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  • Karl-Katja Krach

528 Beiträge seit 09.07.2019

Geldentwertung und Preissteigerung sind nicht dasselbe

In dem Artikel wird in der üblichen Manier Geldentwertung mit Preissteigerung gleichgesetzt und mit "Inflation" betitelt, die über einen Warenkorb "gemessen" wird. Allerdings ist die Preissteigerung eines Warenkorbes nunmal nichts anderes als die Preissteigerung eines Warenkorbes (dessen Zusammensetzung auch noch recht willkürlich ist).

Preise können durch verschiedene Faktoren steigen (oder fallen), die nicht direkt von der Geldpolitik abhängen. wie etwa die Entwicklung der Löhne, Profitraten, Steuern, Zölle oder die Verknappung (Vergrößerung) des Warenangebots. All das kann dazu führen, dass Arbeitende, Rentner:innen und Arbeitslose mehr Geld für bestimmte Waren ausgeben müssen und Unternehmen oder Staaten mehr Geld haben, um es ihrerseits für Waren auszugeben.
Eine Anpassung von Löhnen nach oben kann allerdings auch dazu führen, dass etwa Schokolade teurer wird und die in der Kakaoproduktion Arbeitenden besser verdienen.

All diese Preisveränderungen haben nichts direkt mit Geldpolitik zu tun. Trotzdem wurde ihre Kontrolle zur Aufgabe der EZB gemacht. Das bedeutet, dass eventuelle Lohnverbesserungen auf den Kakaoplantagen sich in europäischen Warenkörben niederschlagen und dann die EZB ihrem Auftrag gemäß eine Geldpolitik macht, die dazu dient, diese Reallohnangleichung durch eine relative Abwertung afrikanischer Währungen über die Wechselkurse wieder wettzumachen.
Deswegen ist die EZB ein politisches Dispositum eines (rassistischen) EU-Imperialismus.

Preise können sich auch durch Wechselkurse zwischen Währungen ändern. Allerdings stellen derartige Schwankungen keine Vergleichsbasis für die Berechnung der Geldentwertung bei einer Inflation dar. Welche Währung sollte denn als Vergleich herangezogen werden, wenn sich alle Kurse beständig ändern? Bei der "Inflation" einer Weltwirtschaftskrise außerdem erleiden alle oder nahezu alle Währungen eine Entwertung.

Für die einzig sinnvolle und nicht willkürliche Bezugsgröße für die Berechnung der Geldentwertung einer Inflation halte ich die Entwicklung der Löhne/Gehälter (und Einkommen von Soloselbständigen/Scheinselbständigen). Die durchschnittlichen Löhne/Gehälter in Deutschland etwa sind von 1995 bis 2020 um 55% gestiegen (von 1.999 auf 3.092 Euro.
https://www.sozialpolitik-aktuell.de/files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Einkommen-Armut/Datensammlung/PDF-Dateien/tabIII1.pdf

Derweil ist die Geldmenge M1 in der Eurozone um 709%, die Geldmenge M2 um 334% und die Geldmenge M3 um 292% gestiegen.
https://tagesgeld.de/informationen/geldmenge.html

Dabei sind langfristige direkte Geldanlagen in Immobilien noch nicht einmal berücksichtigt.

Definitionen der Europäischen Zentralbank:
[...]
M1: Bargeldumlauf bei Nichtbanken (also ohne Kassenbestände der Geschäftsbanken) plus Sichteinlagen der Nichtbanken;
M2: M1 plus Einlagen mit vereinbarter Laufzeit bis zu zwei Jahren und Einlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist bis zu drei Monaten;
M3: M2 plus Anteile an Geldmarktfonds, Repoverbindlichkeiten, Geldmarktpapieren und Bankschuldverschreibungen mit einer Laufzeit bis zu zwei Jahren.

https://de.wikipedia.org/wiki/Geldmenge#Geldmengendefinitionen

An dieser Diskrepanz zwischen der Lohnentwicklung und der Entwicklung der Geldmengen lässt sich die reale Geldentwertung für die Klasse der Lohnabhängigen abschätzen. Während die Löhne (in Deutschland) auf das 1,5-fache gestiegen sind, stieg die im Umlauf befindliche Bargeldmenge (Euro-weit) auf das 8-fache und die Menge abstrakten Kapitals insgesamt um etwa das 4-fache.
Eine genaue Berechnung der Entwertung der Geldvermögen von Lohnabhängigen müssen Ökonom:innen leisten, die über Zugang zu genaueren Zahlen, Statistiken und Modellen verfügen als ich es jetzt tue.

Inflation im Sinne von Geldentwertung bedeutet jedenfalls nicht, dass Preise steigen, sondern dass Geld in Umlauf gebracht wird, dass die Löhnabhängigen nicht in ihre Taschen bekommen. Einer solchen Geldmengensteigerung wie oben aufgeführt kann jeder gewerkschaftliche Arbeitskampf nur hinterlaufen. Nicht zuletzt ist diese Geldpolitik deswegen auch ein Dispositum im Klassenkampf von Oben, weil sie - neben der schleichenden Enteignung der Lohnabhängigen - dazu führt, dass Gewerkschaften keine realen Verbesserungen im Kampf um die Aneignung der Profite mehr erreichen können. Dadurch werden sie entmachtet und ihr Zulauf schwindet.

Die EZB ist eine von demokratischer Kontrolle entkoppelte überstaatliche Institution, die - indem sie gewisse Preise versucht stabil zu halten und gleichzeitig eine massive Geldentwertung verursacht - eine (rassistische) imperialistische neoliberale Politik macht und Klassenkampf von Oben betreibt.
Es wirkt da für mich etwas unkritisch, die FED dafür zu loben, dass ihr Warenkorb die realen Preissteigerungen besser berücksichtigt. Im Fall von erfolgreichen Arbeitskämpfen im globalen Süden führt ein solcher "besserer" Warenkorb womöglich nur zu einer noch entschlosseneren imperialistischen Geldpolitik, um die aus den Arbeitskämpfen resultierenden Preissteigerungen durch die Wechselkurse zu kompensieren.

Eine andere Geldpolitik wäre der EU nur mit struktureller Demokratisierung möglich. Die EZB müsste einem europäischen Finanzministerium unterstellt werden, das einer demokratisch gewählten EU-Regierung unterstellt ist. In den EU-Verträgen bzw. einer Verfassung müsste klar geregelt werden, dass zeitweise Erhöhungen der Geldmenge egalitär geschehen müssen, d.h. dass alle Menschen in der Eurozone direkt Geld bekommen. Die zusätzliche Geldmenge muss dann relativ zeitnah durch Steuern wieder eingesammelt werden und zwar da, wo das Geld sich akkumuliert, in den großen Unternehmen und auf den Finanzmärkten. Diese Geldpolitik wäre dazu da, um den Konjukturschwankungen entgegenzuwirken, die Effekt des kapitalistischen Wettbewerbs sind.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (10.05.2022 03:16).

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