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TAGESSPIEGEL, 04.03.2006
Schuld und Schwester
„Dresden“ oder der Untergang einer Stadt in einer
Dritte-Reich-Krankenhausserie
Von Kerstin Decker
Schade. Das hätte nicht passieren dürfen. Nicht bei einem solchen
Stoff. Roland Suso Richter hat fürs ZDF einen groß angelegten,
aufwendigst produzierten neuen Geschichts-Zweiteiler gedreht. Über
den Untergang Dresdens in der Nacht des 13. Februar 1945. Eine
Wochenzeitung hat in „Dresden“ bereits „revanchistische Dynamik“
erkannt. Vor dem Hintergrund des drastisch ausgemalten Feuersturms
verblasse die deutsche Schuld. Und immer so weiter. Aber das ist
Unsinn. Das ist der Diskurs von vorgestern, als jedes Reden über
fremde Schuld im Verdacht stand, das Übermaß, das Unmaß der eigenen
relativieren zu wollen. Dass die Idee, so systematisch Krieg gegen
gut brennbare alte Innenstädte mit möglichst engen Gassen zu führen,
nicht mal von Hitler stammt, ändert nichts. Schon die Rede von
„Schuld“ führt in die Irre. Es geht nicht mehr um die Zurechnung von
Schuld, es geht um geschichtliche Erfahrung. Das wäre die Chance
gewesen.
Geschichtliche Erfahrung ist unteilbar und war dennoch so lange nicht
mitteilbar. Dass wir in diesem Land längst das Bewusstsein
voraussetzen dürfen, dass der unvorstellbare Zivilisationsbruch des
letzten Jahrhunderts deutsch gewesen ist – und nur deutsch –, ist
auch ein Verdienst des Fernsehens. Die ganzen letzten Jahre hat es
den Verlauf des Zweiten Weltkriegs nachvollzogen. Man bekam gleichsam
ein Gefühl für die Realzeit des Krieges.
Vor einem Jahr zeigte das ZDF das Dokudrama „Die letzte Schlacht“ von
Hans-Christoph Blumenberg über die letzten Kriegstage in Berlin. Auch
da ging es – nicht zuletzt – um das Leid einer Stadt. Und der Film
hielt stand, ja mehr noch, er war großartig.
Warum also wünscht man jetzt, dieses „Dresden“ wäre nie gedreht
worden? Weil er wie eine Verhöhnung des Leids ist. Weil er die
emotionale Intelligenz, die Bilder und die Handlung einer
Vorabend-Krankenhausserie hat. Kitsch ist Kitsch, sonst nichts, schon
richtig, aber manchmal ist er ein Verbrechen.
Dabei ist der historische Rahmen des Anfangs, verdichtet auf ein paar
Sätze, auf ein paar Bilder, gut gesetzt. Alte Dresdner
Stadtansichten, und dazu die Zeitangabe: Januar 1945, Hitlers
Ardennenoffensive ist längst gescheitert, am 12. Januar beginnt die
Großoffensive der Roten Armee im Osten. Die britische und
amerikanische Luftwaffe kontrollieren den deutschen Luftraum. Und
dennoch gibt es noch Städte, die von alldem nichts zu wissen
scheinen, die dastehen mit der steinernen Selbstverständlichkeit
aller Jahrhunderte, aus denen sie gemacht sind. Was für ein Thema,
noch immer.
Man kann die Katastrophe nicht ganz glauben, so lange man sie nicht
sieht. Die Selbstverständlichkeit des alltäglich-vertrauten Lebens in
den alltäglich-vertrauten Kulissen gibt dem, was man weiß, etwas
Irreales. Insofern ist es nicht nur eine groteske Verkennung, dass
man hier bis fast zum Schluss den Eindruck hat, sich in einer
Schöner-Wohnen-im-Dritten-Reich-Ausstattungsorgie zu befinden. Ein
guter Regisseur hätte feine, umso kältere Risse in diese
Pastellfarben-Rundwelt gezeichnet. Nun könnte es ja sein, dass
wenigstens ein Dresdner Krankenhaus im Januar 1945 einen etwas
desolaten Eindruck macht. Macht es auch, einerseits. Denn
Schwerverwundete müssen bereits ohne Morphium operiert werden. Und
zwar wegen Heiner Lauterbach. Nein, nein, kein filmfremdes Wort an
dieser Stelle über Heiner Lauterbach: hier ist er der Klinikdirektor,
der sich niemals auch nur in der Nähe eines Kranken aufzuhalten
pflegt und das ganze Morphium verschwinden lässt, um es der SS oder
sonstwem zu verkaufen, um ... egal. Krankenhausserien-Dramatik eben.
