cip22 schrieb am 7. Oktober 2003 12:28
> »Seine Mission beschreibt eine ganz dünne Linie zwischen
> Adrenalinsucht und Aufklärung.«
>
> So schreibt Woznicki in dem gelinkten Artikel "Der Houdini des 21.
> Jahrhunderts" über Robert Young Pelton. Der ganze Artikel ist eine
> einzige tiefe Verbeugung vor dem Mann, für den offenbar
> Aufklärungsarbeit und Reisejournalismus als der 'letzte Kick' ein und
> dasselbe sind. So weit gut.
>
> Was aber soll jetzt hier in dem Artikel über den Ulysses Award dieser
> Angriff auf den vermeintlichen Autorenkult? Während gleichzeitig in
> durchaus abfälliger Weise der 'Krisenherdjournalismus' als
> 'inoffizielle Form des Tourismus' gekennzeichnet wird?
"inoffizielle Form des Tourismus" ist schon eine ungenaue
Bezeichnung; gemeint ist "verkappt".
> Und ganz am
> Schluß taucht dann Pelton auf, der sowohl den Kult des Solitärs
> bedient als auch ein ebensogutes Beispiel für »Journalismus als
> romantischer Extremtourismus« darstellt wie Peter Arnett, aber als
> positives Gegenbeispiel - Stichwort 'Kollektive Autorenschaft'?
>
> Und was hat das Auftreten von Journalisten in Horden (embedded oder
> im Troß der Hilfsorganisationen) mit genau diesem Phänomen
> kollektiver Autorenschaft zu tun? Ich kann mir einfach keinen Reim
> drauf machen.
Auch der Autor nicht, denn sein "Bericht" pendelt zwischen
Medienschelte, Grundsatzreferat und Beobachtungsvermittlung, ohne
eine dieser Textsorten zu erfüllen.
> Ich habe Politkovskajas Reportage gelesen
Ist die auf Deutsch im WWW zu lesen?
> und muß sagen, daß ich von
> ihrem Mut, ihrer Beobachtungsgabe und ihrer Klarheit beeindruckt war.
> Solche Texte, und das ist wohl die Pointe des Preises, entstehen nur,
> wenn jemand hinfährt, die Augen aufmacht und beschreibt, was er
> sieht, statt Agenturmeldungen wiederzukäuen und sich dabei ganz auf
> die gängigen Metaphern (und das Futter für diese - in Form von
> bezahlten Verlautbarungen irgendwelcher PR-Agenturen oder
> halbseidener 'Zeugen'berichte wie in Jugoslawien oder Irak) zu
> verlassen. Wenn der Kult des individuellen Autors zum Gegenstand hat,
> daß ein Mensch in der Lage ist, zu Einsichten zu kommen, indem er
> sich vor Ort mit den Ereignissen und ihren Akteuren auseinandersetzt,
> dann bin ich ab heute ein Anhänger dieses Kultes.
Ich auch. Die russische Journalistin ist verschiedentlich in der
deutschen Presse gelobt worden, und es wurde über die gegen sie
ausgeübte Gewalt berichtet. Der Autor verkennt, dass auch beim
Teamwork Einzelne nötig sind, die bestimmte, seltene Eigentschaften
mitbringen, die zum Erreichen besonderer Leistungen nötig sind.
Niemand leistet heutzutage etwas allein. Aber gerade der wesentliche,
individuelle Beitrag soll gefördert und prämiert werden, um einen
Anreiz zum Nachahmen zu schaffen.
> Wohlgemerkt beinhaltet dieser Kult (in der von mir bevorzugten
> Fassung) auch das Element der Unparteilichkeit - sprich: wenn am
> Schluß der Leser Partei ergreift, dann gerade *nicht*, weil das schon
> der Journalist getan hat, möglichst in Absprache mit dem jeweiligen
> Verteidungsminister (vgl. 'Journalism of Attachment')...
Das sollte der Grundsatz eines guten Journalismus sein. Gerade dieses
Merkmal verfehlt aber der Autor. Sein Gedankengang ist unklar, seine
Wortwahl kongenial schwammig.
"Heute ist dieses Genre längst kein solitäres Unterfangen mehr, das
bestätigt auch die Abnehmerseite: Bilder und Berichte aus
Krisenregionen überschwemmen den Planeten, genauso wie die
Journalisten, die sich auf die Jagd nach ihnen gemacht haben." Die
Abnehmer spielen für die Beurteilung des Produktionsprozesses nun
wirklich keine Rolle. Aber auch der fänomenologische Ansatz, führt in
die Irre. Jeder stirbt für sich allein. Wer den absolut genialen
Dokumentarfilm "War Photographer" von Frei Christian über den
USamerikanischer Nachtwey James gesehen hat, weiß, dass es in einem
Rudel Journalisten immer auf den Einzelnen ankommt. Und mit Tourismus
hat der seriöse Krisengebietsjournalismus genausoviel gemeinsam wie
ein Metzger mit einem Chirurgen.
