sie baut noch auf dem alten, zentralen Dogma auf: Ein Gen kodiert für ein Protein und verhält sich in jedem Organismus exakt so wie im Ausgangsorganismus. Inzwischen wissen wir, dass das nicht so einfach funktioniert. Unter anderem spielen beispielsweise epigenetische Faktoren eine bisher stark unterschätzte Rolle. Gene aus einem Spenderorganismus können, müssen aber nicht dasselbe im Empfängerorganismus tun. Sie können zusätzlich zum Zieleffekt auch noch jede Menge unerwünschter Auswirkungen haben, die aber im Vergleich zum Zieleffekt nur rudimentär oder gar nicht untersucht werden.

Welche gentechnisch veränderten Pflanzen haben es bisher auf den Markt geschafft?
Hilbeck: Zwei Eigenschaften dominieren den Markt bei Weitem. Im einen Fall handelt es sich um Pflanzen, die gegenüber Totalherbiziden, vor allem dem Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat, resistent sind, im anderen um solche, die ein so genanntes Bt-Toxin produzieren und daher gegenüber bestimmten Schädlingen unempfindlicher sind, etwa Mais.

Was ist aus den anderen Zielen der Gentechnik geworden? Eine Vision war doch, mit ihrer Hilfe Nahrungsmittel aufzuwerten, etwa der mit Provitamin A angereicherte »goldene Reis«. Diese Idee an sich klingt ja nicht schlecht.
Hilbeck: Richtig. Nur ist die Frage, ob man das alles auch wirklich zu Ende gedacht hat. Und ob das Geld bestmöglich investiert ist, um das Ziel zu erreichen, also unter- und fehlernährte Kinder in den Entwicklungsländern vor Blindheit und Tod in Folge von Vitamin-A-Mangel zu bewahren.
Der derzeitige Lösungsansatz wird der Komplexität des Themas aber in keiner Weise gerecht.
Die Herstellung einer transgenen Vitamin-A-Reispflanze ist dabei noch der einfache Teil der Aufgabe. Da sind Millionen geflossen, bevor man ernsthaft geprüft hat, ob das Projekt überhaupt umsetzbar ist. Und bis heute ist der goldene Reis ja nicht marktreif.

Fehlte es hier also an den notwendigen sachlich-neutralen Analysen?
Hilbeck: Eine sachliche Analyse der Gentechnologie und ihrer Produkte ist kaum mehr möglich, da sich die beiden unterschiedlichen Sichtweisen bereits im Grundsätzlichsten nicht einig sind. Es geht schon damit los, dass Forscher, die der Anwendung nahestehen, die Gentechnik – also den Prozess, DNA-Sequenzen in einen Empfängerorganismus zu integrieren – mit konventioneller Pflanzenzüchtung gleichsetzen.
Ich halte das für falsch, weil man mit der bisherigen transgenen Gentechnik etwas substanziell Neues macht.
Man stattet einen Organismus mit Eigenschaften aus, für die er vorher kein Allel hatte, die es also in dieser Spezies überhaupt nicht gab.
Erst jetzt fangen einige Forscher allmählich damit an, so genannte Cisgentechnik zu betreiben, die sich auf das Einpflanzen arteigener Gene beschränkt.
Das hätte man gleich so machen müssen, aber dieser Weg hätte der Industrie zu lange gedauert. Die wollte möglichst schnell viel Geld verdienen.

