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Avatar von lalilalila
  • lalilalila

mehr als 1000 Beiträge seit 27.11.2001

Ich hätte mir etwas mehr vom Chefredakteur erhofft

Aus dem Text:

"Bandera war kein Massenmörder von Juden und Polen." Es gebe für entsprechende Vorwürfe keine Belege. Wer die Vorwürfe gegen den Faschisten Bandera aufgreife, folge einem russischen Narrativ, auf das auch deutsche, polnische und israelische Historiker hereingefallen seien.

Nun regen sich alle drüber auf. Und Harald Neuber (der Autor und Chefredakteur von TP) führt als Link bpp.de an. Die schreiben aber folgendes:

Bandera ist für die Verbrechen, die OUN-B und UPA während seiner Internierung in Berlin und Sachsenhausen verübten, nur indirekt verantwortlich. Viele OUN-B-Mitglieder, die während des Holocaust in der deutschen Polizei dienten, und ein Teil der UPA-Partisanen, die Polen und Juden ermordeten, identifizierten sich zwar mit Bandera und betrachteten ihn als ihren providnyk oder bezeichneten sich selbst als banderivci (Bandera-Anhänger), aber Bandera erteilte ihnen keine Befehle. Seine politische Wirkungsmöglichkeit war in dieser Zeit eingeschränkt. Die politische Leitung war in den Händen von Roman Schuchewych, Mykola Lebed, Dmytro Kliachkivśkyj und anderen, die direkt vor Ort die Morde anordneten und die "Säuberung" der Westukraine koordinierten. Als Führer der Bewegung war Bandera jedoch moralisch für die Verbrechen der OUN-B und UPA verantwortlich. Vor dem Krieg machte er kein Geheimnis daraus, dass "nicht nur Hunderte, sondern Tausende Menschenleben geopfert werden müssen", damit die OUN ihre Ziele realisieren und ein ukrainischer Staat entstehen könne. Die Massengewalt beziehungsweise die "Säuberung" der Ukraine von Juden, Polen, Russen und anderen "Feinden" der Organisation war ein zentraler Bestandteil seiner Ziele.

Und aus der Wikipedia:

Am 25. September 1944 wurde Bandera aus der Haft entlassen. Er sollte ein ukrainisches Nationalkomitee gründen und an der Seite der Nationalsozialisten Aktionen des ukrainischen Widerstandes gegen die Rote Armee lenken, doch kam es wegen des raschen sowjetischen Vormarsches nicht mehr dazu.[2] Im Dezember 1944 lehnte Bandera die von den Nationalsozialisten angebotene Zusammenarbeit ab.

Der Brisante Teil des Interviews beginnt kurz vor 1:44 (darauf habe ich auch den Link eingestellt). Um 1:47:20 beginnt er zu widersprechen bzw. zu leugnen - je nach Lesart.
https://www.youtube.com/watch?v=JVEGR7apzoI&t=6225s
Zuvor distanziert er sich von seinem Vorgänger, der "Nazischeiß" gemacht haben soll. Er hat zuvor im Interview auch erklärt, dass in der ukrainischen Armee keine Nazisymbole erlaubt sind. Das bezieht sich aber nur auf das Hakenkreuz (Swastika), nicht auf andere Symbole wie die Sonne.

Ernsthaft brisant wird es kurz vor 1:53
https://www.youtube.com/watch?v=JVEGR7apzoI&t=6766s
"Wäre Bandera beteiligt gewesen, dann wäre er auch beim Nürnberger Kriegstribunal verurteilt worden."
Es wird entgegnet:
"Israel wollte ihn als Kriegsverbrecher anklagen. Polen, Russland, ..."
Er sagt nochmal:
"Wenn Stalin Beweise gehabt hätte in Nürnberg, dann würde hätte er längst mit allen anderen Kriegsverbrechern verurteilt gewesen." (oder so ähnlich)

Brisanz ja.

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Aber nun habe ich mal zum Chefredakteur Harald Neuber von TP etwas recherchiert. Wie geht er sonst mit Freiheitskämpfern um?
Ich bin natürlich gemein, und nehme als Schurken nicht die Faschisten, sondern die, die noch mehr Leute auf dem Gewissen haben: Kommunisten! (OK, die haben sich beim Töten etwas mehr Zeit gelassen und es nicht ganz so systematisch-industriuell verfolgt)

Verurteilt er Verherrlichungen? Macht er selbst mit? Zeigt er Verständnis für bestimmte Ansichten?

Zu Che Guevara hat er einiges geschrieben. Das Resultat könnt ihr euch denken. Genug gefunden. Der Chefred leugnet z.B., das Che ein echter Massenmörder ist. Er kritisiert (nein - eigentlich thematisiert er nur) einzig, dass er bei den Schauprozessen in Kuba massenhaft Todesurteile gesprochen hat. Ich habe nun nicht überprüft, ob das wirklich alles Mörder vom Batista-Regime waren, wie vom Chefred behauptet.

Was er aber gar nicht thematisiert - als Kuba-Experte: Das Che Guevara Wehrpflichtige in Bolivien abgeschossen hat. Eindeutig Massenmord, aber er nennt es Revolution! Er sorgt sich eher um das ikonische Andenken des Massenmörders.

OK - ja - das waren deutlich weniger Leute (Zehnerpotenzen!), als der OUN-B vorgeworfen wird, dafür war es Che selbst gewesen, der da mit abgedrückt hat und der die Todesbefehle gegeben hat. Die OUN-B hat sich nur auf Bandera berufen bzw. hat Bandera irgendetwas eventuell veröffentlicht, was Melnyk genau wissen wollte und niemand ihm gesagt hat.

