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  • bbirke

mehr als 1000 Beiträge seit 22.12.2004

Unterhaltung statt Moralisierung

Irgendwie erinnerte mich der Film an "Vom Winde verweht", wo auch
Krieg und Katastrophe den Hintergrund großer Gefühle bilden. Diese
Art Dramatik ist wohl seit "Titanic" stark auf dem Vormarsch. Etwas
Moralisierung durch Nahaufnahmen von Unrecht gab es auch, so, wo die
Kinder um den Juden herum laufen und rufen "Jude, Jude,
Satansknecht!". Dafür gab es glücklicher Weise keine allzu
ideologisierte Aufteilung in Gut und Böse. Das Böse ist überall
verteilt, sogar Arthur Harris wird als schurkenhaft hingestellt (was
in den letzten 10-15 Jahren keineswegs selbstverständlich ist). Keine
Pseudo-Rechtfertigungen oder Entschuldigungen für den Bombenangriff,
sondern Krieg, wie er halt ist, mit Dreck auf allen Seiten.

Und der Autor des Telepolis-Artikel begräbt selbst jegliche
ernsthafte Moralisierung in der Besprechung. Das plakative Einfordern
einer hypermoralisierenden Konzentration auf Auschwitz, bei
gleichzeitiger Rechtfertigungstendenz aller Massentötungshandlungen
gegen Deutsche ist, wenn es denn ernst gemeint ist, gar keine
moralische Betrachtung. Moralische Betrachtung schaut auf die Gräuel
an sich, auf ihren Hintergrund und bewertet sie als Taten. Der
Telepolis-Autor schlägt sich dagegen bedingungslos auf eine der
beiden Seiten im Krieg, wobei die eine grundsätzlich, durch und durch
und kollektiv (Bombardierung der Zivilisten als "gerechte Strafe" für
alle Deutschen) verbrecherisch ist und die andere alles machen darf,
einschließlich der schlimmsten Gräuel, und dabei doch stets im Recht
ist. In der Tat interessierten Gräuel und Verbrechen, wie der
Holocaust, die Politiker aller Seiten damals kaum, abgesehen von der
propagandistischen Ausschlachtung. Ihnen ging es um Macht, darum,
sich mit allen Mitteln gegen die jeweilige Konkurrenz durchzusetzen.
Nicht zuletzt hatte "Bomber Harris" seine Strategie der
Terrorbombardements gegen Zivilisten nicht gegen den ebenbürtigen
Kriegsgegner Deutschland entwickelt, sondern in britischen
Kolonialgebieten lange vorher, deren Bewohner kaum ernsthafte Gegner
waren, sondern sich nur der Kolonialherrschaft widersetzten. Der
Besprechung liegt die schon beschriebene Haltung zu Grunde, die nicht
Gräuel als solche wertet, sondern ausschließlich nach der Seite, auf
der sie begangen werden.

"Dresden" lässt sich als Unterhaltungsfilm mit historischem
Hintergrund sehen, erstaunlich unverkrampft. Und er bricht mit
Pseudo-Moralisierungen, wie sie auch die Besprechung hier in
Telepolis prägen. Denn die können nach hinten los gehen. Wenn Leute
offiziell pauschal jede Tat, einschließlich jeder Untat, eines
"Bomber Harris" oder eines anderen Mitglieds der
"Anti-Hitler-Koalition" nur wegen eben dieser Ausrichtung
rechtfertigen, dann können auch Leute auf die Idee kommen, in die
andere Richung die Taten von Hitler und Konsorten zu entschulden,
nach der Art: "Adolf war ein Hurensohn, aber er war unser Hurensohn!"
Dem wirkt der Film entgegen, weil er doch eigene moralische Maßstäbe
beim Zuschauer ermöglicht und keine nach Seiten sortierende
Pseudomoral pflegt.
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