Sie selbst forschen über die Risiken, die mit der Anwendung von Bt-Pestiziden verbunden sind und die von gentechnisch veränderten Pflanzen ausgehen könnten, die diese Stoffe dank eines eingeschleusten Bakteriengens selbst produzieren. Können Sie uns darüber mehr erzählen?
Hilbeck: Ich erforsche die Nebenwirkungen, die Insektengifte auf Nützlinge haben. Mit Bt-Toxinen habe ich mich bereits im Rahmen meiner Doktorarbeit beschäftigt.
Sie gehören zu den wenigen Pestiziden, die bis heute im Biolandbau zugelassen sind. Man ging davon aus, sie wären sicher, da wir sie hinreichend aus dieser Anwendung kannten. Dem traute ich
nicht, mich haben die unterschiedlichen Expositionen interessiert: Wie liegt das Protein im Spritzmittel vor und wie in der Pflanze, die es produziert? Wenn wir allein auf Grund der Erfahrungen mit versprühten Bt-Pestiziden Aussagen zur Toxizität treffen, gelten die dann auch noch für gentechnisch veränderte Pflanzen?
Oder tritt das Gift in anderer biochemischer Form auf, so dass die Pflanze am Ende möglicherweise gefährlicher für Nützlinge ist als das Spritzmittel?

Und was stellten Sie fest?
Hilbeck: Es gibt da jede Menge Unterschiede. Das fängt schon damit an, dass das Gift im Spritzmittel in inaktiver Form vorliegt, als Protoxin oder Kristall, in der Pflanze aber als aktives Toxin. Darüber hinaus findet man es in allen Pflanzenteilen, und zwar von der Keimung bis zur Ernte, also viel länger als die entsprechenden Bt-Pestizide. Ich habe da rum Versuche gemacht, in denen ich Nützlinge dem Gift chronisch ausgesetzt habe. Langfristig, also über eine gesamte Generation, zeigten sich durchaus schädliche Auswirkungen auf Marienkäfer und Florfliegen.

Wie sieht es mit der anderen Klasse kommerziell eingesetzter transgener Pflanzen aus, den herbizidresistenten?
Hilbeck: Das Herbizid Glyphosat wird wahrscheinlich bald unbrauchbar sein, weil viele Unkräuter bereits Resistenzen entwickeln.
Dass es dazu kommt, war abzusehen, weil man einen sehr starken Selektionsdruck auf ein Merkmal ausübt – den Zusammenhang lernt man schon in Grundlagenvorlesungen der Biologie.
Da das Gift von der genveränderten Pflanze aufgenommen und in die Ernteprodukte verlagert wird, steigen auch die Rückstandsbelastungen in den Futter- und Nahrungsmitteln.
Eine im September 2012 veröffentlichte Fütterungsstudie mit Genmais hat auf Risiken der Anwendung von Glyphosat aufmerksam gemacht (Séralini, G. E. et al.; siehe
www.enveurope.com/content/24/1/10 Veröffentlichung von A. Hilbeck - 2012. Vergleich von Methoden einer Studie, die zum Anbauverbot von Bt-Mais in Deutschland führte, der Marienkäfern schaden könne, mit denen einer Studie, die den Effekt nicht feststellen).
Hilbeck: Die Studie zeigt – wie viele andere seit zehn Jahren übrigens auch –, dass Glyphosat selbst in geringen Dosen, chronisch über längere Zeiträume angewendet, toxisch ist.

Die Studie ist aber stark in die Kritik gekommen. Zum Beispiel wurde ihr der methodische Fehler vorgeworfen, die Versuchsgruppen seien zu klein gewesen.
Hilbeck: Jeder ist in die Kritik gekommen, der Ergebnisse geliefert hat, die den interessierten Industrieunternehmen nicht genehm waren. Die methodischen Fehler, die Herrn Séralini vorgeworfen werden, sind aber der ganz normale Standard in den wenigen Fütterungsstudien, die die Hersteller dieser Pflanzen vorlegen.
Die Versuchsgruppen waren bei spielsweise in den Experimenten des Konzerns auch nicht größer. Und sie verwenden den gleichen Rattenstamm.
Sie meinen also, die Studie von Herrn Séralini ist methodisch so solide, dass man das Ergebnis ernst nehmen muss?

Hilbeck: Die Studie ist methodisch so solide wie jede andere Studie, welche die Entwickler bisher vorgelegt haben und auf die eine Zulassung gegeben wurde.
Und das ist der Grund, warum man nun mit großem Kaliber auf Prof. Séralini schießt und versucht, ihn zu diskreditieren. Denn wenn seine Studie akzeptiert wird, steht die herbizidtolerante Technologie mit Glyphosat auf dem Spiel, genau genommen die Zulassung des Herbizids für diese Anwendung.

