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  • Mathematiker

mehr als 1000 Beiträge seit 22.02.2014

Die deutsche Krankheit

Was habe ich wieder gelacht.

Einmal kurz zu den Fakten beim Thema Masern:
1- Masern bringt als Begleiterscheinung ein Schwächung des Imunsystems für 6 Wochen mit sich. D.h. man kann u.U. an einer Infektionserkrankung sterben, die man ohne die Masern hätte abwehren können.Bei Menschen Defekt des Immunsystems oder medikamentös unterdrücktem Immunsystem können Lungen- oder Hirnhautentzüdungen auftreten, die in 30% der Fälle tödlich sich. (Die Maserninfektion selbst verläuft äußerlich sichtbar eher schwach.)
2. In 1 von 1000 Fällen kann es zu einer postinfektiösen Enzephalitis kommen. Hieran stirbt der Patient in 10% -20% der Fälle. In weiteren 20-30% behalten bleibende Schäden des Nervensystem.
3. In 7 von 100 000 Fällen oder (1 von 5000 Fällen bei Säuglingen) kann es 6 bis 8 Jahre nach der Infektion zu einer tödlich verlaufenden subakuten sklerosierenden Panenzephalitis kommen.

Übrigens gab es im Vorjahr nach Angaben des Robert-Koch-Instituts trotz des hohen Schutzniveaus 543 Masernfälle. Dass jemand daran gestorben wäre, ist mir nicht bekannt.

Das solch eine Argumentationslinie ist bei obiger Krankheitsbeschreibung ziemlich schwach. Nein, da fallen die Patienten nicht einfach um.

Wenn man nun aber nachrechnet, dann ergibt sich gemäß diesen Zahlen, dass heute schon 92% zuzüglich 90-95% der verbleibenden 5% mit nur einer Impfung hinreichend geschützt sind, also 96,5 bis 96,8% der Bevölkerung. Deutschland liegt demnach über der empfohlenen 95%-Marke. Die dramatisch klingenden Warnberichte stimmen nicht.

So, so. Das funktioniert aber nur bei einer Gleichverteilung. Die ist aber garnicht gegeben. Die Ältern, insbesondere aus der DDR, haben ihre Impfpackung praktisch durch die Bank bekommen. Problematisch sind Migranten, neudeutsch Flüchtlinge, die oft keine Impfe bekommen haben und auch in keiner Statistik auftauchen, wie auch die Esos, die gerne im Rudel unterwegs sind. Daher gab es in den letzten Jahren kleine Maser-Epidemien.

Das Masernschutzgesetz kennt sowieso Ausnahmen. Abgesehen von Personen, die vor 1970 geboren sind, entfällt die Impfpflicht auch bei Personen mit einer Kontraindikation gegen die Masernimpfung.

Bei den Älteren ist die Ansteckungsgefahr ziemlich gering, die Anderen sind arme Schweine, die bei einer Infektion schonmal in Gras beißen können.

Nüchtern betrachtet, ist die Sache ziemlich einfach in einer solidarischen Gemeinschaft, in der man die Schwächeren schützt, sollte die Impfe eine Selbstverständlichkeit sein, denn wir belasten mit genauso einer Selbstverständlichkeit immer die Stärkeren. Was früher einmal Deutschland groß gemacht hatte, ist aber so etwas von Out.

Aber unabhängig, wie man zur Impfe steht, ist der Artikel ein wunderbares Beispiel für die deutsche Krankheit. Die Angewohnheit sich endlos mit allem Scheiß auseinanderzusetzen und nichts mehr auf die Reihe zubekommen.

Das hat zwei unschöne Aspekte: Erstens macht der Staat hier Menschen zu einem Mittel zum Zweck Anderer; und damit hat man insbesondere in der jüngeren deutschen Geschichte schlechte Erfahrungen gemacht. Zweitens erhebt der Staat sich hier zu einer Instanz, die den Menschen vorschreibt, wie sie sich in ihrem eigenen Interesse zu verhalten haben; das ist Paternalismus - oder besser: Parentalismus - in Reinstform.

Auf gut Deutsch: Eine Gemeinschaft mit Regeln, die gar unangehme Anforderungen an das Individuum stellt, wollen wir nicht mehr. Auch für diese dämliche Denke muss wieder einmal die "jüngere deutsche Geschichte" herhalten, obwohl diese Vorgehenweise in allen funktionierenden Gemeinschaften usus ist.
Nein, in Deutschland bauen wir erst einmal einen Stuhlkreis auf und diskutieren die Sache aus, bis jeder überzeugt ist.
Wenn das nicht klappt, dann haben wir noch die Alternative "Freiwilligkeit", was bei uns nichts anderes heißt, als dass es genug dumme Schafte geben soll, die sich freiwillig kasteien, während die Anderen lächelnd oder manchmal auch lachend dran vorbeigehen.

In der Fachdiskussion nennt man diese Argumentationsform ein "Dammbruch-Argument" (oder "schiefe Ebene" von englisch: slippery slope). Dabei ist die Feststellung als solche, dass es sich bei einem Einwand um ein Dammbruch-Argument handelt, mitunter schon als Entkräftung des Einwands gemeint, denn aus A ergeben sich ja B und C und D nicht zwingend.


Genau! Wehret den Anfängen! Anstatt mit irgendeinem Problem konstruktiv umzugehen und auch die Gemeinschaft zu ertüchtigen in Zukunft daraus aufzubauen, spielt man lieber den Weltuntergangspropheten. Ja, den Spinner mit Jesuslatschen in der Fußgängerzone, denn man hat schon immer alles gewußt!

Das ist natürlich nicht ganz von der Hand zu weisen - und ich war früher auch kein Freund von Dammbruch-Argumenten. Nachdem ich so manche Ethik- und Politikdiskussion nun seit rund 20 Jahren verfolge, will ich das Schiefe-Ebene-Argument aber nicht mehr generell als unzulässig abtun. Man bedenke schlicht einmal, mit welcher Selbstverständlichkeit heute Angriffskriege ohne UN-Mandat zum angeblichen Schutz vor Terrorismus geführt werden. Das war in den frühen 1990ern noch undenkbar.

Nur hat sich die Erde seit 20 Jahren schon ein paar Mal gedreht und Hoffnungen, die man früher einmal in die UN und Weltgemeinschaft gesetzt wurden, mußten begraben werden. Einfach einmal aufwachen. Aber schon im kalten Krieg hat die UN nur wenig getaugt. Weder die USA, noch die UdSSR haben sich viel um die Bude geschert, wenn die ihre schmutzigen Spielchen gespielt hatten. Im Zweifelfall nutzt man sein Veto.

Der springende Punkt ist aber, dass man durch Ausgrenzung, Kontrolle und Strafen das Problem wahrscheinlich nicht behebt, sondern vor allem individualisiert und damit die gesellschaftlichen Ursachen aus den Augen verliert.

Ja, wir sollten ja am Besten gleich auch die Polizei, Strafverfolgung und Justiz abschaffen. Die individualisiert ja auch immer unheimlich, dabei sollten wir uns doch lieber über die gesellschaftlichen Ursachen todlabern. Die ganzen Kriminellen sind ja nur Opfer des Schweinesystems, dass einfach keine Wölfe neben den Schafen akzeptieren will. Alles Rassismus und Paternalismus, denn den Vater, der die Schwachen schützt, den wollen wir nicht.

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