Man stelle sich das vor: ein russischer Soldat ist fahnenflüchtig, weil er in der Ukraine nicht kämpfen möchte. Ob er nun aus moralischen Überlegungen handelt oder sich den Dienst in Uniform anders vorgestellt hat - keine Ahnung.
Nach Entledigung seiner Uniform / Rankabzeichen landet er dann beispielsweise im "neutralen" Polen und bittet dort um Asyl: "er werde verfolgt". Fahnenflucht ist in Deutschland strafbar (siehe Quelle) und mit Sicherheit auch in Russland, ergo wird er tatsächlich verfolgt, nämlich vom militärpolizeilichen Dienst. Er würde sich einem geordneten Strafvollzug entziehen.
Q: https://www.gesetze-im-internet.de/wstrg/__16.html
Frage: kann der fahnenflüchtige Soldat erfolgreich Asyl beantragen, wenn er sonst bei Rückkehr ins Land mit Bestrafung wegen einer (potentiell) moralisch begründbaren Entscheidung rechnen muss?
Jetzt ersetzen wir im Kopf mal "Russischer Soldat" mit "Ukrainischer Soldat", der Rest bleibt aber gleich. Auch in der Ukraine ist Fahnenflucht strafbar. Was nun?
Das Szenario lässt sich noch weiter modifizieren. In beiden Staaten werden Menschen gibt es einen gewissen Rekrutierungsdruck, in der Ukraine mehr als in Russland. In beiden Staaten werden Menschen von der Perspektive bedroht, in eine Uniform gesteckt und mit einer Waffe in der Hand an die Front geschickt zu werden - und haben bereits die Flucht angetreten oder sind bereits erfolgreich geflohnen. Da diese Menschen noch keinen Eid geleistet haben, müssten sie doch Zivilisten sein, selbst wenn sie eine Einladung zur Musterung erhalten haben - oder sehe ich das falsch?
Egal ob Russe oder Ukrainer: hat ein geflohener Zivilist nicht Anspruch auf Asyl, wenn er im Falle einer Rückkehr bedroht wird von Gewalt oder Tod? Denn das ist der Fall: kehrt der Geflohene zurück, könnte er nach den Gesetzen des Landes schwer bestraft werden. Selbst wenn aus der Not heraus auf die Bestrafung verzichtet würde, wäre dann die Perspektive die Verwendung als Soldat an einem Frontabschnitt: hier erwarten ihn Gewalt und die Gefahr, tödlich verwundet zu werden.
Fahnenflüchtige Soldaten und sich der Einberufung verweigernde Zivilisten, egal ob Ukrainer, Russe oder Weißrusse - was nun? Warum die Unterscheidung? Es wäre schon sehr opportunistisch und moralisch nicht zu rechtfertigen, wenn man russischen Soldaten und Zivilisten das Bleiberecht gewährt, um dem russischen Präsidenten zu schaden, ukrainische Soldaten und Zivilisten dagegen nach Anfrage Kiew's zurückschickt in das Land und damit in den Krieg, um dem Land zu "helfen".
Wer erkennt hier ein Problem und kann mir helfen?
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Gab es nicht mal eine Zeit, als man Asyl nur für religiös und politisch verfolgte Personen gewährte, nicht aber Fliehenden aus einem kriegsführenden Land? Ich meine da gab's mal was. Vermutlich liegt das an den obigen Überlegungen: formal ist ein Fahnenflüchtiger eben KEINE politisch verfolgte Person, sondern wird strafrechtlich, also von der Justiz verfolgt. Müsste dann nicht eine Auslieferung stattfinden, damit Recht gesprochen werden kann?
Bei einem vor der Zwangsrekrutierung fliehenden Zivilisten sieht die Sache anders aus: er kann kein Fahnenflüchtiger sein ohne seinen Eid geleistet zu haben. Wenn Menschen also aus dem berechtigten Interesse heraus fliehen, um dem Militärdienst zu entgehen, warum sollte man diese dann ausliefern?
PS: ich bin kein Freund unbegrenzter Flüchtlingsaufnahme. Aber mir will es nicht schmecken, Menschen, die nicht töten wollen, in ihr Land zurückzuschicken, wo sie zwangsrekrutiert an die Front geschickt werden ...
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (07.09.2023 16:51).