Das heißt, Séralini hat letztendlich die Bedingungen des Herstellerkonzerns übernommen und ist zu einem anderen Ergebnis gekommen.
Hilbeck: Richtig, weil er den zeitlichen Rahmen der Studie verlängert hat. Monsanto hat einfach rechtzeitig aufgehört, bevor etwas zu sehen war. Und weil es eben keine verbindlichen Regeln gibt, wie gentechnisch veränderte Nahrungsmittel zu testen sind, hat das Unternehmen sein Fütterungsstudienprotokoll nach Belieben gewählt.
Die ersten Studien dauerten nur wenige Wochen. Als es daraufhin hieß, das sei angesichts der Lebensdauer von Mensch und Tier viel zu kurz, wurde für den europäischen Zulassungsprozess eine Studie mit Ratten durchgeführt, die 90 Tage dauerte. Das haben die Behörden dann auch schon akzeptiert.

Warum? Europäische Behörden sind nicht für ihre Nachsicht bekannt.
Hilbeck: Auf diesem Gebiet waren sie schon immer sehr nachsichtig, dafür stehen sie seit Jahr und Tag in der Kritik. Es gibt derzeit eine sehr lebhafte Diskussion über die Unabhängigkeit insbesondere der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit ESFA. Das hat dazu geführt, dass das EU-Parlament 2012 entschied, ihr die Entlastung für den Haushalt 2010 zu verweigern. Spezifisch wegen ihrer Interessenkonflikte mit der Industrie.
Deshalb steht die EFSA nun unter Druck, neue Regelungen zu entwickeln – 16 Jahre, nachdem diese Gentech-Pflanzen auf den Markt kamen!

Was aber ist mit Risikobewertungsverfahren? Regularien, die dafür sorgen sollen, dass genveränderte Organismen auf ihre Sicherheit geprüft werden, bevor sie auf den Markt kommen?
Hilbeck: Sie sind sehr reduktionistisch. Firmen haben zum Beispiel die Resistenzentwicklung bei herbizidresistenten Pflanzen aus den Verfahren ausgeklammert – und deshalb nicht als Risiko verbucht. Sie testen Risiken experimentell sehr minimalistisch: Nur das neuartige Protein, für das das eingepflanzte Transgen kodiert, wird in kurzfristigen Anfangstoxizitätsstudien analog zu Chemikalien getestet – also isoliert vom Pflanzenkontext.
Wenn dabei keine Gefahren entdeckt werden, wird die gesamte Pflanze für sicher erklärt.
Auch die Rückstandsbelastung der Futter- und Nahrungsmittel findet keine Beachtung – mit der Begründung, das hätte nichts mit der gentechnisch veränderten Pflanze zu tun, sondern wäre ein reines Pestizidproblem. Aber schon im ersten Jahr der Anbauperiode überschritten gentechnisch veränderte Sojabohnen und Mais die bis dahin geltenden Grenzwerte beispielsweise für Glyphosatrückstände.

Wie wurde reagiert?
Hilbeck: Als klar wurde, dass diese Produkte eigentlich so nicht marktfähig sind und entsorgt werden müssten, wurden schlicht die Grenzwerte angehoben.
Glyphosat war nie für den Zweck getestet worden, für den es am Ende eingesetzt wurde – nämlich für eine Anwendung auf Nutzpflanzen während des Wachstums, deren Ernteprodukte dann in die Nahrungs- und Futtermittelkette kommen. Langzeitstudien werden für das Zulassungsverfahren im Zusammenhang mit Gentech-Pflanzen aber wie gesagt nicht für notwendig erachtet, weil man die Mittel ja schon im Pestizidzulassungsverfahren vor vielen Jahren getestet hatte.

Ist es schwierig, Geld für hinterfragende Studien zu bekommen?
Hilbeck: Allerdings.

