Weltendenker_2 schrieb am 26.03.2022 10:37:
Für uns hier in Estland ist es so, dass die Ukraine auch an unserer Stelle im Krieg ist. In gewisser Weise ist sie sogar für uns im Krieg.
In den USA wäre dies eine erwünschte Denkweise.
Aber für eine Mitglied der Internationalen Christa-Wolf-Gesellschaft ist es erstaunlich, den heute weltweiten Ost-West-Konflikt so einseitig zu reflektieren. War dann der Krieg gegen Jugoslawien auch "unser Krieg" - unser aus der Sicht Lettlands, unser aus der Sicht Europas, unser aus der Sicht "unserer Freiheit".
Ich wohne zur Hälfte in Estland und zur Hälfte in Deutschland und ich habe eine estnische Frau. Das nur vorweg - ich denke, ich kann mich da einigermaßen einfühlen und mitreden.
Die Aussage „In gewisser Weise ist sie sogar für uns im Krieg“ spielt m.E. darauf an, dass in Estland diese Entwicklung seit langer Zeit erwartet wurde. Estland hat immer vor der russischen Aggressivität gewarnt und z.B. sehr deutlich die Bedenken gegenüber Nordstream 2 artikuliert. Aus genau den Gründen, die jetzt eingetreten sind.
Gleichzeitig ist Estland zusammen mit den anderen baltischen Staaten heilfroh, dass sie in der NATO sind. Man ist sich sicher, dass das Baltikum sonst erst an der Reihe gewesen wäre. Putin hat diverse eindeutige Aussagen in den letzten Jahren gemacht, dass seines Erachtens das Baltikum zu Russland gehört. Und das Baltikum ist viel kleiner und es wäre viel leichter zu erobern gewesen (Estland hat ja gerade mal 1,3 Mio Einwohner).
Jetzt überfällt Russland die Ukraine. Und die wehren sich - und das mit Erfolg. Mit jedem Tag wird Russland schwächer und die Gefahr sinkt, dass Putin sich als nächstes das Baltikum vornimmt. Von daher kämpft die Ukraine derzeit quasi nicht nur für sich selbst, sondern auch für das Baltikum. Und deswegen unterstützen die baltischen Staaten die Ukraine derzeit auch sehr. Sowohl mit Waffenlieferungen als auch mit humanitärer Hilfe inkl. der Aufnahme von vielen Geflüchteten.