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  • kemmerich

mehr als 1000 Beiträge seit 11.02.2020

Wir haben die Wahl nicht

Ich bin immer wieder erstaunt darüber, dass die Mehrheit der Mitdiskutierenden glaubt, wir hätten die Wahl zwischen "Weiter so" (dank "grüner Technik") und einer geschrumpften Wirtschaft mit spürbar geringeren Konsumoptionen. Wir haben sie nicht, Punkt.

Effektiv gehandelt werden muss jetzt, weil wir uns bereits mitten im Klimawandel befinden und die ersten Kipppunkte bald erreicht sein werden. Und das bedeutet: Wir müssen es mit der Technik von heute schaffen. Die aber erlaubt den monströsen Stoffwechsel von heute nicht, von weiterem Wachstum ganz zu schweigen (das im Kapitalismus perverserweise zwingend nötig ist, um Arbeitsplätze und Einkommen zu halten).

Auffällig an der Diskussion hier sind die verschiedenen Arten, um mit dem Problem umzugehen:

1. Eine relativ starke Fraktion leugnet den Klimawandel (oder die Ursachen dafür) komplett. Da wird dann relativiert, dass sich die Balken biegen, und Klimaschützer werden als religiös verblendet ("Klimakirche") hingestellt. Weil nicht wahr sein kann, was nicht wahr sein darf. (Was ironischerweise selbst eine religiöse Haltung ist: Das Leben muss doch einen höheren Sinn haben, also...).

2. Einige erkennen die erschreckenden Befunde der Klimawissenschaft (weitgehend) an, versuchen das Problem aber mit zweifelhaften Maßnahmen (z.B. Geburtenkontrolle) in den Griff zu bekommen. Eine Light-Version der ersten Fraktion sozusagen: Es kann nicht sein, dass wir das Problem nicht so gelöst kriegen, dass sich unser Leben nicht zu ändern braucht.

3. Fans des "grünen Wachstums": Dank neuer Technik allein (da werden technischen Ansätzen z.B. zur Speicher- oder Kernkraftoptimierung gerne mal Wunderkräfte zugeschrieben) soll wie bisher Wachstum stattfinden dürfen. "Grünes Wachstum" bedeutet für einige aber auch, dass quantitatives durch qualitatives Wachstum ersetzt wird. Kann man machen, nur erhält man damit nicht die heutige Wirtschaftsleistung, erst recht steigert man sie nicht, denn Wissen, Pflege oder Bildung kann man nicht essen oder sonstwie verbrauchen.

4. Interessant: Hier argwöhnen viele, dass nur ein Teil der Bevölkerung verzichten soll. Entsprechend wenige Befürworter des sonst vielgepriesenen CO2-Zertifikatehandels sind hier zu finden. Und das ist gut nachvollziehbar: Stetig steigende Benzinpreise verleiden zuallerst den weniger Betuchten das Autofahren, während Gutverdiener, Reiche und Superreiche weiterhin mit ihren fetten Stadtpanzern herumfahren.

5. Apropos Argwohn: Gerne wird immer wieder darauf verwiesen, dass Klimaschutzgesetze auf nationaler Ebene Quatsch sind, weil andere ja nicht mitmachen. Dabei wird aus meiner Sicht übersehen, dass Kandidaten wie China ein noch größeres Interesse am Klimaschutz haben, weil sie von den Folgen des Klimawandels früher und deutlich härter getroffen werden als Mitteleuropa.

Ich glaube nicht, dass der Klimawandel in den Griff zu bekommen ist, ohne aus dem Kapitalismus auszusteigen und in eine Suffizienzwirtschaft überzugehen. Dieser Übergang muss so sozial und so transparent wie möglich sein. Armut wird es dann nicht mehr geben, Reichtum aber auch nicht. Es spricht sogar einiges dafür, dass ein neues System den unteren Rand der Gesellschaft besser stellen wird als heute, was zusammen mit der sozialen Ausgewogenheit ein Plus an Zufriedenheit und eine Form von Lebensqualität für alle schaffen wird, das man derzeit mit Geld nicht kaufen kann. Das wäre die frohe Botschaft.

Wenn wir schlau sind, fangen wir sofort mit dem Umbau an - nicht erst dann, wenn die Bedingungen so schwierig geworden sind, dass sie den Umbau erzwingen.

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