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  • Anarc

mehr als 1000 Beiträge seit 17.08.2005

Progressiver Ansatz?

Erstaunlich, wie sich die Thesen gleichen. Ob Salafisten, Katholiken
in Europa und Protestanten in den USA, ob Nazis oder Stalinisten -
bis hin zu dem unüberschaubaren Meer aus Freikirchen und bestimmten
Hardcore-Zirkeln aus esoterischen Zusammenhängen: es predigen alle
mehr oder weniger den selben Stuß. 

Noch viel erstaunlicher ist, mit welcher Energie sich die ganzen
Knallköppe gegenseitig bis auf's Messer bekämpfen können.
Beispielsweise sehe ich bereits jetzt die Kommentare der Nazis,
Kommunisten und FDP-Anhänger in diesem Forum vor mir: so konsequent,
wie sie uns andauernd mit ihrer brutalen und antisozialen Weltsicht
aufstoßen, so verbissen werden sie jetzt den Salafisten eine brutale
und antisoziale Weltsicht vorwerfen und versuchen, daraus eine
Rechtfertigung für ihre brutale und antisoziale Weltsicht abzuleiten.

Paradoxer geht es fast gar nicht. Man stelle sich vor, die Trinker
von Coca-Cola und Pepsi würden sich radikalisieren und gegenseitig
hinmeucheln. Und wenn man dann als Fruchsaft-Fan hingeht und versucht
auf die Fanatiker einzuwirken, dann wird einem bloß vorgeworfen, der
jeweils anderen Zuckerbrause Vorschub leisten zu wollen. Auf einen
derart kommunikationsgestörten Komplex kann man nicht mehr inhaltlich
einwirken. Auch Hausdurchsuchungen, Verbote und Kampf bringen nichts,
denn sie fachen die Glut sogar noch an, weil sie sich nahtlos in eine
Verschwörungs-Rhetorik einbauen lassen.

In einem gewissen Rahmen gibt es in jeder Gesellschaft diese
vernagelten Kampfhähne. Einer starken Wertegemeinschaft macht sowas
nichts aus. Im Gegenteil gilt sogar das Fürsorgeprinzip, denn diese
Leute sind krank. Durch genetische Umstände oder widrige
Lebensentwicklungen auf einem völlig falschen Kanal gelandet. Doch
diese Gewichtung läuft aus dem Ruder, die Hardcores aller Farben
haben immensen Zulauf. Momentan befinden wir uns in einem Stadium, in
der die Stimme der Vernunft nicht mehr mit einem naturgegebenen
Bariton durch den Raum schallt, sondern sich sogar laut krakeelend
selbst rechtfertigen muß. Woran liegt das?

Nun, da gibt es natürlich einen Haufen Gründe. Um einen sehr
gewichtigen Grund zu nennen: mit dem Ost-West-Konflikt ist einer der
dominanten Spielplätze der Berufsbellizisten geschlossen worden.
Dieser institutionalisierte Kampf, an den wir uns in Jahrzehnten
schon derart gewöhnt hatten, das wir ihn fast kaum noch wahr genommen
haben, verlagert sich nun selbstverständlich mit begleitenden
Irritationen. Betrachtet man sich vergangene Scharmützel wie
Vietnamkrieg, RAF und Konsorten, so kann man nicht sagen, das sich
auf dieser Welt großartig etwas geändert hätte, mit Ausnahme diverser
Symbolismen.

Doch zur Beruhigung gibt es keinen Anlaß, denn da gibt es noch einen
weiteren gewichtigen Grund. Mit Fug und Recht haben sich im letzten
Jahrhundert aufklärerische Ideale über die Welt verbreitet und zwar
sowohl über die sozialistische, als auch über die republikanische
Schiene. Hinter dem schönen Schein der blumigen Parolen beider
Varianten verbarg sich jedoch lediglich ein Machtapparat. Der Zerfall
solcher Komplexe bringt einen Wertezerfall mit sich, neben einem
Machtvakuum ein gefährliches anderes Vakuum und die primären
Konfliktherde momentan wachsen nicht wenig aus dieser Leere heraus.

