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  • aquadraht

mehr als 1000 Beiträge seit 17.11.2000

Noch ein paar Bemerkungen

Graue Eminenz schrieb am 29. Oktober 2008 18:41

> aquadraht schrieb am 29. Oktober 2008 18:06

[12,6% Reallohnanstieg]
> OK, aber die 12,6% beziehen sich auf 06, während die Inflation erst
> 07-08 zu traben begann. Wenn sich der Trend der nicht
> inflationsbereinigten Lohnsteigerungen so fortsetzen würde, kämen wir
> dieses Jahr auf eine Reallohnsteigerung von 6,4% - Für D
> sensationell, für China sehr mager.

Dafür müssten die Einkommen im letzten Quartal drastisch sinken.
Das chinesische Statistikamt gibt für die ersten drei Quartale
einen 7,5%igen Anstieg der Einkommen der städtischen Bevölkerung
(auf Jahresbasis) an, gegenüber 13,2% im Vorjahr. 

Insofern gibt es schon eine Begrenzung des Wachstums. Die 
chinesische Zentralbank versucht derzeit, durch Zinssenkungen
zur Senkung der Sparquote beizutragen. Dafür wird eine 
sinkende Attraktivität für ausländisches Kapital bewusst
in Kauf genommen.

..

> Dafür fehlt mir der Einblick in die chinesische Volkswirtschaft. Ich
> fände es aber sehr erstaunlich, wenn ausgerechnet China - das Land,
> das bei anderen Dingen, die nicht eben positiv für China sind, stets
> "schönt" - hier nicht "schönen" würde.

Es gibt dafür einen einfachen Grund, nämlich die schiere Grösse
des Landes und die nur mangelhafte Zentralisierung. Die Wirtschafts-
und Strukturdaten sind die Planungsgrundlage für alle Regional-
regierungen, Bezirke, Kreise und Gemeinden. Es ist meiner 
Meinung nach gar nicht möglich, da eine "doppelte Buchführung",
einmal für Propaganda, und dann für wirkliche Wirtschaft und
Verwaltung, zu führen. Lokale und regionale Kader versuchen
schon zu schummeln, zum eigenen Vorteil, allein das im Griff
zu behalten ist eine gigantische Aufgabe (übrigens nicht nur
in China, auch in Indien oder Lateinamerika, überall, wo 
Länder aus der Vormoderne heraus einen modernen Staat zu
entwickeln versuchen).

Die Tendenz geht eher mal in Richtung verschweigen, wenn eine
Information für riskant gehalten wird, als zum Beschönigen
oder Fälschen. Als Beispiel hatte ich die Unterbeschäftigung
genannt. Würde gefälscht, würde man sich blind machen für
Risiken, oder eine Verschwörungsstruktur "Eingeweihter"
aufbauen müssen, was noch kontraproduktiver wäre. Die 
Chinesen sind nicht aus "totalitarismustheoretischen"
Verschwörungsszenarien entsprungen, sie sind reale 
Menschen. Und sie sind administrativ nicht ungeschickt.

..
> > 
> > Das ist falsch. Die Einkünfte der Wanderarbeiter gehen sehr
> > wohl in die Angaben über die städtische Einkommensentwicklung
> > ein. 

> Ich habe was anderes gelesen, kann dies aber hier und jetzt nicht
> belegen. Daher gebe ich Dir im Zweifel recht, da Du Dich mit solchen
> Dingen ja gut auskennst. Aber wie will man statistisch Daten
> auswerten, wenn die Menschen gar nicht registriert sind?

Sie sind ja registriert. Die gesamten Küstenprovinzen und
meines Wissens auch Beijing sind vom Hukou als Registrierungs-
grundlage abgegangen, auch wenn es immer noch an Infrastruktur-
diensten für die Binnenmigranten mangelt. Mittlerweile sind 
auch die offiziellen Gewerkschaften verpflichtet, die 
Wanderarbeiter als Mitglieder aufzunehmen. 

..

> Eben, von einem sehr niedrigen Niveau. Mein Gedankengang war auch ein
> anderer. Wenn immer mehr Binnenwanderung schlecht bezahlter Menschen
> stattfindet, sinkt durch die Zuwanderung der Durchschnittslohn der
> Küstenregionen. Die überproportionalen Lohnsteigerungen der
> Billiglöhner können diesen Effekt m.E. nicht wettmachen. Aber
> vielleicht liege ich da auch falsch.

Das ist etwas anders. Die "alte" städtische Bevölkerung
Chinas hat in den letzten Jahrzehnten teils einen
sozialen Aufstieg durchgemacht, teils bildet sie die
auch recht gut bezahlte Stammbelegschaft der staatlichen
und zum Teil ehemals staatlichen Betriebe. Die Migranten
vom Lande haben die Nischen eingenommen, von Baustellen
und Müllabfuhr bis zu den Sweatshops der Taiwaner, 
Hongkonger und Koreaner - und auch einheimischer - 
Unternehmer (die  Koreaner haben den schlechtesten Ruf 
als Ausbeuter).

In China hat sich beides entwickelt: billige Sweatshops
und eine differenzierte und moderne, auf Facharbeiter
und Ingenieure angewiesene Industrie. Dazwischen gibt
es wenig Durchschnittslohn. Der hohe Gini-Koeffizient 
in China kommt auch daher, dass ein Ingenieur vielleicht
ein Drittel eines deutschen Ingenieurs verdient, im 
schlimmsten Fall ein Viertel. Betriebsleiter und 
gutverdienende Selbständige verdienen manchmal 
genauso viel wie hier. 

Ein einfacher Arbeiter (oder ein einfacher Selbständiger)
verdient dagegen 1-2mal den Mindestlohn, das ist 100-120 
Euro im Zentrum, 50 Euro im Westen. Das Prokopfeinkommen 
in der Landwirtschaft ist halb so hoch wie das der Arbeiter. 
Das ist eine gewaltige Spreizung.

Da aber das ländliche Potenzial zur Neige geht, 
gleichen sich eher die Einkommen der Landbevölkerung
und der städtischen Niedrigverdiener an. Für die
ist eine Facharbeiterausbildung oder gar ein 
Hochschulabschluss noch eine ganze Weile ausser
Reichweite. Aber Billiglöhner wie in anderen Teilen
der Welt sind auch das immer weniger. So wie in den
Slums von Mumbai oder Jakarta leben die nicht.

..
> > Sicher, das kann zurückgehen. Allerdings gab es die erste 
> > Welle der Exporteinbrüche schon Anfang des Jahres, vor
> > allem im US-Handel. Die wurde offenbar gemeistert.

> So richtig "eingebrochen" sind die Exporte nicht. Sie haben sich
> lediglich auf sehr hohem Niveau eingependelt. Ich bin aber mal auf
> die neueren Zahlen für September gespSannt. Bislang gab es mW nur
> Zahlen der Reederein und Häfen und die lassen böses erahnen. 

Wo kann man diese Zahlen eigentlich nachlesen? Ich könnte
mir durchaus vorstellen, dass es durch den credit crunch zu
Problemen bei der Schifffahrt kommt. Mir ist aber überhaupt 
nicht klar, wie sich das auswirkt.

Gruss, a²

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