Ansicht umschalten
Avatar von mintmonkey
  • mintmonkey

2 Beiträge seit 22.06.2021

Innenansichten eines Betroffenen

(Wegwerf-Account aus naheliegenden Gründen.)

Zunächst einmal: die maximale Anstellungsdauer von 12 Jahren greift m. E. in der Realität selten, denn nach § 2 Abs. 3 WissZeitVG sind Drittmittel-finanzierte Verträge davon unbetroffen. Und Drittelmittel sind in vielen Fällen die einzige Möglichkeit, halbwegs ernsthafte Forschung an deutschen Hochschulen betreiben zu können. Ich kenne Kollegen, die sich seit mehr als 25 Jahren von Zeitvertrag zu Zeitvertrag an der gleichen Uni hangeln …

In den letzten zehn Jahren war ich in der anwendungsorientierten Forschung im MINT-Bereich beschäftigt, dank unserer hervorragenden Forschungspolitik auf Welt-Niveau zur Zeit aber erwerbslos (s. u.). Ich kann jedem Menschen nur empfehlen, besser keine wissenschaftliche Karriere zu starten, oder zumindest eine klare Exit-Strategie parat zu haben, denn eine Zukunft gibt es im akademischen Mittelbau nicht. Der verbliebene Rest an Selbstbestimmung bei der Arbeit kann das am Ende auch nicht aufwiegen.

Nur mal als Beispiel: das Budget, das einer durchschnittlichen Uni/FH in Deutschland für Forschung zur Verfügung steht, ist im internationalen Vergleich in Witz. Pro Haushaltsjahr standen bei uns für jedes bewilligte Projekt weniger als 10.000 € zur Verfügung. Die letztendlich genehmigte Summe wurde mehr oder weniger durch die Verantwortlichen ausgewürfelt. Mehr als ein paar studentische Hilfskräfte lassen sich damit nicht finanzieren; für größere Anschaffungen reichte das nie. Und jedes Jahr musste ein neuer Antrag eingereicht werden, der nicht auf einem in der Vergangenheit geförderten Projekt aufbauen darf …

Bleiben in den meisten Fällen also nur Drittmittel, d. h., Fördermittel, die von dritter Stelle vergeben werden (Land, Bund, EU, Stiftungen). Für die Antragstellung gehen je nach Umfang des Projektes mehrere Wochen bis Monate drauf, wobei die Anforderungen immer wahnwitziger werden (Seitenanzahl, Voraussetzungen, Wirtschaftspartner, finanzielle Beteiligung, …). Für einen kooperativen EU-Antrag (H2020) wurden wir z. B. aufgefordert, einen Business-Plan einzureichen, in dem darzulegen war, wie die Forschungsergebnisse nach Ende der Laufzeit von vier Jahren einer wirtschaftliche Verwertung zugeführt werden können. Als wüsste ich das schon vier Jahre vorher.

Auch wenn man durch die vorgehaltenen Ringe springt, wird nicht jeder Antrag bewilligt. Die 70 Seiten Förderantrag (inkl. Businessplan) waren am Ende für die Tonne, da ohne Angabe von Gründen nicht bewilligt (eine ominöse Mindestpunktzahl wurde nicht erreicht - zwei Jahre später hatte ich dann erfahren, dass eine andere Forschungsgruppe für exakt das gleiche Vorhaben eine Bewilligung erhielt).

Der bürokratische Wahnsinn geht nach der Genehmigung erst richtig los. Der Projektträger – ein Unternehmen-artiges Gebilde, das über die Vergabe von Fördermitteln entscheidet und die Projekte im Anschluss betreut – muss regelmäßig über den Fortschritt unterrichtet und bei jeder Änderung um Genehmigung gebeten werden. In der Idee vernünftig, in der Umsetzung völliger Quark. Bei einem kleinen Bund-geförderten Projekt mit einer wiss. Mitarbeiter-Stelle musste jedes Jahr ein Zwischenbericht in Kurz- und Langfassung eingereicht werden, den sich nie jemand angeschaut hat, zur Sicherheit aber den gesamten Projektfortschritt penibel aufzulisten hatte. Nur, um dann am Ende einen noch umfangreicheren Abschlussbericht vorzulegen, den wiederum niemand liest. Als wären die Fachartikel, Vorträge, und Abschlussarbeiten nicht Zeugniss genug.

Den erneut geforderten Businessplan hat aber jemand gelesen: denn am Ende sollte die Abnahme durch den Projektträger verweigert werden. Uns wurde vorgeworfen, neben Lehre, Fachartikeln, Konferenzbeiträgen, Betreuung von Abschlussarbeiten, der eigentlichen Forschung, der eigenen Promotion, dem bürokratischen Overhead und der erneuten Akquirierung von Fördermitteln die wirtschaftliche Verwertung nicht genügend vorangetrieben zu haben. Es wurde wohl erwartet, dass diese eine Mitarbeiterstelle noch ein Unternehmen gründet.

Es gibt aber auch Verträge, in denen man in völlig in der Luft hängt. Vor zwei Jahren stellte ich einen Antrag auf Förderung eines kleinen anwendungsorientierten Forschungsprojektes bei einem allseits durch seine Kompetenz bekannten Bundesministerium. Das Ministerium, in seiner Weitsicht und Güte, schrieb in seinen Förderbedingungen aber fest, dass lediglich Gebietskörperschaften (Städte, Gemeinden) Fördermittel für anwendungsorientierte Forschung erhalten (wtf?) – und das auch erst nach einem zweistufigen Verfahren. Nach einem Telefonat zwischen Uni und Stadt wurde das irgendwie hingebogen. Antrag auf Antragsförderung (lol) wurde bewilligt und das Ministerium zahlte eine mittlere fünfstellige Summe, damit innerhalb von acht Monaten ein weiterer Antrag auf Umsetzungförderung gestellt werden konnte. In diesem Zeitraum durfte aber unter keinen Umständen mit der eigentlichen Forschung begonnen werden (das wäre Subventionsbetrug!).

Zwischenzeitlich merkte auch das Ministerium, wie bescheuert die Idee mit den Gebietskörperschaften ist, und änderte für die zweite Stufe die Förderbedingungen. Von nun an waren auch Zusammenschlüsse aus Unternehmen und Hochschulen antragsberechtigt, und die ganze Kohle für die Umsetzungsförderung wurde unter den größten zehn Projekten aufgeteilt. Überhaupt: ohne Partner-Unternehmen ist man im MINT-Bereich aufgeschmissen. Forschungsförderung in Deutschland bedeutet mehr und mehr einfach nur Industrieförderung.

Und bis zum nächsten befristeten Vertrag bleibt dann für die wissenschaftlichen Mitarbeiter nur Arbeitslosengeld. Jo, Forschungsstandort Deutschland läuft.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (22.06.2021 13:32).

Bewerten
- +
Ansicht umschalten