In der Hauptsache, der Kritik an der zur woke-Kultur geadelten Neodogmatik ist La Marca gewiss beizupflichten. Der Hinweis, diese verlange in erster Linie Änderungen im individuellen Verhalten, statt gesellschaftsstrukturelle Umwälzungen einzufordern ist wertvoll. Er beweist aber auch, dass es sich bei diesen neuen Eiferern nicht um Menschen handelt, die man noch als 'Linke' bezeichnen könnte. Falls sie sich als solche definieren ists ein Selbstmissverständnis. Die Hauptexponenten des 'Dritten Wegs', die La Marca als eine Art Ahnen anführt - Blair, Schröder etc. - hatten längst den linken Weg verlassen, waren nur noch damit beschäftigt, der neoliberalen Radikalisierung des Kapitalismus ein soziales Mäntelchen umzuhängen. Es handelte sich um ein veritables bodysnatching sozialdemokratischer Parteien, denen damit die kümmerlichen Reste linker Programmatik, der Humanisierung des Kapitalismus, perspektivisch seiner Überwindung, ausgetrieben wurden.
Der kapitalistischen Lebenswelt ist es gelungen, das Engagement für diskriminierte Gruppen auf die identiären Aspekte einzudampfen und so zu pervertieren. In einem weiteren Schritt wurden die ursprünglich aus der philosophisch inspirierten sprachlichen Wende stammende Impulse - aufgenommen etwa von der Linguistin L. Pusch - trivialisiert und in dogmatische, von moralischen Bestrafungsriten bewehrte Sprachgebote umgebogen. Und schliesslich, die Krönung, die von La Marca angesprochene Eingemeindung ins kapitalistische System, die haltende Umarmung, die Monetarisierung, vereinfacht durch mediale Neuerscheinungen wie Influencer. Mittlerweile designen Konzerne woke Werbekampagnen, bringen woke Merchandising-Produkte unter die Leute. Das Epizentrum liegt wie immer bei kulturellen Bewegungen seit dem Zweiten Weltkrieg in den usa, wo man die Anhänger dieser neuen Religion selten als Linke, meist als progressivs, oder activists bezeichnet.
Wie üblich über Britannien schwappte die Welle nach Europa, misstrauisch beäugt von einer Rechten, die in weiten Teilen das dem Ansatz innewohnende Potential für reaktionäre Politisierung noch nicht aufgefasst hat. So dass es aussieht wie immer - Linke gegen Rechte. Wenn doch die Rechten längst unter sich sind. Tatsache ist, dass der Zeitgeist sein Epizentrum im letzten halben Jahrhundert stetig nach rechts verschoben hat. Was im bürgerlichen Umfeld durchaus die Norm ist, die zehn, fünfzehn Jahre davor waren die Ausnahme, die Schwalbe, die definitiv keinen Sommer gemacht hat.