Häusliche Pflege ist vor allem und zuerst Zeitmanagement. Pflegende Angehörige sind eben nicht ausschließlich mit der körpernahen Pflege beschäftigt, vielmehr müssen sie alle vorstellbaren Lebensbereiche darauf abstimmen und untereinander koordinieren. Der eigentlich begrenzende Faktor ist also Zeit, weil der Tag nun mal nur 24 Stunden hat.
Jede Stunde, die ich mich mit anderen, mit der Pflege in Verbindung stehenden Tätigkeiten beschäftige, geht am Ende von der selbstbestimmten häuslichen Pflege ab.
Diese Ausgangssituation trifft auf ein Sozialgesetzbuch, das in vielen Bereiche unbestimmt ist, voller Öffnungsklauseln, die durch Eigenverpflichtungen der Kostenträger ausgefüllt werden und in weiten Teilen schlichtweg inkompetente Sachbearbeiter und Organisationsstrukturen, die man getrost als Vermeidungsstrategie bezeichnen kann.
Kurz, Pflegende und zu Pflegende haben in Deutschland im europäischen Vergleich objektiv sehr viele Rechte, wenn sie diese denn durchsetzen können.
Selbst wenn der Fall eindeutig ist, verbringen pflegende Angehörige unfassbar viel Zeit damit, die Grundlagen der Ansprüche zu dokumentieren, wer schreibt, der bleibt, und die Ansprüche gegenüber den Kostenträgern durchzusetzen. Zeit, die von der häuslichen Pflege abgeht. Aber Vorsicht: Wenn man sich darüber beschwert, kommt am Ende der Vorwurf, dass offensichtlich die Pflegebedürftigkeit doch nicht so hoch ist, wenn man so viel Zeit für andere Dinge übrig hat. Vorausgesetzt natürlich, die Pflegenden haben entsprechende Handlungskompetenzen und sind dazu in der Lage, alles und jedes strukturiert zu dokumentieren, Briefe zu schreiben und gegenüber dem Kostenträger angemessen zu reagieren.
Und wehe, der Fall ist ein wenig komplexer, die Kostenträgerschaft nicht eindeutig, ein dringend benötigtes Hilfsmittel steht nicht auf der Verschreibungsliste, eine Einzelfallentscheidung wird notwendig. Dann sieht sich der Pflegende und der zu Pflegende mit Aufwänden und Verfahren konfrontiert, die schnell mal über einen längeren Zeitraum 10-20 Stunden die Woche in Anspruch nehmen und, wenn er denn in der persönlichen Ausnahmesituation, die eine Pflege immer darstellt, die Kraft dazu hat, gleich mit mehreren Klagen vor dem Sozialgericht.
Dabei steht er in einem asymmetrischen Machtverhältnis gegenüber den Kostenträgern oft genug völlig alleine da, weil die Pflegeberatung ist dafür ja nicht zuständig, fähige Anwälte sehr, sehr schwer zu finden und mit den Sozialverbänden macht man, gelinde gesagt, nun auch nicht durchgehend gute Erfahrungen.
Ja, eine Erhöhung des Zahlbetrags wäre wünschenswert, keine Frage. Das eigentliche Problem ist aus meiner Sicht aber die strukturelle Gewalt, die dazu führt, dass die Menschen ihre bereits heute vorhandenen Ansprüche nicht oder nur mit aberwitzigem Aufwand durchsetzen können.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (03.09.2021 10:14).