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mehr als 1000 Beiträge seit 30.01.2003

Die Nachricht im Kriege

ist 1 bisschen O.T., zeigt aber, dass die Medienskepsis von heute
keine neue Erfindung ist von Leuten, die ständig herumtönen: "Seht
nur wie superskeptisch ich bin". Es gibt da nix Neues unter der
Sonne...

 Trotzdem ein lesenswerter Text : Claus von Clausewitz : Die
Nachricht im Kriege

gtx   schwarzbart
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Ein großer Teil der Nachrichten, die man im Kriege bekommt, ist
widersprechend, ein noch größerer ist falsch und bei weitem der
größte einer ziemlichen Ungewißheit unterworfen. Was man hier vom
Offizier fordern kann, ist ein gewisses Unterscheiden, was nur Sach-
und Menschenkenntnis und Urteil geben können. Das Gesetz des
Wahrscheinlichen muß ihn leiten. Diese Schwierigkeit ist nicht
unbedeutend bei den ersten Entwürfen, die auf dem Zimmer und noch
außer der eigentlichen Kriegssphäre gemacht werden, aber unendlich
größer ist sie da, wo im Getümmel des Krieges selbst eine Nachricht
die andere drängt; ein Glück noch, wenn sie, einander widersprechend,
ein gewisses Gleichgewicht erzeugen und die Kritik selbst
herausfordern. Viel schlimmer für den Nichtgeprüften, wenn ihm der
Zufall diesen Dienst nicht erweist, sondern eine Nachricht die andere
unterstützt, bestätigt, vergrößert, das Bild mit immer neuen Farben
ausmalt, bis die Notwendigkeit uns in fliegender Eile den Entschluß
abgedrängt hat, der - bald als Torheit erkannt wird, so wie alle jene
Nachrichten, als Lügen, Übertreibungen, Irrtümer usw. Mit kurzen
Worten: die meisten Nachrichten sind falsch, und die Furchtsamkeit
der Menschen wird zur neuen Kraft der Lüge und Unwahrheit. In der
Regel ist jeder geneigt, das Schlimme eher zu glauben als das Gute;
jeder ist geneigt, das Schlimme etwas zu vergrößern, und die
Gefährlichkeiten, welche auf diese Weise berichtet werden, ob sie
gleich wie die Wellen des Meeres in sich selbst zusammensinken,
kehren doch wie jene ohne sichtbare Veranlassung immer von neuem
zurück. Fest im Vertrauen auf sein besseres inneres Wissen muß der
Führer dastehen wie der Fels, an dem die Welle sich bricht. Die Rolle
ist nicht leicht; wer nicht von Natur mit leichtem Blute begabt oder
durch kriegerische Erfahrungen geübt und im Urteil gestärkt ist, mag
es sich eine Regel sein lassen, sich gewaltsam, d. h. gegen das
innere Niveau seiner eigenen Überzeugung von der Seite der
Befürchtungen ab auf die Seite der Hoffnungen hinzuneigen; er wird
nur dadurch das wahre Gleichgewicht erhalten können. Diese
Schwierigkeit richtig zu sehen, welche eine der allergrößten
Friktionen im Kriege ausmacht, läßt die Dinge ganz anders erscheinen,
als man sie gedacht hat. Der Eindruck der Sinne ist stärker als die
Vorstellungen des überlegenden Kalküls, und dies geht so weit, daß
wohl noch nie eine einigermaßen wichtige Unternehmung ausgeführt
worden ist, wo der Befehlshaber nicht in den ersten Momenten der
Ausführung neue Zweifel bei sich zu besiegen gehabt hätte.
Gewöhnliche Menschen, die fremden Eingebungen folgen, werden daher
meistens unschlüssig an Ort und Stelle; sie glauben die Umstände
anders gefunden zu haben, als sie solche vorausgesetzt hatten, und
zwar um so mehr, da sie auch hier sich wieder fremden Eingebungen
überlassen. Aber auch der, welcher selbst entwarf und jetzt mit
eigenen Augen sieht, wird leicht an seiner vorigen Meinung irre.
Festes Vertrauen zu sich selbst muß ihn gegen den scheinbaren Drang
des Augenblicks waffnen; seine frühere Überzeugung wird sich bei der
Entwicklung bewähren, wenn die vorderen Kulissen, welche das
Schicksal in die Kriegsszenen einschiebt, mit ihren dick
aufgetragenen Gestalten der Gefahr weggezogen und der Horizont
erweitert ist. - Dies ist eine der großen Klüfte zwischen Entwerfen
und Ausführen.
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