Die Tochter des gewissenlosen Chefarzt-Lauterbach ist Lolle aus
Berlin. Also Felicitas Woll als junge idealistische Krankenschwester
Anna. Die Puristen unter uns halten schon die Existenz einer jungen
idealistischen Krankenschwestern in diesem schuldbeladenen
Mitläufervolk für unerträgliche Geschichtsklitterung. Dabei könnte es
großartig sein. Wenn nicht Roland Suso Richter Regie führen würde,
der in seinen Filmen kaum ein Gespür fürs Feine, für empfindlichste
Balancen hat. Wie nötig hätte er die gebraucht. Selbst die englischen
Flieger wirken holzschnitthaft. Ein Bomber wird beim Angriff auf
Magdeburg abgeschossen. Warum der Pilot Robert Newman mit seinem
Rettungsfallschirm bei Dresden abspringt, bleibt ewiges
Regiegeheimnis. Das deutsche Volk ist wachsam, es schießt umgehend
auf die notgelandeten Feinde, und Robert Newman bekommt einen bösen
Bauchschuss, mit dem er bemerkenswert gut wegrennen kann. Durch ganz
Dresden, bis in Lolle-Annas Schwesternzimmer, wo er den Schwestern
das Frühstück wegisst! Mit einem Bauchschuss! Ist das nicht tödlich?
Und etwas später liebt er diese Anna im Krankenhausbett. Im
Riesenschlafsaal. Mit Bauchschuss. Das gibt's in keiner
Krankenhausserie! Mein Gott, Richter!
Manche glauben, wer große Stoffe wie diesen auf fernsehtaugliche
Formate bringt und in den Rahmen von Einzelschicksalen presst,
trivialisiert von vornherein. Warum eigentlich? Es sind Menschen, die
so zeitlose Sätze sprechen wie Churchills Bomber-General Harris: Es
gibt Leute, die glauben, mit Bomben kann man keinen Krieg gewinnen.
Es ist nur noch nicht versucht worden! Bemerkenswert ist auch das
Wort „überbombt“. Ist Deutschland nicht schon etwas „überbombt“?,
überlegten selbst britische Militärs. Es ist nicht schwer,
Bombenschächte zu öffnen und Tausende zu töten, aber dann steht
dieser britische Pilot zum ersten Mal vor der deutschen
Krankenschwester und kann sie nicht töten. Warum das nicht zeigen?
Die Wahrheit ist immer konkret. Nur das Kriegführen ist zunehmend
abstrakt. Und dass Churchills Strategie des „moral bombing“ schon
damals ein makabrer Irrtum war, ist noch heute bedenkenswert: Unter
dem Bombenterror würde die Bevölkerung sich gegen die eigenen
Tyrannen wenden. Das war die Hoffnung. Falsch. Die Bomben schufen
eine fatale Schicksalsgemeinschaft.
TAGESSPIEGEL, 04.03.2006
Schuld und Schwester
„Dresden“ oder der Untergang einer Stadt in einer
Dritte-Reich-Krankenhausserie
Von Kerstin Decker
Schade. Das hätte nicht passieren dürfen. Nicht bei einem solchen
Stoff. Roland Suso Richter hat fürs ZDF einen groß angelegten,
aufwendigst produzierten neuen Geschichts-Zweiteiler gedreht. Über
den Untergang Dresdens in der Nacht des 13. Februar 1945. Eine
Wochenzeitung hat in „Dresden“ bereits „revanchistische Dynamik“
erkannt. Vor dem Hintergrund des drastisch ausgemalten Feuersturms
verblasse die deutsche Schuld. Und immer so weiter. Aber das ist
Unsinn. Das ist der Diskurs von vorgestern, als jedes Reden über
fremde Schuld im Verdacht stand, das Übermaß, das Unmaß der eigenen
relativieren zu wollen. Dass die Idee, so systematisch Krieg gegen
gut brennbare alte Innenstädte mit möglichst engen Gassen zu führen,
nicht mal von Hitler stammt, ändert nichts. Schon die Rede von
„Schuld“ führt in die Irre. Es geht nicht mehr um die Zurechnung von
Schuld, es geht um geschichtliche Erfahrung. Das wäre die Chance
gewesen.
Geschichtliche Erfahrung ist unteilbar und war dennoch so lange nicht
mitteilbar. Dass wir in diesem Land längst das Bewusstsein
voraussetzen dürfen, dass der unvorstellbare Zivilisationsbruch des
letzten Jahrhunderts deutsch gewesen ist – und nur deutsch –, ist
auch ein Verdienst des Fernsehens. Die ganzen letzten Jahre hat es
den Verlauf des Zweiten Weltkriegs nachvollzogen. Man bekam gleichsam
ein Gefühl für die Realzeit des Krieges.
Vor einem Jahr zeigte das ZDF das Dokudrama „Die letzte Schlacht“ von
Hans-Christoph Blumenberg über die letzten Kriegstage in Berlin. Auch
da ging es – nicht zuletzt – um das Leid einer Stadt. Und der Film
hielt stand, ja mehr noch, er war großartig.
Warum also wünscht man jetzt, dieses „Dresden“ wäre nie gedreht
worden? Weil er wie eine Verhöhnung des Leids ist. Weil er die
emotionale Intelligenz, die Bilder und die Handlung einer
Vorabend-Krankenhausserie hat. Kitsch ist Kitsch, sonst nichts, schon
richtig, aber manchmal ist er ein Verbrechen.
