Ersteinmal ein spätes Danke für diesen Artikel - er spricht mir aus dem Herzen.
Die Frage drängt sich auf - warum ist das Alles so? Warum begibt die Linke sich selbst in das Korsett bürgerlicher Moralistik?
Ein (aus meiner Sicht) Grund wurde im Artikel angesprochen - Vertreter der Intellektuellen und politischen Linken gehören in den seltensten Fällen selbst zu der ökonomischen Klasse - deren Interessen sie traditionell vertrat. Im Gegenteil - es ist nicht nur mies bezahlt, ein Prolet zu sein - am Fließband zu schuften oder auf ner Baustelle - sondern gilt auch als absolut uncool.
Das ist beinahe soetwas wie ein „Grundwiderspruch des Sozialismus“. Zwar sind auch in einer sozialistischen Welt die Eliten (etwas) besser gestellt als der Durchschnitt - jedoch bei Weitem nicht so gut wie die Wenigen auf Kosten der Vielen in einer kapitalistischen.
Aus materialistischer Sicht haben also Eliten, auch solche mit linkem Anstrich, keinerlei Motivation, die Welt gerechter für Alle zu gestalten.
Der zweite Problemkomplex betrifft ein weltanschauliches Defizit. Traditionell war die Linke immer stolz auf ein Weltbild, dass sich insbesondere im Einklang mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaft befand. Letztere hat sich seit Marx weiterbewegt, bisher jedoch keinen Eingang in die Linke Philosophie gefunden.
Im Prinzip fasst man Natur und Gesellschaft in einer mechanistischen Weise auf - wie ein großes Uhrwerk, dessen Wirkungsweise man entschlüsseln, anpassen, ändern, oder komplett umbauen kann.
Aber seit Entwicklung der Chaostheorie in den Naturwissenschaften und Talebs Schwarzen Schwänen in der Philosophie weiß man, dass dem nur sehr eingeschränkt so ist - und dass der Zufall (etwa aus einer gesellschaftspolitisch steuernden Perspektive) eine sehr viel größere Rolle spielt.
In einer sozialistischen Gesellschaft - wo politische und ökonomische Entscheidungen per Definition aus einer Mainstream-Perspektive getroffen werden, verbrämt aus „wissenschaftliche Weltanschauung“ - hätte etwa ein Tesla-Auto keine Chance.
Ein tieferer Blick offenbart gar, dass „fast alle“ Eckpunkte technischer oder ökonomischer Entwicklung aus gesellschaftspolitischer Perpektive Zufälle sind - also nicht erwartet oder gar geplant - I m Gegenteil, Entwicklung geht immer am Mainstream vorbei.
(Elon Musk wusste wohl was er tat - nicht aber weder das Automobile Esteblishment noch die verflochtene Politik konnten die Bedeutung erkennen)
Wenn man diese Möglichkeit des Zufalls eliminiert - plus die total überproportionale und ungerechte Belohnung winziger Vorteile, die für deren rasante und breite Durchsetzung sorgt - beraubt selbst man sich der wichtigsten Triebkraft der Evolution.
Das ist die Lehre, die ich für mich aus dem Ende der DDR gezogen habe. Und hab keine Ahnung, wie sich der humanistische Anspruch traditioneller Linker mit diesem kalten fundamentalen Problem der Evolution vereinbaren lässt. Aber solange das nicht beantwortet ist - fehlt der sozialistischen Idee die glaubhafte Vision.