who_benefits schrieb am 11.01.2021 15:30:
Danke für den Hinweis auf Fromm. Vielleicht sollte ich doch mal anfangen, philosophische Werke zu lesen ;-) Wenn ich nur mehr Zeit hätte.
Zeit ist bei mir auch immer knapp. Ich schätze, Du solltest Deine nicht an Fromm verschwenden, das hätten Andere viel nötiger.
Aber es zeigt mir doch auch, das man völlig unabhängig voneinander zu solchen Erkenntnissen gelangen kann, einfach nur durch pures Denken. Das stärkt den Verdacht, das es eine absolute Wahrheit geben könnte...
Die gibt es glücklicherweise nicht, weil wenn dann wäre das eine, auf die sich alle einigen können müssten. Alle müssten komplett gleichgeschaltet sein und zu Allem die exakt gleiche Meinung haben, sonst ab in die Psychatrie. Furchtbar!
Nein, es haben Alle ihre eigenen Wahrheiten aus ihrer eigenen Perspektive heraus, alles Andere ist Verhandlungssache.
Dazu Paul Watzlawick: Wie wirklich ist die Wirklichkeit?
https://www.tianaroth.de/fileadmin/tianaroth/downloadsKonstruktion_von_Wirklichkeit.pdf
"Die sogenannte Wirklichkeit ist das Ergebnis von Kommunikation. Der Glaube, dass es nur eine Wirklichkeit gibt ist eine gefährliche Selbsttäuschung. Es gibt vielmehr zahllose Wirklichkeitsauffassungen, die sehr widersprüchlich sein können, die alle das Ergebnis von Kommunikation sind und nicht der Widerschein ewiger, objektiver Wahrheiten.Wir sind fortwährend mit dem Flicken und Abstützen des wackeligen Gerüstes unserer Alltagsauffassungen der Wirklichkeit beschäftigt. Manchmal sogar auf die Gefahr hin, dass wir Tatsachen verdrehen müssen, damit sie unserer Wirklichkeitsauffassung nicht widersprechen, statt umgekehrt unsere Weltschau den unleugbaren Gegebenheiten anzupassen."
https://www.blinkist.com/de/books/wie-wirklich-ist-die-wirklichkeit-de
"Tatsächlich konstruiert jeder Mensch sich seine ganz persönliche Weltanschauung, die die Basis unserer subjektiven Wirklichkeit darstellt. Der Grund dafür ist unser menschliches Bedürfnis nach Sinn und Ordnung. Aus diesem Grund bilden wir mentale Raster – z.B. „Demokratie ist gut“, „Vegan leben ist moralisch richtig“ oder „Schlanksein ist schön“ – an denen wir uns im Leben orientieren und ohne die uns die Welt als angsteinflößendes Chaos erschiene. Unsere mentalen Raster helfen uns also dabei, die Welt zu erklären und fügen sich in ihrer Gesamtheit zu unserer persönlichen Weltanschauung zusammen.
Besonders in Zuständen des Nicht-Wissens suchen wir nach Erklärungen, durch die unsere Erfahrungen Sinn ergeben. In solchen Situationen neigen wir dazu, uns an die erstbeste Interpretation zu klammern und sind somit anfällig für verzerrte Auffassungen der Wirklichkeit."
Das doppelt Witzige ist, das ist auch von 1976, genau wie Fromms "Haben oder Sein", und das ist eins bei dem's mir so ging, müsste ich eigentlich mal lesen, bin ich aber auch schon selbst drauf gekommen.
Bis ich dann Jahre später im Rahmen eines Postings* hier zufällig darauf gestoßen bin:
http://blog.zvab.com/2007/10/01/edwin-a-abbott-flaechenland-ein-mehrdimensionaler-roman/
"Der Leser wird im Lauf dieser Reisen hin- und hergerissen, von der zweiten zur ersten und schließlich in die dritte Dimension. Mit jeder Seite wird seine Vorstellungskraft auf die Probe gestellt. Mit jeder Reise erfährt er, wie selbstzufrieden, beschränkt und borniert die Bewohner dieser Länder sind und wie schwer es ist, ihnen die Augen für das Nächstliegende zu öffnen. „’Flächenland’ stellt die Relativität der Wirklichkeit schlechthin dar“, schrieb Paul Watzlawick und ließ sich in „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“ durch Abbotts Roman zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für das Akzeptieren von relativen Wahrheiten und für Phantasie und Toleranz anregen."
Den Abbott hatte ich Jahre zuvor selbst mit großem Gewinn gelesen, kein Wunder, dass mir der Watzlawick hinterher also so nah erschien.
Abbotts Flächenland kann ich Dir jedenfalls - wie eigentlich allen - nur wärmstens empfehlen. Du wirst es mögen! Es ist ebenso hochamüsant wie bewusstseinserweiternd, nur halb so dick wie der Fromm, und es lässt sich herrlich auch in kleinen Häppchen zwischendurch geniessen, etwa als Bahn- oder Klolektüre.
* da hab' ichs schonmal angepriesen:
Abbott wurde übrigens 2008, wie ich selbst gerade erst festgestellt habe, auch schon empfohlen von der führenden theoretischen Physikerin und Expertin für Teilchenphysik und Kosmologie, Prof. Lisa Randall, hier bei TP:
https://www.heise.de/tp/features/Die-verborgenen-Kosmen-von-nebenan-3419929.html
"Um sich das Unvorstellbare vorzustellen und einen Eindruck davon zu gewinnen, wie höhere Dimensionen und die reale Welt scheinbar koexistieren, rät Randall zum Studium der bereits 1884 veröffentlichten mathematischen Satire „Flatland: A Romance of Many Dimensions (dt. Titel „Flächenland“), die aus der Feder von Edwin A. Abbott (1838-1926) stammt und mit der der Autor die Hierarchie der Viktorianischen Gesellschaft aufs Korn nahm. In diesem inzwischen zum Klassiker der Physik avancierten Werk stellt Abbott eine fiktive Gesellschaft vor, deren Bewohner selbst die Gestalt einfacher geometrischer Formen haben und ihre flache Welt nur auf zweidimensionale Weise wahrnehmen können."
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (12.01.2021 16:53).