Wenn ich die Ereignisabfolge in den letzten Monaten vergleiche mit dem Tempo, mit der gute Vorsätze über Bord geworfen werden, dann wird mir schwindlig und schlecht. Am allermeisten missfällt mir, wie alles auf den Überfall Russlands auf die Ukraine reduziert wird und davon abweichende Fragestellungen verdrängt oder sogar regelrecht unter Denkverbot gestellt werden.
Die Ukraine hat sich einem ultranationalistischen Kurs hingegeben, alle nicht-ukrainischen Sprachen (Russisch, Polnisch, Ungarisch) verboten, die Opposition ausgeschaltet, Bevölkerungsteile im Osten unterdrückt. Dann stellt sich der Präsident dieses Landes in einer Videoschalte mit dem Bundestag hin und behauptet, er kämpfe für unsere Werte, und alle klatschen Beifall.
Dem Russen, den werden wir in den Bankrott treiben, indem wir sein Gas und sein Öl nicht mehr kaufen. Ja, Embargos funktionieren, wenn alle mitmachen. Aber das ist nicht der Fall. Die finden andere Abnehmer. Und sie können ihre Rohstoffe jetzt teurer verkaufen, weil wir ja mit dem Embargo die Preisbildung für die Verkäuferseite optimieren. Damit wir uns aber mit unserem Embargo nicht in den Fuß schießen, müssen jetzt ganz schnell und an Regeln vorbei LNG-Terminals gebaut werden. Bloß nicht nachdenken, ob in der Kausalkette ein Denkfehler ist.
Es darf dann ruhig das Fracking-Gas sein, das wird mit viel Chemie aus dem amerikanischen Boden gepresst, dann mit sehr schlechtem Wirkungsgrad (10-25% des Energiegehalts des Erdgases) verflüssigt, über den Atlantik zu uns geschippert, wieder von -160 Grad auf Raumtemperatur erhitzt und in unsere Infrastruktur gedrückt.
Dass hier eine Abhängigkeit gegen eine andere getauscht wird: Egal!
Was ist außerdem mit der Gaspreisbindung an den Ölpreis? Sieht da niemand die kommende Katastrophe für die nächste Heizperiode aufziehen? Das von der EU ausgesprochene Ölembargo greift ab Oktober/November, d.h. durch die Reduzierung der Angebotsseite wird dies massive Preissteigerungen verursachen, die wegen der Ölpreisbindung auf den Gasmarkt durchschlägt.
Hier werden sich einige am Markt die Taschen füllen, und wir sehen nur noch Schwarz und Weiß und machen jubelnd mit, weil wir ja wissen, wer der Böse ist. Dass dabei wichtige Regeln wie "keine Waffenlieferungen in Kriegsgebiete", effiziente Energienutzung, geregelte Bauvorhaben mit Anhörung der Interessenvertreter, Ökologie als offenbar nutzloser Ballast über Bord geworfen werden, ist ein echter Rückschritt.