Z.B.
https://www.rubikon.news/artikel/funfzig-wahrheiten-uber-che-guevara
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Aber zurück zu Bandera und Melnyk.

Historiker erkennen an, dass die Bewegung OUN am Holocaust beteiligt war. Auf alle Fälle die Leute der OUN und die OUN hat Texte mit faschistischem Inhalt verfasst (Edit: und wohl auch Bandera selbst). Melnyk leugnet das. Das ist nicht gut. Aber er macht das, was auch die Polen machen. Ich habe nun nicht überprüft - vermutlich gab es durch die OUN deutlich mehr Opfer unter den Juden, als z.B. in Polen.

Melnyk stammt aus einer Familie, die antikommunistisch eingestellt ist. Sein Onkel hat wohl Verpflegung in den Wald gebracht (und zwar natürlich nicht für geflohene Juden) und wurde nach dem Krieg mit 16 Jahren (!!) für 15 Jahre nach Sibirien in ein Straflager verschleppt. Teilweise bei -40 Grad - er hat es überlebt. 10 weitere Jahre hat er danach noch in Sibirien zubringen müssen. Als er in die Ukraine heim kam, war es 1972. Melnyk hat also eine ähnliche Geschichte, wie so viele im Ostblock, die irgendeinen Verwandten kennen, der als Politischer eingesessen hat. Entsprechend hat er eine extreme Skepsis gegenüber allem, was Russland erzählt.

Man sollte ihm erzählen, dass es sein Onkel trotzdem besser hatte, als viele seiner Altersgenossen, die z.B. einen Judenstern tragen mussten und das nicht überlebt haben. Im Video wurde schon angemerkt, dass es keine Rechtfertigung ist, dass es zuvor auch Gewalt gegen Ukrainer von Polen gab. Er nannte es Krieg.

Was ist ihm nun aber - wenn man mal keine strengeren Maßstäbe anlegt, als der Chefred sonst anlegt, nun vorzuwerfen?
OK - keine Polemik - Was ist ihm genau vorzuwerfen?
Er leugnet, dass die OUN so viele Menschen mit umgebracht hat. Das ist schlimm genug.

Das Zitat "Ich werde dir heute nicht sagen, dass ich mich davon distanziere. Und das war's!" kann man ihm übrigens nur böswillig auf das Flugblatt auslegen. Es ging zuvor um Bandera und die OUN allgemein.

Er sagt später auch nochmal "Bandera war kein Massenmörder von Juden und Polen. Er war kein Massenmörder." Hört sich für mich exakt so an, was der der Chefred über den Commandante raushaut. Nur dass es beim Chefred ganz sicher gelogen ist.

Hier auf TP bekommt man regelmäßig zu lesen, dass man Russen nicht pauschal verurteilen soll. Aber hier im Forum wird das mit Ukrainern gemacht. Der Gruß "Ehre der Ukraine" wird fälschlicher Weise als Erfindung ukrainischer Nazis dargestellt und jeder, der so grüßt von Russland und seinen Jüngern als Nazi verunglimpft. Wie die Ukrainer grüßen wollen, sollte man aber den Ukrainern überlassen.

Ansonsten ist das Thema Verstrickung in Verbrechen während des 2. Weltkrieges vielschichtig und muss irgendwann von der Ukraine aufgearbeitet werden.

Ich möchte aber nochmal erinnern: Keine 3 Prozent haben in der letzten Wahl Nazis gewählt. In Deutschland oder Russland würde man sich über so eine Quote sehr freuen.

Auf alle Fälle muss darauf geachtet werden, dass die Erzählung über Ukrainische Nazis eine Propaganda-Erzählung Russlands ist. Solange die Wagner dabei haben, haben die nicht mit einem Finger auf andere Länder zu zeigen. Russland hat den Krieg völkerrechtswidrig begonnen und das schon 2014.

Trotzdem agiert Melnyk natürlich sehr tölpelhaft - um nicht zu sagen unprofessionell. Er hatte seit 1991 die Möglichkeiten und hätte sich ein fundiertes Faktenwissen erarbeiten können. Selbst wenn er zu dem Schluss kommen sollte, dass Bandera für ihn ein Freiheitskämpfer ist, hätte er fundiert über die Ermordung von 800 000 Juden und 100 000 Polen Bescheid wissen müssen.

Edit:
Und wenn er es leugnet, dann meiner Ansicht nach mit einer noch besseren Faktenbackground. Dann muss er es begründen, auch wenn normalerweise die Ankläger Beweise vorlegen müssen.

Was ich von dem Gesprächsangebot mit der jüdischen Gemeinde halten soll, weiß ich noch nicht. Einerseits hat er anderes zu tun, andererseits muss das aus der Welt und meiner Ansicht nach muss er seinen Standpunkt richtig stellen und den Holocaust anerkennen. Und in aller Wahrscheinlichkeit auch, dass OUN-Leute und die OUN selbst daran beteiligt waren. Die jüdische Gemeinde als Opfer muss dabei auch geschont werden - Melnyk muss sich bewegen.

Aber - nochmal - trotzdem bitte keine russische Propaganda. Das gibt Russland nicht das geringste Recht, die Ukraine zu überfallen. Vor allem - das sind nur Worte im Gegensatz zu den russischen Kugeln und Bomben.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (03.07.2022 00:41).

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