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  • Lucqx

mehr als 1000 Beiträge seit 24.05.2019

Mündigkeit = Individualismus/Anarchismus?

Delegation eigener Verantwortung ist auch eine Folge gesellschaftlicher Arbeitsteilung. An der Spitze einer zivilisatorischen Hierarchiepyramide stehen seit Beginn der ältesten bekannten Zivilisationen die obersten Verantwortungsträger. Deren Amt konnte ihnen bei Misserfolg durchaus auch einen vorzeitigen Tod bescheren. Mit Wachsen des von diesen Bauerngesellschaften produzierten Reichtums nahm auch die Ungleichverteilung desselben zu, was zu größerer Machtfülle an der Pyramidenspitze führte und außerdem, auch auf Grund schnell wachsender Bevölkerungen, mehrere zusätzliche Hierarchieebenen erforderlich machte. Genau deshalb stellt Marx die Zivilisation, quasi als notwendiges Übel und Voraussetzung der Höherentwicklung, auch der vorausgehenden Urgesellschaft und der nachfolgenden kommunistischen Gesellschaftsformation gegenüber, wobei vor und nach der Zivilisation noch Übergangsphasen vorhanden waren bzw anzunehmen sind, die stammes- bzw volksdemokratisch organisiert waren bzw zu organisieren sind. Diese letztere Übergangsphase wird nach Kräften durch eine nur scheinbare Demokratie, die eigentlich schon eine Timokratie mit Volksmanipulation ist und leicht zu einer offenen Oligarchie entarten kann (bisher schlimmste Tarnform: Faschismus) be- und verhindert, obwohl die Entwicklung der Produktivkräfte, gerade auch von ihrer kommunikationstechnischen Seite her, eine Änderung der Produktionsverhältnisse und damit der Machtausübung möglich und unter dem Überlebensaspekt der Menschheit sogar dringend erforderlich macht. Dem entspricht auch die alte ökonomische Binsenweisheit, dass eine Strukturveränderung zuerst an der Spitze der Pyramide erfolgen muss, denn die hat die größten Auswirkungen. Dann erst kann man fallweise auch an den unteren Ebenen noch Einzelheiten verbessern. Das zu erkennen, wäre eine 1.Stufe der Mündigkeit, die Durchsetzung von adäquaten Veränderungen die 2.
Eine Waffe der Manipulation und Verhinderung dieser 1.Stufe ist die Individualisierung der Gesellschaft. Jedes Individuum steht in Konkurrenz zu anderen Individuen in seinem privaten, beruflichen und politischen Umfeld. Folglich kann jeder für sich und ggf auch seine Familie entscheiden, was er tun will, um bspw seinen Beitrag gegen eine anthropogene Klimaveränderung oder für den Umweltschutz zu leisten, solange es nichts an der Pyramidenstruktur verändert. Dazu müsste die Mehrheit der Basis das Gleiche tun und gleichzeitig den Überbau zwingen, dem nachzufolgen. Durch die Individualisierung im Namen einer angeblichen Freiheit wird dem wirksam vorgebeugt. Folglich erleben wir im Klimafall auch wieder nur eine Politik kleinster Zugeständnisse mit Alibifunktion, um zu verdecken, dass man nicht gewillt ist, Maßnahmen zu treffen, die überkommene spätkapitalistische Macht- und Eigentumsverhältnisse gefährden könnten. Die Gruppe Neureicher der USA, deren Machtstreben Trump vertritt, meint auf diese überstrapazierte, profitschmälernde Maskerade verzichten zu können und leugnet folglich alles, was nur irgendwie in diese Richtung zielen könnte, weshalb selbst der Begriff Climate Change gebannt wurde.
Deshalb sind die Entscheidungen eines Einzelnen im Grunde irrelevant, wenn er das einer Mehrheit, einer Bewegung (wie Greta) nicht vermitteln kann oder gar will. Damit beruhigt er nur sein eigenes Gewissen (bzw kann sich allen moralisch überlegen fühlen) und schreibt den "Rest" der Menschheit ab. Das sieht wie die Umkehrung des Umweltsünderproblems aus, das Mai Thi Nguyen-Kim bei einer Veranstaltung demonstriert hatte (Video auf YouTube).
Ein Zusammenschluss von Individualisten ist schwer vorstellbar, dafür gibt's auch im Tierreich kein Bsp (nur temporäre). Das mag auch ein Grund sein, warum der Anarchismus in seinen Spielarten keinen Erfolg hatte. Der linke Rand des Spektrums ist noch unversöhnlicher zerstritten als der rechte und Bündnispolitik wird ja heutzutage als Querfront den Rechten zugeordnet. Wenn diese aber erst mit ihrer Kernphalanx zur Macht vorgestoßen sind, werden alle nun überflüssigen Fransen entweder konsequent abgeschnitten oder integriert. An der Hierarchiepyramide erfolgen höchstens personelle Umschichtungen, die Struktur bleibt iW erhalten.
Erfolgreiche an-archische Strukturen unter Garantierung von Individualität kann eine Gesellschaft erst dann ausbilden, wenn alle über gleiche Grundlagen und Voraussetzungen verfügen und der gesellschaftliche Diskurs zu Fragen und Entscheidungen von allgemeinem Interesse, allgemeiner Auswirkung erfolgreich von Gleichen unter Gleichen (mit dem jeweils erforderlichen Tempo) geführt werden können (3.Mündigkeitsstufe). Erst dann kann der Staat als politisches Machtinstrument durch (durch die Vollversammlung) kontrollierte Institutionen ersetzt werden. (Berufs-)Politiker im heutigen Sinne sollte es dann schon lange nicht mehr geben.
Eine Grundlüge heutiger Zeit ist ja die von der liberalen Demokratie. Hier wird Libertät, also Freiheit des Individuums, mit Demokratie, also Volksherrschaft, verbunden. Beide Begriffe schließen sich per sé aus. Ihre Verbindung führt zu Ungleichgewichten und Spannungen, die mühsam ausbalanziert werden müssen. Dabei hat mal die eine, mal die andere mehr Gewicht. Ggw scheint aber alles darauf hinzudeuten, dass alle wirklich Mächtigen die volle Freiheit ebenso wie den eigentlichen (Kern-)Demos (und damit die "Kratie") bei sich selbst verorten und die große Masse des (Gesamt-)Demos als nützliche (Diener), temporär benötigte (Sklaven) und unnütze (Abfall) Individuen sehen. Solche Denkungsart führt bei ihren parasitären Abkömmlingen mitunter gar zu asozialem Verhalten wie vor einiger Zeit der Autobahnvorfall mit Sohn und Enkel des kürzlich verstorbenen Ferdinand Piëch.

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