"Zurückzuverfolgen ist diese Entwicklung bis in die zweite Hälfte des
20. Jahrhunderts. Bereits damals reisten Reporter an die Front mit
dem Selbstverständnis des Touristen." Und was soll diese polemische
Parallele beweisen? Viel lieber würde ich lesen, mit welchen Motiven
sich die ausgezeichneten Journalisten in Gefahr begaben. Zudem hab
ich den Verdacht, dass einige der preiswürdigen Reportagen gar nicht
aus Krisengebieten stammen, sondern gesellschaftlich
hochproblematische Missstände anprangern. Aber es ist halt so schön
praktisch, alle in einen Topf zu werfen.
Den selben geringen Beweiswert haben seine Auslassungen über Arnet
Peter, der nicht mit einem Preis bedacht wurde, wenn ich mich auf den
"Bericht" verlasse. Überhaupt kommen die Preisträger im Artikel nicht
vor, und die Einleitung scheint mir eine Irreführung, da auch die
Jury, das Auswahlverfahren und die Würdigung der prämierten Arbeiten
fehlen.
Ein gutes Beispiel für den Zickzackkurs ist der folgende Abschnitt:
"Doch reflektiert der Ulysses Award for the Art of Reportage diesen
Zusammenhang? Wird der touristische Blick zum Kriterium bei der
Auswahl von Autoren und Texten? Im Augenblick sieht es nicht danach
aus. Allein die Tatsache, dass seit 1975, dem offiziellen
Schlusspunkt der Kolonialära, die Schauplätze zugenommen haben und im
Zuge dessen die Brennpunkte zu häufig ihren Intensitätsgrad und
Marktwert wechseln, scheint (zufällig?) berücksichtigt worden zu sein
und damit die Konsequenz, dass Reporter immer mehr den Lifestyle des
Globetrotters annehmen. Die niederländische Autorin Linda Polman, die
ebenfalls für den Preis nominiert war, begleitete bekanntermaßen drei
Jahre lang UN-Truppen auf ihren Friedensmissionen in Somalia, Haiti
und Ruanda."
Die einleitende Frage ist falsch gestellt. Der Preis konzentriert
sich erstens nicht nur auf Krisengebietsjournalismus, und die
Relevanz der vom Autor diagnostizierten Entwicklung des Genres für
die prämierten Werke müsste er erst einmal zeigen. So misst er den
Preis an einer nicht adäquaten Vorgabe.
Die zweite Frage steht im Widerspruch zur ersten, denn selbst wenn
der Preis sich auf die Vorgaben des Autors einließe, würde doch
gerade ein bewusster Umgang mit den Auswüchsen zum Vermeiden der
touristischen Kriterien beim Auswählen führen. Es ist somit kein
Wunder, dass dies nicht der Fall ist, wenn auch aus anderen Gründen.
Ein Wunder ist es dagegen, dass der Autor bemerkt, dass offenbar ganz
andere Kriterien beim Auswählen eine Rolle gespielt haben. Nur fehlt
im offenbar die Fantasie, andere als den Personenkult dahinter zu
vermuten. Schade.
Vollends abgehoben ist dann der Bezug zum angeblichen Lifestyle eines
Globetrotters. Was das mit der Bewertung der Arbeiten zu tun hat,
bleibt wohl auf immer das Geheimnis des Autors. Oder hat ihm seine
Besessenheit von diesem Aspekt die Feder geführt? Keinen Aufschluss
liefert jedenfalls der Verweis auf eine weitere, nicht prämierte
Arbeit. Oder soll das ein Bericht über Reportagen und Reporter sein,
die bei der Preisverleihung leer ausgingen?
Geradezu lächerlich ist die unterschwellig unterstellte Analogie der
Herodotschen Reisen zu einem wie immer gearteten Krisentourismus der
Journalisten, da das Reisen in der Antike eine völlig andere Qualität
hatte.
Völlig absurd ist auch die einseitige Interpretation des Namens als
Propagieren des Einzelkämpfertums, denn Odysseus war bekanntlich die
meiste Zeit seiner Irrfahrt in bester Gesellschaft.
Der intellektuelle Absturz mit dem Versuch, die Beweis- und
Informationsqualität von Web-Beiträgen auf eine sogar höhere Stufe
als den Recherche-Journalismus zu stellen, erinnert an das
verzweifelte Rudern eines Ertrinkenden. Wenn er weiter so arbeitet,
wird er diesen Preis nicht erhalten. Oder erwartet er, dass er ohne
sein Zutun als Mitglied der Journalistengemeinschaft irgendwann
bedacht wird?
