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mehr als 1000 Beiträge seit 10.01.2003

Das Beispiel zeigt auf ...

... dass zwischen Wohlstand und finanziellem Prekariat manchmal nur eine einzige Kündigung steht. Das Beispiel mit dem dt. Durchschnittsverdiener ist nicht unrealistisch, wohl aber für viele Erwerbstätige Hohn, wenn sie auf die eigenen Bezüge stehen.

Der dt. Durchschnittsverdiener kann es sich nämlich leisten (?), dass der Partner zu Hause bleibt, sich um Kinder und Haushalt Vollzeit kümmern kann - auch in einer ziemlich teuren Wohngegend wie im Beispiel angenommen. Wobei "leisten" relativ zu sehen ist: zwar stimmt auf dem Papier das Einkommen und man kann gut leben, aber das Risiko "Jobverlust" wird nicht abgedeckt (siehe Beispiel) und der nicht erwerbstätige Partner trägt nicht nur heute nicht zum Haushaltseinkommen bei, sondern auch in der Rente nicht. Spätestens dann kann Altersarmut drohen, wenn bis dahin kein Eigentum erworben worden ist. Und das erwirbt sich dieser Tage nicht eben einfach, denn obschon der Minizins lockt, sind die Preise völlig durch die Decke geschossen. Schon in der (süddeutschen) Provinz muss man locker eine halbe Million locker machen können für ein Einfamilienhaus und für unter 300.000 bekommt man keine Eigentumswohnung mehr. Da fehlt dann das zweite Einkommen für die nötige Finanzierung.

Das Beispiel hat aber, wie eingangs erwähnt, noch einen zweiten fatalen Fehler: die Zahl jener, die deutlich unter dem Durchschnitt verdienen, nimmt immer weiter zu. Familien, in denen beide Partner arbeiten gehen und in Summe weniger Einkommen generieren als im Beispiel, sind keine Seltenheit, sondern immer öfter die Norm. Dann braucht es auch gar keinen "Doppelschlag" wie im Beispiel (Kündigung + Krankheit), sondern es genügt jeder Jobverlust, um aus einem relativ stabilen Haushalt ein finanzielles Prekariat zu machen. Oft fehlt es solchen Haushalten an finanziellen Rücklagen, so dass auch zusätzlich ungeplant auftauchende Rechnungen nicht sofort beglichen werden können.

Damit habe ich nun so meine Probleme: das Beispiel ist realistisch, aber nicht unbedingt repräsentativ. Dazu kommt, dass auch das Durchschnittsbeispiel eine "auf Kante genähte" Finanzierung darstellt. Die "Sprünge", die da aufgeführt sind, sind eigentlich "Norm". Vielleicht muss man kein TV-Abo mit allen Kanälen haben, vielleicht reicht auch ein PKW statt zwei, aber dann können wir auch streiten, ob ein Haushalt unbedingt Telefonie und Internet braucht. Dass der Haushalt Dinge per Konsumentenkredit erwirbt, ist so ungewöhnlich auch nicht: es lohnt nicht, größere Geldsummen auf dem Konto zu horden und die Kredite sind oft mit 0% verzinst (dazu gleich mehr). Wenn nun die Finanzierung effektiv kostenlos ist, warum sollte man etwas direkt bezahlen, statt zu finanzieren?
Natürlich stimmt das nicht mit der 0%-Finanzierung: der Kreditzins ist einfach intransparent eingepreist - und wird immer erhoben, ob ich nun das Gerät sofort bezahle oder finanziere. Eigentlich ist es Abzocke, wenn der Kunde, der nicht finanziert, trotzdem Zins zahlen muss, als ob er finanziert. Aber das nur anbei.

Und wie macht das die immer öfter anzutreffende Mindestlohnfamilie? Die ist finanziell noch ein bisschen schärfer auf Kante genäht und kriegt oft genug auch gar keinen Konsumentenkredit aufgrund fehlender Kreditwürdigkeit. Die haben also nicht die Möglichkeit, sich etwas zu finanzieren, sondern müssen mühsam sparen. Das Ersparte ist aber schnell aufgefressen, wenn eine unerwartete Rechnung zu zahlen ist. Aber auch bei erwarteten Unkosten ist oft das Ersparte die einzige Option zur Finanzierung: weil das Geld nicht reicht um einen neueren Gebrauchten zu kaufen, wird der alte geflickt und mühevoll instantgehalten. Legt der TÜV dann den PKW still, ist die Katastrophe da: kein Geld für einen Ersatz und der Verlust der Mobilität führt oft auch zum Verlust des Jobs. So ist eine Familie mit diesem Einkommensverhältnis praktisch immer als prekär finanziert anzusehen: es funktioniert genau so lange, wie keine Neuanschaffungen getätigt werden müssen und die laufenden Kosten nicht schneller steigen als die Einkünfte.

"ALG-II" habe ich mit keinem Wort erwähnt, sondern lediglich die Schwächen im Beispiel aufgezeigt. Ich würde mich nicht wohlfühlen in der Konstellation, jedenfalls nicht dauerhaft - und aktuell liege ich unter dem "Durchschnittsdeutschen", aber nicht viel. Meine Frau muss daher auch, sobald die Kleine in den Kindergarten geht, wieder arbeiten gehen. Das ist auch für die Rentenanwartschaft besser, denn hier lauert die eigentliche Bombe: wer nie was eingezahlt hat, bekommt auch praktisch keine Rente. Natürlich gibt es die Witwenrente und immer die Option, mit ALG II im Alter aufzustocken, vor Altersarmut schützt das nicht.
Und fällt das einzige Einkommen weg ... siehe oben. "Auf Kante nähen" ist nie ratsam.

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