Das Problem des völkerrechtlichen Konzepts Responsibility to Protect (R2P) besteht darin, dass es die innere Souveränität von Nationalstaaten völkerrechtlich neu definiert; nämlich als staatliche Pflicht, die Grundrechte aller Menschen im verantworteten Staatsgebiet zu schützen –, denn andernfalls geht diese Schutzpflicht automatisch auf die internationale Staatengemeinschaft über, mit allen Konsequenzen für eine an der Umsetzung dieser Schutzpflicht gescheiterten und deshalb delegimierten Regierung.
Für stabile Staaten ist eine solche Schutzpflicht keine Belastung, doch spätestens der Fall eines Bürgerkriegs (nichtinternationaler bewaffneter Konflikt, in dem alle Konfliktparteien für einen Sieg zwangsläufig schwerste Menschenrechtsverletzungen in Kauf nehmen) sollte definitionsgemäß Regierungsversagen beweisen und folglich gerade aufgrund des R2P-Konzepts jeden Rest von Staatlichkeit prinzipiell delegitimieren, was wiederum alle Rebellen strukturell begünstigen sowie spätestens dann zum Sieg führen muss, sobald Akteure der internationalen Staatengemeinschaft, stellvertretend für die delegitimierte Staatsgewalt, jener Pflicht zum Schutz der Menschenrechte im Staatsgebiet militärisch nachkommen, allerdings ohne dort auch dauerhaft für eine neue und künftig stabilere menschenrechtskonforme Staatlichkeit verantwortlich garantieren zu müssen.
Prinzipiell sollte das bloße Wissen um die Existenz des R2P-Konzepts die Wahrscheinlichkeit für Umsturzversuche erhöhen, die aber selbst im Erfolgsfall die lokale Menschenrechtssituation nicht zwangsläufig verbessern müssen. Auch könnte die Norm schwere Menschenrechtsverletzungen gerade in Bürgerkriegen ungewollt fördern, da sie lediglich die Staatsgewalt völkerrechtlich bindet. Und schließlich erhöht das R2P-Konzept die Gefahr eines Krieges (internationaler bewaffneter Konflikt) ganz grundsätzlich, weil im Falle eines Aufstands plötzlich alle Konfliktparteien andere Nationalstaaten um militärische Unterstützung bitten können, was zuvor völkerrechtlich wegen des Gewaltverbots zwischen Staaten das alleinige Privileg einer rechtmäßigen Regierung war, gerade um einer Ausweitung lokaler bewaffneter Konflikte zu klassischen Kriegen vorzubeugen.
Zwar bin ich weder Jurist noch Philosoph, halte aber dennoch jede Form von Selbstermächtigung der internationalen Staatengemeinschaft zu potentiell tödlichen Gewaltmaßnahmen, die im Krieg zwangsläufig immer auch Unbeteiligte treffen müssen, auf der Grundlage eines R2P-Konzepts für ethisch niemals zu rechtfertigen, weil es hierfür sowohl an einer demokratischen Grundlage fehlt, in die Verpflichtung einer rechtmäßigen Regierung ungefragt eintreten zu dürfen, als auch ein Recht zur Nothilfe prinzipiell nie über das natürliche Selbstverteidigungsrecht hinausreichen darf, zumal es sich in beiden Fällen eben nicht um echte Pflichten sondern um bloße Rechtfertigungsgründe für eine an sich verbotene Gewaltanwendung handelt. Tatsächlich kann etwa im deutschen Recht selbst tödliche Gewalt gegen an einem rechtwidrigen Angriff komplett Unbeteiligte (als sog. Kollateralschaden) im Zuge einer Selbstverteidigungshandlung entschuldigt sein (§ 35 StGB), jedoch selten bei bloßer Nothilfe, wobei sich dieser überraschende Unterschied aus der Interpretation des Menschenwürdekonzepts ergibt, wonach man eigentlich nur (!) das eigene Leben sogar für so wertvoll halten darf wie das Überleben der Menschheit.
Kurzum, die innere Souveränität von Nationalstaaten darf nie automatisiert auf externe Gremien übergehen, die als hilfswillige Dritte ethisch auch keine zivilen Kollateralschäden bewaffneter Konflikte verantworten könnten.