> »Seine Mission beschreibt eine ganz dünne Linie zwischen
> Adrenalinsucht und Aufklärung.«
>
> So schreibt Woznicki in dem gelinkten Artikel "Der Houdini des 21.
> Jahrhunderts" über Robert Young Pelton. Der ganze Artikel ist eine
> einzige tiefe Verbeugung vor dem Mann, für den offenbar
> Aufklärungsarbeit und Reisejournalismus als der 'letzte Kick' ein und
> dasselbe sind. So weit gut.
>
> Was aber soll jetzt hier in dem Artikel über den Ulysses Award dieser
> Angriff auf den vermeintlichen Autorenkult? Während gleichzeitig in
> durchaus abfälliger Weise der 'Krisenherdjournalismus' als
> 'inoffizielle Form des Tourismus' gekennzeichnet wird?
"inoffizielle Form des Tourismus" ist schon eine ungenaue
Bezeichnung; gemeint ist "verkappt".
> Und ganz am
> Schluß taucht dann Pelton auf, der sowohl den Kult des Solitärs
> bedient als auch ein ebensogutes Beispiel für »Journalismus als
> romantischer Extremtourismus« darstellt wie Peter Arnett, aber als
> positives Gegenbeispiel - Stichwort 'Kollektive Autorenschaft'?
>
> Und was hat das Auftreten von Journalisten in Horden (embedded oder
> im Troß der Hilfsorganisationen) mit genau diesem Phänomen
> kollektiver Autorenschaft zu tun? Ich kann mir einfach keinen Reim
> drauf machen.
Auch der Autor nicht, denn sein "Bericht" pendelt zwischen
Medienschelte, Grundsatzreferat und Beobachtungsvermittlung, ohne
eine dieser Textsorten zu erfüllen.
> Ich habe Politkovskajas Reportage gelesen
Ist die auf Deutsch im WWW zu lesen?
> und muß sagen, daß ich von
> ihrem Mut, ihrer Beobachtungsgabe und ihrer Klarheit beeindruckt war.
> Solche Texte, und das ist wohl die Pointe des Preises, entstehen nur,
> wenn jemand hinfährt, die Augen aufmacht und beschreibt, was er
> sieht, statt Agenturmeldungen wiederzukäuen und sich dabei ganz auf
> die gängigen Metaphern (und das Futter für diese - in Form von
> bezahlten Verlautbarungen irgendwelcher PR-Agenturen oder
> halbseidener 'Zeugen'berichte wie in Jugoslawien oder Irak) zu
> verlassen. Wenn der Kult des individuellen Autors zum Gegenstand hat,
> daß ein Mensch in der Lage ist, zu Einsichten zu kommen, indem er
> sich vor Ort mit den Ereignissen und ihren Akteuren auseinandersetzt,
> dann bin ich ab heute ein Anhänger dieses Kultes.
Ich auch. Die russische Journalistin ist verschiedentlich in der
deutschen Presse gelobt worden, und es wurde über die gegen sie
ausgeübte Gewalt berichtet. Der Autor verkennt, dass auch beim
Teamwork Einzelne nötig sind, die bestimmte, seltene Eigentschaften
mitbringen, die zum Erreichen besonderer Leistungen nötig sind.
Niemand leistet heutzutage etwas allein. Aber gerade der wesentliche,
individuelle Beitrag soll gefördert und prämiert werden, um einen
Anreiz zum Nachahmen zu schaffen.
> Wohlgemerkt beinhaltet dieser Kult (in der von mir bevorzugten
> Fassung) auch das Element der Unparteilichkeit - sprich: wenn am
> Schluß der Leser Partei ergreift, dann gerade *nicht*, weil das schon
> der Journalist getan hat, möglichst in Absprache mit dem jeweiligen
> Verteidungsminister (vgl. 'Journalism of Attachment')...
Das sollte der Grundsatz eines guten Journalismus sein. Gerade dieses
Merkmal verfehlt aber der Autor. Sein Gedankengang ist unklar, seine
Wortwahl kongenial schwammig.
"Heute ist dieses Genre längst kein solitäres Unterfangen mehr, das
bestätigt auch die Abnehmerseite: Bilder und Berichte aus
Krisenregionen überschwemmen den Planeten, genauso wie die
Journalisten, die sich auf die Jagd nach ihnen gemacht haben." Die
Abnehmer spielen für die Beurteilung des Produktionsprozesses nun
wirklich keine Rolle. Aber auch der fänomenologische Ansatz, führt in
die Irre. Jeder stirbt für sich allein. Wer den absolut genialen
Dokumentarfilm "War Photographer" von Frei Christian über den
USamerikanischer Nachtwey James gesehen hat, weiß, dass es in einem
Rudel Journalisten immer auf den Einzelnen ankommt. Und mit Tourismus
hat der seriöse Krisengebietsjournalismus genausoviel gemeinsam wie
ein Metzger mit einem Chirurgen.