Dabei ist der historische Rahmen des Anfangs, verdichtet auf ein paar
Sätze, auf ein paar Bilder, gut gesetzt. Alte Dresdner
Stadtansichten, und dazu die Zeitangabe: Januar 1945, Hitlers
Ardennenoffensive ist längst gescheitert, am 12. Januar beginnt die
Großoffensive der Roten Armee im Osten. Die britische und
amerikanische Luftwaffe kontrollieren den deutschen Luftraum. Und
dennoch gibt es noch Städte, die von alldem nichts zu wissen
scheinen, die dastehen mit der steinernen Selbstverständlichkeit
aller Jahrhunderte, aus denen sie gemacht sind. Was für ein Thema,
noch immer.
Man kann die Katastrophe nicht ganz glauben, so lange man sie nicht
sieht. Die Selbstverständlichkeit des alltäglich-vertrauten Lebens in
den alltäglich-vertrauten Kulissen gibt dem, was man weiß, etwas
Irreales. Insofern ist es nicht nur eine groteske Verkennung, dass
man hier bis fast zum Schluss den Eindruck hat, sich in einer
Schöner-Wohnen-im-Dritten-Reich-Ausstattungsorgie zu befinden. Ein
guter Regisseur hätte feine, umso kältere Risse in diese
Pastellfarben-Rundwelt gezeichnet. Nun könnte es ja sein, dass
wenigstens ein Dresdner Krankenhaus im Januar 1945 einen etwas
desolaten Eindruck macht. Macht es auch, einerseits. Denn
Schwerverwundete müssen bereits ohne Morphium operiert werden. Und
zwar wegen Heiner Lauterbach. Nein, nein, kein filmfremdes Wort an
dieser Stelle über Heiner Lauterbach: hier ist er der Klinikdirektor,
der sich niemals auch nur in der Nähe eines Kranken aufzuhalten
pflegt und das ganze Morphium verschwinden lässt, um es der SS oder
sonstwem zu verkaufen, um ... egal. Krankenhausserien-Dramatik eben.
Die Tochter des gewissenlosen Chefarzt-Lauterbach ist Lolle aus
Berlin. Also Felicitas Woll als junge idealistische Krankenschwester
Anna. Die Puristen unter uns halten schon die Existenz einer jungen
idealistischen Krankenschwestern in diesem schuldbeladenen
Mitläufervolk für unerträgliche Geschichtsklitterung. Dabei könnte es
großartig sein. Wenn nicht Roland Suso Richter Regie führen würde,
der in seinen Filmen kaum ein Gespür fürs Feine, für empfindlichste
Balancen hat. Wie nötig hätte er die gebraucht. Selbst die englischen
Flieger wirken holzschnitthaft. Ein Bomber wird beim Angriff auf
Magdeburg abgeschossen. Warum der Pilot Robert Newman mit seinem
Rettungsfallschirm bei Dresden abspringt, bleibt ewiges
Regiegeheimnis. Das deutsche Volk ist wachsam, es schießt umgehend
auf die notgelandeten Feinde, und Robert Newman bekommt einen bösen
Bauchschuss, mit dem er bemerkenswert gut wegrennen kann. Durch ganz
Dresden, bis in Lolle-Annas Schwesternzimmer, wo er den Schwestern
das Frühstück wegisst! Mit einem Bauchschuss! Ist das nicht tödlich?
Und etwas später liebt er diese Anna im Krankenhausbett. Im
Riesenschlafsaal. Mit Bauchschuss. Das gibt's in keiner
Krankenhausserie! Mein Gott, Richter!
Manche glauben, wer große Stoffe wie diesen auf fernsehtaugliche
Formate bringt und in den Rahmen von Einzelschicksalen presst,
trivialisiert von vornherein. Warum eigentlich? Es sind Menschen, die
so zeitlose Sätze sprechen wie Churchills Bomber-General Harris: Es
gibt Leute, die glauben, mit Bomben kann man keinen Krieg gewinnen.
Es ist nur noch nicht versucht worden! Bemerkenswert ist auch das
Wort „überbombt“. Ist Deutschland nicht schon etwas „überbombt“?,
überlegten selbst britische Militärs. Es ist nicht schwer,
Bombenschächte zu öffnen und Tausende zu töten, aber dann steht
dieser britische Pilot zum ersten Mal vor der deutschen
Krankenschwester und kann sie nicht töten. Warum das nicht zeigen?
Die Wahrheit ist immer konkret. Nur das Kriegführen ist zunehmend
abstrakt. Und dass Churchills Strategie des „moral bombing“ schon
damals ein makabrer Irrtum war, ist noch heute bedenkenswert: Unter
dem Bombenterror würde die Bevölkerung sich gegen die eigenen
Tyrannen wenden. Das war die Hoffnung. Falsch. Die Bomben schufen
eine fatale Schicksalsgemeinschaft.