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  • Irwisch

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Re: Weit näher liegt die folgende Interpretation

Twistie2015 schrieb am 19.01.2019 15:50:

Irwisch schrieb am 18.01.2019 21:07:

Das war es, was mir vor einigen Tagen, als ich diesen Film gesehen habe, anschließend durch den Kopf ging: Nur nicht hinschauen, nur nichts wissen wollen, immer nur den alten bewährten Vorurteilen folgen, denn wenn man einmal zu zweifeln beginnt, dann schaut man vielleicht doch hin und ist anschließend verloren, so die Botschaft des Films.

Das erinnerte mich spontan an eine Verwandte, die sehr direkt sagte "sicher kann ich mir Gedanken machen und deine Artikel lesen, will ich aber nicht, ich will darüber nicht nachdenken - ich will einfach meinen Job machen, meinen Partner haben und gut ist."

Solche Menschen kenne ich zu Hauf, solche Reaktionen begegnen mir ständig. Erst kürzlich wieder bei der Tafel traf ich auf einen nicht mehr ganz so jungen Mann, schätzungsweise Ende dreißig Anfang vierzig, kein Deutscher (Akzent), aber mit guten Deutschkenntnissen, ein wenig übergewichtig und die Kraushaare immer sehr fettig. Anfangs machte er auf mich einen eher aufgeweckten Eindruck. Dann kamen wir vor zwei Wochen mal etwas näher ins Gespräch – und ich war entsetzt. Er faselte von Illuminaten und Chemtrails und wie man uns spiritistisch gehirnwäscht und dergleichen. Ich fragte ihn nach Beweisen, die gäbe es durchaus, aber er konnte mir keine nennen. Daraufhin riet ich ins Blaue hinein, erwähnte Youtube-Videos, die ich auch alle gesehen habe, die mich aber nicht wirklich überzeugen konnten. Was er denn so liest. Bücher nicht, da werde man indoktriniert, gehirngewaschen, und außerdem seien die immer so langatmig. Dann ergriff ich wieder das Wort und gab ihm einen etwa 5-minütigen Umriß der Psychologie, wie Kinder von Beginn an daran gehindert werden, sich artgerecht zu entwickeln, wie man ihnen dadurch Gehorsam und Unterwerfungsbereitschaft induziere und die Folgen davon. Er gähnte mehrmals demonstrativ und setzte sich, als ich nicht darauf einging, mit der Bemerkung, er wäre gleich dran, näher an die Eingangstür zum Ausgaberaum, weit weg von mir, wo er dann noch geschlagene 20 Minuten allein sitzenblieb. Eigentlich wollte er mir nur "seins" erzählen und nicht "meins" hören.

Fast alle Menschen, denen ich hier in meiner Ecke live begegne, winken auf die eine oder andere Art ab, wenn man ihnen Zusammenhänge, die man herausgefunden hat, zu erläutern versucht. Meine Nachbarin, bei der ich mal nur ganz allgemein auf Erziehung zu sprechen kam, fühlte sich sogleich bedroht, weil sie glaubte, ich wolle ihre eigenen Erziehungsmethoden, die ich gar nicht kenne, thematisieren, fast so, als habe sie ein schlechtes Gewissen oder ahne zumindest, daß da einiges schiefgelaufen war beim Heranwachsen ihres einzigen Sohnes, der seither ständig in der Welt herumfliegt und die Passagiere bedient, also ein eher unstetes Leben führt. Dabei wollte ich sie nur mit den Erkenntnissen von Arno Gruen bekanntmachen, weil ich darin die Hauptursache für alle heutigen gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen zu sehen glaube. War nichts zu machen, die Dame hat zwei Fernseher, wohnt wie ich alleine in ihre Zwei-Zimmer-Wohnung, geht arbeiten und hat sonst offenbar niemanden.

Ich fürchte, daß die meisten heutigen Menschen so sind. Die wollen einfach nur ihr kleinkariertes Leben führen, schotten sich regelrecht ab, sind froh, einen Job zu haben – ohne auch nur im geringsten zu ahnen, daß sie eigentlich ständig in Angst leben, einer Angst, die so zur Gewohnheit geworden ist, daß sie sie kaum noch bemerken. Wir leben quasi in einem System, das vor allem dazu dient, jeden einzelnen in diesem Zustand zu halten. Ich wußte vor 20 Jahren auch noch nicht, daß ich hauptsächlich im Überlebensmodus bin, daß ich darum besorgt war, nur ja nichts Falsches zu tun, um nicht irgend einen Nachteil erleiden zu müssen. Jeder ist durch die Behörden erreichbar, jeder steht unter dem Druck, sein Lebensrecht verdienen zu müssen, hat Angst, sozial und wirtschaftlich ausgegrenzt zu werden (soziale Ausgrenzung hat früher, bevor wir Menschen seßhaft wurden, gewöhnlich zum baldigen Tod durch Raubtiere geführt). Auch die Reichen und Superreichen haben Angst, daß man ihnen was wegnehmen könnte, daß sie ihre eingebildete Stärke, die ja gar nicht ihre eigene ist, verlieren könnten. All diese Zusammenhänge kann man kaum irgendwo thematisieren, eben weil jeder Angst hat und all das nicht wissen will, um wie gewohnt die Angst unten halten zu können.

Da herrscht ein gewaltiger Druck in all den Milliarden Individuen, oder doch zumindest unter denen, die in halbwegs modernen Industrienationen leben. Sobald die wirtschaftlichen Verhältnisse, die ja bereits jetzt stetig schlechter werden, ein bestimmtes Maß unterschreiten, entlädt sich dieser Druck auf die eine oder andere Weise. Davor habe ich Angst.

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