Der offene Widerspruch zwischen sozialistischen Inhalten und der
dahinter stehenden Funktionärsdiktatur führte zum Fall des einen
Großreiches entweder durch komplette Eleminierung wie in Rußland oder
einer Modifikation bis zur Unkenntlichkeit wie in China. Es seien im
Zuge des bisherigen Gedankenfadens jetzt mal nur die
geistig-moralischen Aspekte genannt, eine Verknüpfung mit volks- und
betriebswirtschaftlichen Gründen sowie deren Überleitung in die neue
Lage wäre zwar möglich, würden hier allerdings den Rahmen sprengen.

Nun gerät auch der andere Gigant ins Wanken. Wir haben gemerkt, das
sich hinter den Floskeln von Demokratie und Freiheit der reine
Kapitalismus verbirgt und das ist mitnichten die Existenz einer
Geldwirtschaft allein oder das pragmatische Führen von
Betriebsbüchern. Es ist eine Ideologie, die besagt das die
Regulierungsmechanismen des Geldes über die Moral des Menschen
gestellt werden sollen. Wie die realsozialistische
Funktionärsdiktatur dient diese Ideologie nur dem Wohl einer Elite
und nicht den Menschen an sich. Sobald die Massen nicht mehr durch
kleine Gaben korrumpiert werden können, wird der Kapitalismus
zerfallen und verschwinden wie es viele solche Machtkomplexe zuvor
schon gemacht haben. 

Was uns im Moment beunruhigt, ist nicht die Dimension des
gegenseitigen Schlachtens, sondern ein Gespür dafür, wie sich langsam
aber sicher ein Sog ausbreitet, der die Kraft hat alles und jeden in
eine Fleischmühle hineinzuziehen. Ein Blutstrom wie beide Weltkriege
zusammen im Quadrat ist nicht undenkbar.

Die meisten Menschen übersehen leider eines: unsere Ideale heißen
nicht Kapitalismus, Scharia oder ZK. Sie heißen fast überall
"Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" - selbst da, wo sie von den
selbsternannten Weltenlenkern für die Eigenwerbung lediglich
mißbraucht werden. Diese Ideale über jede Macht und jedes Gesetz zu
stellen, sollte unser Hauptanliegen sein. Und wir brauchen auch keine
Institutionen, die derart schlichte menschliche Empfindungen
sortieren und in bestimmte Kanäle leiten müssen. Deswegen
widerspreche ich auch jedem, der jetzt bringt das sei ja ureigenstes
christliches/muslimisches/republikanisches Gedankengut. Es ist
anarchistisch, es war schon immer anarchistisch und wird es immer
bleiben.

Wenn in den 10 Geboten steht: "du sollst keinen Herrn haben neben
mir" - dann ist genau das damit gemeint. Aber was ist daraus geworden
im Zuge einer monotheistischen Religion? Was ist aus dem Islam
geworden, der in unserem finsteren Mittelalter im arabischen Raum
eine Renaissance gabar, hinter der sich die abgekupferte europäische
Version verstecken muß? Und die westlichen Demokratien haben auf
dieser Welt Leichenberge hinterlassen, gegen die jene eines Adolf
Hitler wie ein Lausbubenstreich erscheinen. 

Anarchismus bedeutet im ersten Ansatz, solchen Instituionen zumindest
absolut skeptisch gegenüber zu stehen - und zwar allen. Diesen
Gedanken sollten wir weltweit umsetzen, das wäre der passende nächste
Schritt nach der Aufklärung. Es darf keinen Gott, keinen Staat und
keine Führer mehr geben, die uns den Haß auf andere Ethnien,
Außenseiter, Frauen oder sonstwas einreden. Ob sie jetzt knallhart
und offen wie ein Osama Bin Laden daher kommen, oder subtil und
hinterfotzig wie ein Gauck.


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