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  • Mathematiker

mehr als 1000 Beiträge seit 22.02.2014

Nach Berliner Art wird es wohl nicht gehen

Diesmal befragte man also nicht 0,3 Prozent der Bevölkerung, die eingetragenen Mitglieder der konservativen Partei, sondern begnügte sich mit dem Zweihunderttausendstel der Bevölkerung, um den neuen Premier zu finden.

Eine sehr skurrile Sicht der Dinge. Im Gegensatz zu unserer Listenwahlrepublik, in der die direkt gewählten Abgeordneten nur eine Statistenrolle spielen, sind die Abgeordneten alle direkt gewählt und keine reinen Erfüllungsgehilfen eines Boris Johnson.
Was die Wahl des Premierministers betrifft, ist die Sache sauber.
Was die Wahl des Parteivorsitzenden betriff, wäre natürlich eine Mitgliederbefragung besser. Da aber beides miteinander verknüpft ist und der Premier hauptsächlich die Rückendeckung der Abgeordneten braucht, wären alternativ nur Neuwahlen sinnvoll.
Und die will niemand.

Als junger Mann musste Rishi Sunak einmal herzhaft lachen, als er gebeten wurde, seinen Freundeskreis zu beschreiben. Der bestünde aus Aristokraten, der Upper-Class und Menschen aus der Arbeiterklasse. Nein, hihi, wie lustig: Selbstverständlich kenne er niemanden aus der Arbeiterklasse. Ein Scherz, bei dem humortechnisch noch viel Luft nach oben ist.

Da nimmt der fröhlich den ganzen Klassenkrampf auf´s Korn.
Sein Vater war nur ein einfacher Arzt und seine Mutter eine Apothekerin.
Ja, ja. Alles schon Upper-Class.
Sein Schwiegervater ist ein Selfmade-Milliardär, der damals in Indien mit einer Handvoll Rupien seine Firma startete.

Rishi Sunak ist pragmatisch. Er ist der jüngste Premier seit 200 Jahren und er ist der erste Nicht-Weiße in diesem Amt, zudem gläubiger Hindu. Das ist fraglos ein großer Erfolg und ein wichtiges Signal an Menschen aus den ehemaligen britischen Kolonien.

Dabei bekomme ich immer Pickel.
Der Rishi Sunak ist im konservativen Südengland aufgewachsen und hat mit fast einer 2/3 Mehrheit zum 3.ten Mal seinen stockkonservativen Wahlkreis gewonnen. In der Gegend sind 96% der Bevölkerung weiß.
Niemanden hat es interessiert, was er in der Hose hat oder welche Farbe seine Haut hatte.
Das ist nur für andere Leute unheimlich wichtig. Leute, die so etwas über Kompetenz und Fähigkeiten der Politiker stellen.

Es ist viel zu tun. Rishi Sunak sieht das Land vor "großen ökonomischen Herausforderungen." Er wird keine Steuern senken, keine Neuverschuldung dulden und all das, was als fiskalisch verantwortungsvoll gilt. Probleme lassen sich damit nicht unbedingt lösen.

Aber damit türmt man auch wenigstens keinen Riesenhaufen ungedeckter Checks auf, wie das bei uns mittlerweile üblich geworden ist.

Dies sieht Sunak grundsätzlich genau so. Er war immer Befürworter des Brexit und er träumt von einer Achse Silicon-Valley-London-Mumbai. Nur ist er Realist genug zu erkennen, dass es die im Moment kaum geben wird.

Wer kann es ihm verdenken? Was für Deutschland Osteuropa (und früher auch Russland), für Frankreich Nord-Afrika, ist für die Briten ihr Indien. Was bei uns schon unter Offshoring, ist für die Briten Nearshoring.

Den Anwalt der kleinen Leute wird er nicht spielen können.

Der gute Rishi dürfte einfach eine andere Einstellung haben, was leistungslosen Wohlstand und Umverteilung betrifft. Und da tut sich ein riesiges Gefälle zwischen GB und Indien auf.

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