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mehr als 1000 Beiträge seit 12.09.2014

Bärendienst

Vorab zu meiner Person: Ich bin selbst schwul, 6 Jahre in der Kölner
und weitere 6 Jahre in der Berliner Szene aktiv. 

Bereits in einer vorbereitenden Diskussionsrunde zum Kölner CSD 2002
(Europride) habe ich mich damals mit einem 18jährigen Homo-Häschen -
ein andere Ausdruck fällt mir dazu ob des gezeigten Verhaltens (party
bunny) nicht ein - angelegt, der meinte, man solle doch die ganze
politische und gesellschaftliche "Kacke" bei der Parade beiseite
lassen, schließlich ginge es doch nur um die Party. Für die
Anwesenden, die z.T. noch selbst den §175 StGB erleben mussten, war
das ein absoluter Schlag in's Gesicht. Ich habe dann vergeblich
versucht, ihm klarzumachen, dass wir noch weit von Akzeptanz, ja gar
von gesellschaftlicher Toleranz, entfernt sind. Das ist auch der
Hauptgrund, warum ich die sich ewig wiederholenden Forderungen nach
Homo-Ehe ablehne - wir sind gesellschaftlich bei weitem noch nicht so
weit fortgeschritten, dass das überhaupt schon Thema sein könnte.
Gerade im ländlichen Bereich herrscht eine echte, auch noch physisch
bedrohende Homophobie und Haß vor. Es gibt immer noch "Jagdszenen aus
Oberbayern", auch 2015; nur heute läuft das deutlich subtiler, der
Antidiskriminierungs-Gesetzeslage geschuldet, ab. Da wird
unterschwellig gemobbt, gedroht und Druck ausgeübt, körperliche
Gewalt in einen vermeintlich anderen Kontext gestellt. Noch immer
fliehen genug junge Homosexuelle bei erster Gelegenheit in die
Großstädte, nicht nur um sich hier im übergroßen Angebot ausleben zu
können, sondern auch, um in der Anonymität und Subkultur abtauchen zu
können von ihren heimatlichen Traumata. Doch Sicherheit gibt es auch
hier nicht. 
Die Homophobie und gewaltorienterter Schwulenhaß sind Wesenszüge
nicht nur einer fundamental-christlichen, sondern gerade einer selbst
noch liberalen islamischen Religionsauffassung. Es findet sich nur
eine verschwindend geringe Minderheit in dieser Hinsicht wirklich
liberaler Moslems. So ist verbale, aber auch physische Gewalt gegen
Homosexuelle in einigen Berliner Stadtteilen mit überwiegend
muslimischer Bevölkerung fast an der Tagesordnung. Und im Gegensatz
zu den meisten sich selbst in Richtung liberaler und
gesellschaftskonform-philantropischer Toleranz zwingenden Christen,
auch wenn es hier klare katholische (kath.net) wie evangelikale
Ausnahmen gibt, die aber eher eine deutliche Minderheit im
gesamtgesellschaftlichen Diskurs bilden, ist mit den islamischen v.a.
Jugendlichen, die sich meist gar nicht an diesem Diskurs beteiligen
wollen, da realiter in einer parallelen Wertekulter befangen, ein
normales Gespräch darüber gar nicht erst möglich. Homosexuelle zu
akzeptieren ist für die meisten das schlimmste aller Verbrechen und
jegliche Rechtfertigung wird ignoriert oder mit körperlicher Gewalt
beantwortet.
Von Idealen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bleibt da
keine Spur.

Solange also ein solches Intolerantes gesellschaftliches Klima
vorherrscht, ist die Akzeptanz, die manche aufgrund der
aufoktroyierten political correctness schon als gegeben betrachten,
höchstens eine utopische Illusion.

Vor diesem Hintergrund ist es vlt. ansatzweise verständlich, dass die
Aktivisten hier auf die kleinste Aussage von pubertierenden
Jugendlichen überreagieren. Dennoch kann und darf Denunziation
niemals das Mittel der Wahl sein. Es muss immer zuerst das Gespräch
gesucht werden. Dazu bedarf es aber auch seitens der Aktivisten
Argumente, die über ein "Ächtung von Homophobie ist
gesellschaftlicher Konsenz", was tatsächlich in der oben
geschilderten Gegenwart eine glatte Lüge darstellt, oder "das
verstößt gegen das Anitdiskriminierungsgesetz" hinausgehen. Doch da
ist bei allem Aktivismus oft nur dünne Luft, weil man sich selbst nie
mit der als selbstverständlich wahrgenommenen Toleranz und Akzeptanz
als immer wieder zu erringendes und verteidigendes Gut
auseinandergesetzt hat. Allein durch Gesinnungsautoritarismus wird
kein Mensch wirklich zu einer toleranten Haltung kommen. (Dies gilt
im übrigen auch für alle anderen Gebiete der gesellschaftlichen
Neuausrichtung, vom Gender- und Feminismuswahn bis hin zu
gewaltausblendenden Nachrichten.) Eine echte gesellschaftliche Wende
muss sich eben aus der gesellschaftlichen Basis heraus langsam und
aus eigenem Antrieb heraus entwickeln. Dazu bedarf es stätiger
Kommunikation und Diskussion, Meinungsvielfalt und eines
Aufeinanderzugehens. Wenn aber konstant eine Seite den Diskurs
gänzlich verweigert, wird daraus eine Meinungsdiktatur, die
zwangsläufig zu mehr Ablehnung und noch mehr Haß führen wird. Auch
die vehement erzwungene mediale Präsenz ist da eher kontraroduktiv,
da sie ein normales, tolerierendes oder gar akzeptierendes
Miteinander auf Augenhöhe durch die ständige Hervor- und Heraushebung
und den damit ausgeübten gesellschaftlichen Zwang konterkariert und
die selbsternannten "Kämpfer für LGBT-Freiheitsrechte" in ihrer
selbstgewählten rechteheischenden Opferrolle noch bestärkt. Diese
Rechte müssen aber in einem langwierigen gesellschaftlichen Prozess
hart erarbeitet werden, nicht von oben herab verordnet oder per
Erpressung mit Denunziation herbeigeführt.


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