Nein, finde ich nicht normal, jedenfalls nicht im Sinn von legitim. Es geht um Inhalte, nicht um mich oder Sie. Und übrigens ist das Gegenteil eines Idealisten kein Realist, sondern ein Materialist, wenigstens in philosophischer Hinsicht.
Die Gesellschaft ist immer gespalten. Das sieht man beispielsweise an sehr knappen Wahlresultaten oder in einigen Staaten auch bei Sachabstimmungen. Es handelt sich um eine Flucht in die Metaebene und ist in gewisser Weise unredlich wenn man die Meinungsverschiedenheiten zum zentralen Thema hochstilisiert. Nicht die Auseinandersetzung an sich, sondern die Form, in der sie ausgetragen wird, kann zum Problem werden. Aber bei deren Beurteilung muss man fünfe gerade sein lassen und nicht gleich bei jeder Übermarchung den Teufel an die Wand malen. Dem Aufwallen der Emotionen folgt im Regelfall die Erschöpfung, nicht der Krieg.
Im vorliegenden Fall kommt noch hinzu, dass gewisse Entfremdungserscheinungen recht wenig mit einer ansteckenden Krankheit zu tun haben, ebenso wenig wie mit flüchtenden Menschen. Diese Ereignisse fungieren als Katalisatoren, sie sind nicht der Stoff, aus dem die Entfremdung gewoben ist. Solange der Westen sich im Systemwettbewerb wähnte, hat er sich bemüht, die eklatant negativen Seiten seines ideologischen Überbaus zu mildern. Sobald das nicht mehr der Fall war, verstärkt noch aufgrund der schon fortgeschrittenen Phase des langen Wirtschaftszyklus, die zur Durchsetzung dessen führte, was man landläufig Neoliberalismus nennt, wurde jegliche Rücksicht aufgegeben. Der Kampf ums Soziale ist nun deutlich mühsamer, oft erfolglos. Man muss nicht zu den Opfern gehören, um dagegen Aversionen zu entwickeln. Mit Bewusstwerdung geht dieser Prozess allerdings selten parallel.