Bei einem 1000 Euro Regelsatz wären 30% Sanktionen sicherlich kein grundsätzliches Problem.
Nein, die Sanktionen waren auch beim 2019 geltenden Regelsatz für das Gericht nicht verfassungswidrig.
Hier ging es um die "grundsätzliche" Verfassungskonformität bzw. Menschenrechtskonformität. Ihr interpretierter Widerspruch ist ein Strohmann.
So, woraus genau schließen sie das?
"Bis zu einer Neuregelung" impliziert, dass die Auflagen nur vorübergehend Anwendung finden werden. Ansonsten bräuchte es keinen Auftrag zu einer Neuregelung. Das BVerfG kann nicht langfristig die Rolle der Legislative übernehmen. Das kollidiert mit der Gewaltenteilung.
Das ist zwar korrekt, allerdings wird das BVG aufgrund der einen, jetzt veröffentlichten Studie seine Spruchpraxis nicht ändern.
Nein, dass die, vom Gericht als zulässig erachteten, 30% ein Kompromiss wären, davon steht nichts im Urteil. Was das BVG bestätigen wird oder nicht ist reine Spekulation von ihnen.
Der Sinn und Zweck eines BVerfG ist es, solche Fälle anzunehmen, bei denen es keine etablierte Rechtssprechung gibt oder bei denen die Verfassungskonformität der bisherigen Rechtssprechung angefochten wird. Das kann sich aus einem neuen Wissensstand ergeben oder aus dem aktuellen Zeitgeschehen. Eine "Praxis" durch redundante Fälle gibt es dementsprechend nicht beim BVerfG. Solche Fälle würden abgewiesen. Das BVerfG hat schon mehrmals die eigenen vorherigen Urteile korrigiert oder ergänzt, teils sogar mit 180°-Wendungen, die sich durch den neuen Wissensstand ergeben haben. In diesem Fall ist die Grundlage aber bereits im Urteil ausgelegt.
Derartige Leistungsminderungen sind nur verhältnismäßig, wenn die Belastungen der Betroffenen auch im rechten Verhältnis zur tatsächlichen Erreichung des legitimen Zieles stehen, die Bedürftigkeit zu überwinden, also eine menschenwürdige Existenz insbesondere durch Erwerbsarbeit eigenständig zu sichern. Ihre Zumutbarkeit richtet sich vor allem danach, ob die Leistungsminderung unter Berücksichtigung ihrer Eignung zur Erreichung dieses Zwecks und als mildestes, gleich geeignetes Mittel in einem angemessenen Verhältnis zur Belastung der Betroffenen steht.
Der Staat konnte nur plausible Argumente vorbringen, aber keine Evidenz.
In der mündlichen Verhandlung wurde teilweise vorgetragen, dass Minderungen in einer Höhe von 30 % eine Lenkungswirkung entfalteten;
Der Deutsche Gewerkschaftsbund betonte, dass empirische Belege zur Geeignetheit von Sanktionen, Betroffene zur Mitwirkung anzuhalten, weithin fehlten.
Ob verhängte Sanktionen die Mitwirkungsbereitschaft durch eine Intensivierung der Arbeitssuche erhöhen, ist bislang empirisch nicht belegt.
Wäre demgegenüber erkennbar, dass die Auferlegung von Pflichten regelmäßig dazu führt, dass der Kontakt zum Jobcenter ganz abbricht, also ein in den empirischen Untersuchungen und Stellungnahmen beschriebener „Ausstieg aus dem System“ bewirkt wird (oben Rn. 65 f.), wären sie zur Durchsetzung legitimer Ziele nicht geeignet und mit der Verfassung nicht zu vereinbaren.
Verfolgt der Gesetzgeber mit Mitwirkungspflichten das legitime Ziel, dass Menschen die eigene Hilfebedürftigkeit insbesondere durch Erwerbsarbeit vermeiden oder überwinden, müssen sie den an diesem Ziel ausgerichteten Anforderungen der Verhältnismäßigkeit genügen, dafür also geeignet, erforderlich und zumutbar sein.
Je länger eine Minderungsregel in Kraft ist und der Gesetzgeber damit in der Lage, fundierte Einschätzungen zu erlangen, umso weniger genügt es, sich auf plausible Annahmen zur Wirkung der Durchsetzungsmaßnahmen zu stützen. Umso tragfähigerer Erkenntnisse bedarf es dann, um die Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit dieser Sanktionen zu belegen (zur abnehmenden Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers: BVerfGE 143, 216 <245 Rn. 71>).
Die INES-Studie ist nur eine von mehreren neuen unabhängigen Studien, die zu dem Thema veröffentlicht wurden. Prof. Marcel Fratzscher betonte, dass die nun veröffentlichten Ergebnisse mit seinem Studienlage-Kenntnisstand übereinstimmen. Das BVerfG hat in seinem Urteil deutlich gemacht, dass oberflächlich plausible Argumente ohne empirische Evidenz kaum ausreichend sind je länger oder härter die Minderungen in das grundrechtlich geschützte Existenzminimum eingreifen. Aktuell gibt es keine empirischen Daten, die die Sanktionierung stützen. Es gibt aber empirische Daten, die die zeigen, dass Sanktionen keinen positiven, teils sogar negativen Effekt auf die langfristige Versorgung der Arbeitslosen haben. Entsprechend ist aktuell nur ein Schaden naheliegend, ein Nutzen aber widerlegt. Daraus kann keine Eignung oder Erforderlichkeit der Sanktionen abgeleitet werden, da der mildere Fall nachweislich effektiver wäre, nämlich gar keine Sanktionen zu nutzen. Durch diesen neuen Wissensstand kann das BVerfG ein neues Verfahren als erforderlich betrachten, insbesondere je länger der Gesetzgeber seinen Auftrag für eine verfassungskonforme Neuregelung verzögert oder verfehlt.