Es ist eher die Art, wie wir Menschen wirtschaften. Ein paar Länder schaffen es (noch), ihren Fußabdruck zu externalisieren. Meistens sind das jene mit einer kolonialen Vergangenheit, also sozusagen die Spuren alter und z.T. noch bestehender Herrschaftsmuster. Das Problem ist aber eher, dass wir unsere Wirtschaft als gigantische Verwertungsmachinerie aufgeplustert haben, die längst fast vollständig jenseits menschlicher oder sonstiger Bedürfnisse agiert (außer jenen kurzfristigen Bedürfnissen, die durch Werbung generiert oder zumindest gesteuert werden).
Du kennst sicher die Geschichte von den Nordseekrabben, die in Marokko gepult und in Husum "frisch" im Brötchen an Touristen verkauft werden. Oder die Altkleider, die wir Europäer ansammeln, um sie dann mit dem Schiff nach Dubai zu bringen, wo sie von pakistanischen Wanderarbeitern sortiert und anschließend nach Afrika verschifft werden. Dort zerstören sie dann die Lebensgrundlage der dort ansässigen Schneider. In Europa wurde deren Lebensgrundlage schon zu Beginn des Kapitalismus zerstört (Weberaufstände). Heute trägt der Europäer Jeans made in Bangladesh oder China, wo sich ganze Flüsse in den Trendfarben des Jahres färben. Der Europäer braucht aber auch jede Jahreszeit einen neuen Trend, um sich eine neue Hose zu kaufen. Die alte landet dann über Umwegen in Afrika. Das gleiche gilt für die Teile des Huhns, die wir nicht essen. Die werden tiefgekühlt nach Afrika geschippert und zerstören dort die Existenzgrundlage der ansässigen Hühnerfarmen.
Wir schaufeln die ganze Zeit sinnlos Zeugs durch die Gegend, weil Buchhalter in Excel-Tabellen Nummern eintragen. Nichts davon ist real sinnvoll, weswegen ich gerne von nummerngetriebener Fantasiewirtschaft spreche. Die Reibungsverluste dieses sinnlosen Geschaufels erzeugen überall Armut und Entwurzelung, auch in den Ländern, die (noch) ihren Fußabdruck zu externalisieren vermögen, aber vor allem eben in den Ländern, die das nicht können, oder eben nur intern wie in Indien, Brasilien oder Mexiko.
Wie dem auch sei, ich kenne Indien nicht und weiß auch nur wenig über die genauen Umstände (ich muss gestehen, ich mag dieses Indien auch nicht besonders, vom Essen und Goa-Trance mal abgesehen), aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das alles damit zu tun hat. Vor allem da die indische Oberschicht und die jüngere IT-Callcenter-Mittelschicht alles tun, um ihren vormaligen Kolonialherren nachzueifern und damit nicht nur als direkte Folge der britischen und sonstigen Kolonialherrschaft Probleme haben, wie z.B. die afrikanischen Länder, sondern auch, weil sie nun von der gleichen Geisteskrankheit befallen sind, zu glauben, dass viel Schaufeln viel Leistung bedeute, vor allem wenn es auf einen sein Eigentum genannten und (hoffentlich) ewig wachsenden Haufen ist.
Das ist übrigens der wahre Kern des Liberalismus: private property; das ganze freiheitliche Getue kam eigentlich nur daher, dass die Haufenschaufler nix von ihrem Haufen auf den Haufen von Adel oder Kirche schaufeln wollten.
Wenn Du sagst, alles liege an der Überbevölkerung, dann insinuierst Du, dass eine Dezimierung der Bevölkerung die Lösung sei. Ich will Dir gar nicht unterstellen, ein Eugeniker oder Rassist zu sein, und vermutlich denkst Du da eher an Verhütung. Nun, Indien ist meines Wissens in sexuellen Dingen und gerade, was die Stellung und Bildung der Frauen angeht, erschreckend rückständig. Nun wird Dir aber jeder Demograph sagen können, dass eine Gesellschaft, in der Frauen den gleichen Zugang zu Bildung etc. haben wie Männer, die Geburtenrate zurückgeht. Das ist das eine und ich will gar nicht wissen, wie das in Indien mit seinem Kastendenken, Bollywoodkitsch, religiösen Verschwurbeleien und Massenvergewaltigungen so aussieht. Ein anderer und wahrscheinlich der effektivste Weg, Geburtenraten nachhaltig zu mäßigen, ist allgemeiner Wohlstand, wie die Geburtenraten in Deutschland belegen. Vor allem, wenn unter Wohlstand geisttötender Konsum verstanden wird. Videospiele sind vermutlich eines der nachhaltigsten Verhütungsmittel.
Aber selbst wenn wir nur von einem mäßigen, gleich verteiltem Wohlstand innerhalb der Gesellschaft sprechen, sind wir wieder am Anfang: es wird so viel sinnlos herum geschaufelt, dass die Reibungsverluste genau einen solchen Wohlstand verhindern. Wir müssen wohl mit der Schaufelei aufhören. In Deutschland und Europa bedeutet dies als erstes: weniger Konsum. Solange man sich seine Jeans nur aus China leisten kann, wird man ja nicht nackt rumlaufen müssen und man muss sich auch nicht für seine Jeans schämen oder versuchen, seine Scham durch vegane Ernährung auszugleichen, aber man kann auf jeden Fall aufhören, sich Geist und Herz mit Social Media, Big Brother, Bachelor und Food Trends zu vergiften. Anstatt kitschige Tattoos mit Persönlichkeit und Shitstorms mit Klassenkampf zu verwechseln, könnten wir stattdessen z.B. gärtnern oder was auch immer.
Ich finde, Du machst es Dir zu leicht, einfach nur einen Begriff in den Raum zu werfen und zu erwarten, dass sich andere darum kümmern.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (24.04.2020 23:50).