Aber eine unabhängige Institution wie eine Universität müsste doch darin eigentlich ein Profilierungspotenzial sehen, könnte Schlagzeilen machen...
Hilbeck: (lacht) … genau das befürchten die Geldgeber.

Sind da mittlerweile die Verflechtungen zu stark?
Hilbeck: Selbstverständlich, das ist in den meisten anwendungsorientierten Bereichen so, hinter denen eine mächtige, profitträchtige Industrie steht.
Von dort fließen die Gelder – wie wollen Sie da noch unabhängig forschen? In den Universitäten wurde vielfach eine Kultur geschaffen, in der man gar nicht mehr auf die Idee kommt, bestimmte Fragen zu stellen, weil ja gemeinsam mit der Industrie an der Entwicklung von Technologien und Produkten gearbeitet wird.
Diese Forscher können keine unabhängige Beobachterposition einnehmen, um einen kritischen Blick auf die eigene Sache zu werfen.
Eine kritische Aussicht oder hinterfragende Forschungsergebnisse werden dann in der Regel von den entsprechenden Forschungsgruppen durch Diskreditierungskampagnen unglaubwürdig gemacht, so dass es für konventionelle Mainstream-Fördereinrichtungen wie die Europäische Wissenschaftsstiftung oder die DFG schwierig ist, in diese Art Forschung noch Geld zu investieren.
In den allermeisten Fällen wurde nach Veröffentlichung von kritischen Studien nicht mehr unabhängig vom Entwickler weiter in diese Richtung geforscht.
Sicherheitsforschung ist nur mit dem Segen, der Erlaubnis beziehungsweise dem Geld der Entwickler möglich – und zwar dann mit dem Ziel, die kritischen Forschungen zu widerlegen.

Mit Verlaub – klingt das nicht nach Verschwörungstheorie?
Hilbeck: Das sind keine Theorien, sondern belegbare Tatsachen, denen man in die Augen sehen muss. Man weigert sich einfach noch zu akzeptieren, dass auch bei uns eine Kultur der Industrieverflechtung herrscht und dass industrienahe Forschung auch Nachteile mit sich bringt. Denn damit steht ja das Selbstverständnis vieler Forschungsinstitutionen und -programme auf dem Spiel. Während jeder weiß, dass die amerikanische, technisch-wissenschaftliche Forschung stark von der Industrie gelenkt wird, sehen alle darüber hinweg, dass hier nun genau die Anfänge vorliegen, welche die amerikanische Forschung vor 20 Jahren dorthin geführt haben, wo sie jetzt steht. Und das ist je länger, je weniger zum Vorteil der Gesellschaft und schon gar nicht der Umwelt.

Können Sie gentechnisch veränderten Pflanzen denn auch irgendetwas Gutes abgewinnen?
Hilbeck: Im Moment nicht. Aber es spielen ja auch nur zwei Varianten wirklich eine Rolle.

Grundsätzlich abgeneigt sind Sie der Gentechnik aber nicht?
Hilbeck: Die Technik ist mir egal, ich habe kein quasireligiöses oder sonst irgendwie bekennendes Verhältnis zu irgendeiner Technologie. Mir geht es darum, dass wir Probleme lösen, mit maximiertem Nutzen für alle bei minimiertem Risiko. Meine Einwände betreffen die naturwissenschaftliche und agrarökologische Ebene.
Man sollte dem Verbraucher die ganze Wahrheit erzählen und dann gemeinsam klären: Welchen Sicherheitsgrad wollen wir, und wie wollen wir die Risikoverteilung in der Gesellschaft gestalten? Zurzeit werden Risiken gerne auf die Gemeinschaft, hier den Konsumenten, ausgelagert und die Profite zentralisiert. Das ist immer weniger gesellschaftlich akzeptabel.
Solange diese Geisteshaltung in den Unternehmen vorherrscht und häufig von der Politik unterstützt wird, wird diese Debatte uns begleiten.

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