eye schrieb am 18. März 2009 10:13
> 2b|!2b schrieb am 17. März 2009 14:30
>
> > Wenn Europa eine Shinto vergleichbare religiöse Grundlage hätte, dann
> > wäre das hier vermutlich nicht wesentlich anders ...
>
> Dieser Erklärungsansatz wird hier bei uns relativ häufig kolportiert.
> Ich halte ihn für einen Versuch, die Technikbegeisterung der Japaner
> als irrationales Verhalten abzuqualifizieren.
Nun, Begeisterung ist als offensichtlich emotional-gefärbte
Einstellung natürlich immer irgendwie irrational. Allerdings ist die
"japanische Technikbegeisterung" (die es so eigentlich gar nicht
gibt, meiner Erfahrung nach) nicht irrationaler als die
"mitteleuropäische Technikfeindlichkeit".
> Sie ist Bestandteil der Träumerei von einer zukünftigen,
> hoffentlich besseren Welt - im Diesseits, wohlgemerkt.
... und ist das nicht ein klassisches Shinto-Motiv?
... und ist nicht die Vorstellung, dass das Diesseits sich nicht
verbessern lässt (griechische Antike) und nur das Jenseits wirklich
gut sein kann (Christentum) nicht eine klassisches westliches Motiv?
> Einen Roboter
> zu bauen, der menschlich wirkt, gilt dort als technische
> Meisterleistung und wird mit Anerkennung belohnt. Hier bei uns würde
> man damit eher einen Vergleich mit Frankensteins Experimenten
> riskieren.
Tja, und warum ist das so? Obwohl beide Kulturen ihre
Frankenstein-Geschichten haben - auch Mary Shelley stellt das Monster
als gutmütiges, unschuldiges Geschöpf dar, ähnlich wie künstliche
Menschen in der japanischen Erzähltradition - warum reagieren sie so
grundsätzlich unterschiedlich?
Es ist ja nicht so, dass es keine Geschichten gäbe, in der Ähnlich
wie bei Shelley das künstliche Lebewesen nicht auch zur
Vernichtungsmaschine würde. Nur während diese "Option" bei Europäern
eine Skepsis oder Angst gegenüber künstlichen Geschöpfen ausgelöst
hat, lange bevor es überhaupt Maschinen gab, war und ist das in Japan
in viel geringerem Maße der Fall.
Meine Erklärung dafür und für viele andere Besonderheiten der
europäischen Kultur ist ihre moralische Geschlossenheit und
ästhetische Statik. Shinto hat beides nicht, Shinto ist praktisch
frei von Moral (nach europäischem Maßstab). Das erlaubt es, das eine
(also das Erschaffen künstlichen Lebens) ohne das andere (also die
Abgrenzung von künstlichem Leben) zu denken. Während der Tod,
Bestrafung das zentrale Motiv der europäischen Kultur ist, spielt
dies im Shinto praktisch keine Rolle (mehr).
> 2b|!2b schrieb am 17. März 2009 14:30
>
> > Wenn Europa eine Shinto vergleichbare religiöse Grundlage hätte, dann
> > wäre das hier vermutlich nicht wesentlich anders ...
>
> Dieser Erklärungsansatz wird hier bei uns relativ häufig kolportiert.
> Ich halte ihn für einen Versuch, die Technikbegeisterung der Japaner
> als irrationales Verhalten abzuqualifizieren.
Nun, Begeisterung ist als offensichtlich emotional-gefärbte
Einstellung natürlich immer irgendwie irrational. Allerdings ist die
"japanische Technikbegeisterung" (die es so eigentlich gar nicht
gibt, meiner Erfahrung nach) nicht irrationaler als die
"mitteleuropäische Technikfeindlichkeit".
> Sie ist Bestandteil der Träumerei von einer zukünftigen,
> hoffentlich besseren Welt - im Diesseits, wohlgemerkt.
... und ist das nicht ein klassisches Shinto-Motiv?
... und ist nicht die Vorstellung, dass das Diesseits sich nicht
verbessern lässt (griechische Antike) und nur das Jenseits wirklich
gut sein kann (Christentum) nicht eine klassisches westliches Motiv?
> Einen Roboter
> zu bauen, der menschlich wirkt, gilt dort als technische
> Meisterleistung und wird mit Anerkennung belohnt. Hier bei uns würde
> man damit eher einen Vergleich mit Frankensteins Experimenten
> riskieren.
Tja, und warum ist das so? Obwohl beide Kulturen ihre
Frankenstein-Geschichten haben - auch Mary Shelley stellt das Monster
als gutmütiges, unschuldiges Geschöpf dar, ähnlich wie künstliche
Menschen in der japanischen Erzähltradition - warum reagieren sie so
grundsätzlich unterschiedlich?
Es ist ja nicht so, dass es keine Geschichten gäbe, in der Ähnlich
wie bei Shelley das künstliche Lebewesen nicht auch zur
Vernichtungsmaschine würde. Nur während diese "Option" bei Europäern
eine Skepsis oder Angst gegenüber künstlichen Geschöpfen ausgelöst
hat, lange bevor es überhaupt Maschinen gab, war und ist das in Japan
in viel geringerem Maße der Fall.
Meine Erklärung dafür und für viele andere Besonderheiten der
europäischen Kultur ist ihre moralische Geschlossenheit und
ästhetische Statik. Shinto hat beides nicht, Shinto ist praktisch
frei von Moral (nach europäischem Maßstab). Das erlaubt es, das eine
(also das Erschaffen künstlichen Lebens) ohne das andere (also die
Abgrenzung von künstlichem Leben) zu denken. Während der Tod,
Bestrafung das zentrale Motiv der europäischen Kultur ist, spielt
dies im Shinto praktisch keine Rolle (mehr).