"Zurückzuverfolgen ist diese Entwicklung bis in die zweite Hälfte des
20. Jahrhunderts. Bereits damals reisten Reporter an die Front mit
dem Selbstverständnis des Touristen." Und was soll diese polemische
Parallele beweisen? Viel lieber würde ich lesen, mit welchen Motiven
sich die ausgezeichneten Journalisten in Gefahr begaben. Zudem hab
ich den Verdacht, dass einige der preiswürdigen Reportagen gar nicht
aus Krisengebieten stammen, sondern gesellschaftlich
hochproblematische Missstände anprangern. Aber es ist halt so schön
praktisch, alle in einen Topf zu werfen.
Den selben geringen Beweiswert haben seine Auslassungen über Arnet
Peter, der nicht mit einem Preis bedacht wurde, wenn ich mich auf den
"Bericht" verlasse. Überhaupt kommen die Preisträger im Artikel nicht
vor, und die Einleitung scheint mir eine Irreführung, da auch die
Jury, das Auswahlverfahren und die Würdigung der prämierten Arbeiten
fehlen.
Ein gutes Beispiel für den Zickzackkurs ist der folgende Abschnitt:
"Doch reflektiert der Ulysses Award for the Art of Reportage diesen
Zusammenhang? Wird der touristische Blick zum Kriterium bei der
Auswahl von Autoren und Texten? Im Augenblick sieht es nicht danach
aus. Allein die Tatsache, dass seit 1975, dem offiziellen
Schlusspunkt der Kolonialära, die Schauplätze zugenommen haben und im
Zuge dessen die Brennpunkte zu häufig ihren Intensitätsgrad und
Marktwert wechseln, scheint (zufällig?) berücksichtigt worden zu sein
und damit die Konsequenz, dass Reporter immer mehr den Lifestyle des
Globetrotters annehmen. Die niederländische Autorin Linda Polman, die
ebenfalls für den Preis nominiert war, begleitete bekanntermaßen drei
Jahre lang UN-Truppen auf ihren Friedensmissionen in Somalia, Haiti
und Ruanda."
Die einleitende Frage ist falsch gestellt. Der Preis konzentriert
sich erstens nicht nur auf Krisengebietsjournalismus, und die
Relevanz der vom Autor diagnostizierten Entwicklung des Genres für
die prämierten Werke müsste er erst einmal zeigen. So misst er den
Preis an einer nicht adäquaten Vorgabe.
Die zweite Frage steht im Widerspruch zur ersten, denn selbst wenn
der Preis sich auf die Vorgaben des Autors einließe, würde doch
gerade ein bewusster Umgang mit den Auswüchsen zum Vermeiden der
touristischen Kriterien beim Auswählen führen. Es ist somit kein
Wunder, dass dies nicht der Fall ist, wenn auch aus anderen Gründen.
Ein Wunder ist es dagegen, dass der Autor bemerkt, dass offenbar ganz
andere Kriterien beim Auswählen eine Rolle gespielt haben. Nur fehlt
im offenbar die Fantasie, andere als den Personenkult dahinter zu
vermuten. Schade.
Vollends abgehoben ist dann der Bezug zum angeblichen Lifestyle eines
Globetrotters. Was das mit der Bewertung der Arbeiten zu tun hat,
bleibt wohl auf immer das Geheimnis des Autors. Oder hat ihm seine
Besessenheit von diesem Aspekt die Feder geführt? Keinen Aufschluss
liefert jedenfalls der Verweis auf eine weitere, nicht prämierte
Arbeit. Oder soll das ein Bericht über Reportagen und Reporter sein,
die bei der Preisverleihung leer ausgingen?
Geradezu lächerlich ist die unterschwellig unterstellte Analogie der
Herodotschen Reisen zu einem wie immer gearteten Krisentourismus der
Journalisten, da das Reisen in der Antike eine völlig andere Qualität
hatte.
Völlig absurd ist auch die einseitige Interpretation des Namens als
Propagieren des Einzelkämpfertums, denn Odysseus war bekanntlich die
meiste Zeit seiner Irrfahrt in bester Gesellschaft.
Der intellektuelle Absturz mit dem Versuch, die Beweis- und
Informationsqualität von Web-Beiträgen auf eine sogar höhere Stufe
als den Recherche-Journalismus zu stellen, erinnert an das
verzweifelte Rudern eines Ertrinkenden. Wenn er weiter so arbeitet,
wird er diesen Preis nicht erhalten. Oder erwartet er, dass er ohne
sein Zutun als Mitglied der Journalistengemeinschaft irgendwann
bedacht wird?