Verheugens Vorstellungen leiden unter den gleichen Problemen wie einige andere Beiträge, die von diversen älteren Herren, z.B. auch Kissinger, zum Thema publiziert wurden: Sie wollen mit denselben Mitteln zum Erfolg kommen wie sie sie damals relativ erfolgreich angewendet zu haben meinten*.
Dabei verkennen sie zutiefst die völlig veränderte Ausgangslage, insbesondere auf der Seite von Russland. Schon allein die Tatsache, dass Entspannungspolitik damals mit der Sowjetunion und nicht mit Russland betrieben wurde, sollte ihnen zu denken geben.
Denn gerade der Zerfall der Sowjetunion und das verbundene persönliche Trauma ist ja der wesentliche Antrieb für das Handeln des Kremlkillers. Das ist eine völlig andere Ausgangslage: Die Sowjetunion war unter Breschnew eine konsolidierte Supermacht, die nach Jahrzehnten des Kalten Krieges wusste, dass sie mit militärischer Konfrontation nichts mehr zu gewinnen hatte. Russland dagegen ist ein Überbleibsel der Sowjetunion, ein gedemütigtes Land wie Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg, und seine unsägliche Führung glaubt, durch die Fortführung der militärischen und geheimdienstlichen Konfrontation nichts zu verlieren zu haben.
Deswegen ist es völlig aussichtslos, über Verhandlungen aus der gegenwärtig unentschiedenen Position heraus einen Erfolg in Verheugens Sinn zu erzielen. Erst wenn die Position der Ukraine ausreichend militärisch konsolidiert und die Position Russlands so nachhaltig erschüttert ist, dass eine weitere miltärische Konfrontation Russland ernsthaft beschädigen würde, könnten Verhandlungen zu akzeptablen Ergebnissen führen.
* Dazu passt auch eine strategische Fehleinschätzung, die Henry Kissinger bei seinen Versuchen zur Beendigung des Vietnamkrieges unterlaufen ist, wovon er natürlich heute nichts mehr wissen will.: Er glaubte, sein in Verhandlungen erzieltes Waffenstillstandsabkommen mit Le Duc Tho böte die Chance, die Situation langfristig zu stablisieren und letzten Endes zur friedlichen Koexistenz zwischen Nord- und Südvietnam führen. Wir wissen alle, was dabei herausgekommen ist: Nordvietnam nutzte die Chance zur Erholung und griff danach umso heftiger an. Genau das würde heute in der Ukraine passieren. Die damalige Verleihung des Friedensnobelpreises an Kissinger und Le Duc Tho war im Übrigen genau so ein voreiliger Missgriff des norwegischen Nobel-Komitees wie die an Barack Obama.
Das Ansinnen Verheugens zu einer Wiederherstellung einer langfristigen Kooperation mit Russland ist vollkommen berechtigt aber seine Enschätzung der notwendigen Vorbedingungen dafür ist katastrophal - kurzfristig für die Ukraine und mittel- bis langfristig für ganz Europa.