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  • NieWiederNie

mehr als 1000 Beiträge seit 07.12.2018

Was ist ein Leistungsträger?

aus »Das deutsche Narrativ«

http://feynsinn.org/?cat=21

Im Rahmen der Eroberung des öffentlichen Sprachgebrauchs durch die neoliberale Propaganda haben sich sprachliche Vehikel durch stetige Wiederholung durchgesetzt, deren Funktion in der Aushöhlung von Sinn und Bedeutung ganz generell besteht. Die inhaltsleeren Floskeln werden an die Stellle einer ausdrucksfähigen Sprache gesetzt, um nur diejenigen Assoziationen zuzulassen, die das propagierte Weltbild stützen. Der Nichtbegriff der «Eigenverantwortung» transportiert die Behauptung, jeder sei seines Glückes Schied, und wer sich seiner «Eigenverantwortung» entzöge, sei faul und verhalte sich parasitär. Er stehe damit seinem Glück und dem anderer im Wege. Genau dafür wird er «Verantwortlich» gemacht: Er ist eben selbst schuld. Diese Grundannahme entspricht einer auf Luther basierenden Moral, nach der ein Mensch sich nur durch Fleiß, Unterwerfung und Arbeit sein Leben verdienen kann und keine Würde hat, wenn er nicht arbeitet - Fürsten und Könige ausgenommen, über ihnen steht nur Gott, die weltliche Macht üben sie derweil selbst aus.
Auf diese Weise leugnet der Begriff jede Wirkung eines Systems. Die wirtschaftliche Lage und deren Entwicklung, Möglichkeiten und Hindernisse durch eine gesellschaftliche Struktur, die Verteilung von Vermögen und Einfluß - das alles wird durch einen dichten Nebel verhüllt, während unterstellt wird, jeder Einzelne könne frei entscheiden, ob er sein Schicksal selbst bestimmt oder sich auf den Schultern anderer tragen läßt.
Allein das Verhältnis offener Stellen zu möglichen Bewerbern überführt dieses Konstrukt bereits seiner Lächlichkeit, soweit es um Arbeitslose geht. Noch krasser tritt der Wiederspruch zwischen Propaganda und Realität zu Tage, wenn man zur Kenntnis nimmt, daß weitere Millionen nicht oder nur auf äußerst niedrigem wirtschaftlichem Niverau von ihrer Arbeit leben können. In welcher Welt leben diejenigen, die so tun, als seien »faule Arbeitslose« ein relevantes Problem?
Das ist freilich nur die eine Seite einer wahrhaft absurden Lüge. Noch irrwitziger wirkt der semantische Selbstmordanschlag »Eigenverantwortung«, wenn man die beschuldigten Marktversager denen am anderen Ende der ökonoischen Nahrungskette gegenüberstellt: Die »Leistungsträger« - womit nichts anderes gemeint ist als Bezieher hoher Einkommen, ganz gleich, was jemand dafür faktisch leistet - nehmen nämlich jederzeit jene Systemwirkung für sich in Anspruch, die sie sonst so wehement leugnen, und zwar, um sich selbst, ihr Verhalten, ihr Versagen und ihre Fehlentscheidungen damit reinzuwaschen. Sie stehen außerhalb der Arbeitsmoral wie zu Luthers Zeiten die Fürsten.
Hohe Boni trotz riesiger Verluste, explodierende Vermögenszuwächse auch bei schrumpfender Wirtschaftsleitung, zweistellige Gewinne bei stetig sinkenden Reallöhnen - das ist halt ›Business‹, und ausgerechnet diejenigen, von deren Tun der Lauf dieser Dinge abhängt, sind nicht dafür ›verantwortlich‹. Dort ist es dann die Globalisierung und der Druck des Wettbewerbs.
Dieser Wettbewerb soll nach derselben Ideologie allerdings stets gefördert werden, wobei der Zwang, der daraus resultiert, vor allem im Herdentrieb der Anleger und Investoren besteht. Diese sind ganz zufällig dieselben, die solchen Druck immer behaupten, um ihn nach unten weiterzugeben. Der Anspruch auf Rendite wird schließlich genau von solchen »Leistungsträgern« gestellt, die den »Eigenverantwortlichen« da unten immer predigen, man müsse sich des Wachstums wegen eben nach der Decke strecken.
Die Kampflyrik des Neoliberalismus, die in solchen Begriffen gerinnt, bewirkt solchermaßen die Moralisierung gegebener Verhältnisse. Diese entfaltet eine doppelte Wirkung: erstens wird die Realität beliebig drehbar und Fakten jederzeit im Sinne der Ideologie interpretierbar. Zweitens steht von vornherein fest: jeder kriegt, was er verdient. Reichtum und Armut sind von Gott und der Marktwirtschaft nach ihrem Vorbild so geschaffen worden. Wer keine einträgliche Arbeit hat, lebt eben nicht gottgefällig. Schlimmer sind nur noch die, die nicht arbeiten wollen. Sie sind Heiden und fallen der Verdammnis anheim. Am schlimmsten aber sind diejenigen, die nicht bloß leugnen oder sündigen, sondern die heilige Mutter Marktwirtschaft selbst anzweifeln und ihren Namen missbrauchen. Sie sind Ketzer, denen jede Erlösung und der Zutritt zum Tempel verwehrt bleibt.

Was ist ein »Leistungsträger«?
- Jemand, der die Leistung seiner Untergebenen in Form eines dicken Portemonnaie nach Hause trägt.

[/quote]

thx @Heise, dafür das den neuen Stern am Himmel der Aufklärung, Herrn Mausfeld, zu mehr Reichweite verhelft.

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