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  • Pippin der Mittelmäßige

107 Beiträge seit 18.08.2023

Kaufkraft-Bereinigung

Das Beispiel des Autors mit dem Sack Reis ist nicht ganz treffend. Die Unterschiede zwischen dem nominalen BIP und dem kaufkraftbereinigten BIP kommt letztlich durch ein Missverhältnis zwischen Löhnen und Produktivität, bzw. was das selbe in Grün ist: Wechselkursverzerrungen zustande.

Das kaufkraftbereinigte BIP ist so definiert, dass bei den USA BIP nominal = BIP PPP gilt. Ist es nun in einem Land so, dass (im Vergleich zu den USA) der Wert der Güter, die dort produziert werden, höher ist als die Einkommen, die sich daraus ergeben, dann kann eine Volkswirtschaft auf eine größere Gütermenge bei geringeren Einkommen zugreifen. D.h. ihre Kaufkraft ist in Wirklichkeit größer, als sich ein US-Amerikaner mit dem selben Geld leisten könnte, da dieser bei allen Gütern die höheren amerikanischen Löhne zahlen müsste.

Der klassische Fall, wie das zustandekommt ist Deutschland: Aufgrund der Lohnzurückhaltung in den 90ern und der Agenda2010 ist die Lohnentwicklung hinter der Produktivitätsentwicklung zurückgeblieben. Normalerweise würde das bedeuten, dass die dann günstigeren deutschen Produkte vermehrt nachgefragt werden und, weil man diese in Landeswährung bezahlt und daher die Landeswährung verstärkt nachgefragt wird, der Preis der deutschen Währung in Dollar steigt. Das würde dazu führen, dass die Preise dieser Güter irgendwann wieder der Produktivität der Beschäftigten entspricht und die in Dollar gemessene Kaufkraft wieder derjenigen der USA entspricht. Da wir keine eigene Währung mehr haben, fehlt diese Korrektur und es kommt zu einer Verzerrung: Handelbare Güter bleiben günstig, Löhne bleiben vergleichsweise niedrig, aber Kaufkraft bei Binnengütern ändert sich nicht. Der Effekt ist, dass das (nominale) durchschnittliche Einkommen in den USA rund 20000 $ höher ist als das deutsche, der Lebensstandard aber niedriger.

In China, Russland und Indien ist dieser Effekt noch ausgeprägter. Die USA werfen den Chinesen mittlerweile seit Jahrzehnten vor, ihre Währung (und damit die chinesischen Löhne) zu manipulieren, so dass die chinesischen Löhne im Vergleich zu den USA niedriger sind als ihre Produktivität.

Allerdings kommt bei alldem auch hinzu, dass die USA sozusagen den Standard verzerren. Dadurch dass viele Sachen in den USA mehr oder weniger vorsätzlich teurer sind (etwa eine Krankenversicherung), sind die nominalen Einkommen der US-Amerikaner eigentlich nicht durch wirkliche Produktivität im Sinne einer Vergrößerung der Gütermenge gedeckt. Wenn ich ein Gut 5€ teurer mache und jedem 5€ mehr gebe, hat sich die tatsächliche Kaufkraft nicht verändert, aber das BIP pro Kopf und die vermeintliche Produktivität sind gestiegen, weil ja in der gleichen Zeit ein 5€ teureres Gut hergestellt wird. Da Krankenversicherungen und ähnliches nicht international handelbar sind, ist das am Ende ein Bilanzierungstrick. Allerdings hat es eben den zusätzlichen Effekt, dass amerikanische Güter auf dem Weltmarkt wegen der höheren Löhne vergleichsweise teuer sind und die USA daher mehr importieren als exportieren, während China oder Deutschland mehr exportieren als importieren. Das führt zu einem dauerhaften Kapitaltransfer aus den USA in Länder wie Deutschland und China. Deutschland ist mittlerweile Weltführer damit, dass durch den Kapitaltransfer ca. 1,5% des jährlichen deutschen BIP nicht mehr in Deutschland erarbeitet werden, sondern Kapitalerträge aus dem Ausland sind. Umgekehrt verlieren die USA mittlerweile ca. 2,5% ihres jährlichen BIP als Kapitalerträge ans Ausland. Da das amerikanische Wachstum meistens unterhalb dieser Schwelle liegt, geht das bei den USA schon an die Substanz.

Bei Russland ist es im Speziellen das Abschmieren des Rubel. Je billiger eine Währung im Vergleich zu anderen wird, desto günstiger werden die Güter, die man damit kauft. Da Russland bei Grundgütern nicht auf den Import angewiesen ist (stimmt nicht ganz, aber fast), bleibt die Kaufkraft im Alltag davon weitgehend unberührt und alle Güter werden einfach nur in Dollar gemessen günstiger - ohne durchschlagenden Effekt auf Kaufkraft und Lebensstandard.

Deswegen ist der von Sachs beschriebene Effekt doppelt problematisch für die USA. Nicht nur verlieren sie die ökonomische Dominanz, sondern je mehr nominales und kaufkraftbereinigtes BIP auseinanderklaffen, desto schwieriger wird es für amerikanische Güter.

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