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  • Mathematiker

mehr als 1000 Beiträge seit 22.02.2014

Der Deutschlandtakt wird nie realisiert werden

Wann hat das alles angefangen? Wahrscheinlich Anfang der 1990er-Jahre, als die Bundespolitik im Angesicht hoher Verluste der einstigen Bundesbahn daraus die Deutsche Bahn AG machte, in der der Bund bis heute Alleinaktionär ist. Die Deutsche Bahn AG sollte sogar Gewinn machen, sich der Bund nur noch wenig einmischen.

Nein. Man kann die Eisenbahngeschichte ganz nüchtern, in die Phasen unterteilen, die einem Produktlebenszyklus nicht unähnlich ist:
1. Die erste Phase war die Phase der Eisenbahnbarone. Die wenigen Strecken wurden nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten gebaut und waren hochlukrativ.
2. Das kam die strategisch-militärische Phase. Unter dem alten Bismark wurde die Bahn nicht nur für die Verbindung der gößten Städte, sondern auch zur schnellen Truppenverlagerung gebaut.
3. Die Phase 3 kam dann in der Bundesrepublik, mit dem Mantra: Meine Stadt braucht einen D-Zuganschluss. (Quasi der Vorläufer des ICE, bzw. Fernzug.) Damals gewann dann das Primat der Politik über die Wirtschaftlichkeit. Die Deutsche Bundesbahn generierte ein sehr hohes dreistelliges Defizit, dass auf Haushalt drückte. Was den Bürgermeister/Abgeordneten freute, war schlecht für Staat und Umwelt. Wenn da nur 3 Leute im Zug sitzen, ist sogar ein Taxi billiger und umweltfreundlicher.
4. Die "Privatisierung" der Bahn hatte genau den Zweck die Politik auszusperren. Hatte aber nie geklappt, weil sich Berlin gerne einmischte und politische Projekte über das Bahn-Budget laufen lies. (Z.B. S21 oder die Strecke durch den Thüringer Wald.)
3'. Jetzt will die Politik wieder freie Bahn und kümmert sich nicht um die Kosten. Als Folge hat sich das Defizit pro Jahr gegenüber den 10'er Jahren verdoppelt.

- Da der Deutschlandtakt völlig von der Wirtschaftlichkeit entkoppelt ist, gehen wir jetzt mit Riesenschritten auf die Phase 4' zu, bei der dann igendjemand wieder die Notbremse ziehen wird. (Der Schweinezyklus in der Politik.)
-> Ich gehe davon aus, dass dies lange vor einem funktionierenden Deutschlandtakt passieren wird.

Personal wurde abgebaut, kaum noch in die Infrastruktur investiert.

Nein. Man hatte bei der Bahn nur den gleichen Käse gemacht, wie bei der anderen Infrastruktur auch. Der Fokus auf Ostdeutschland und auf die Ponyhöfe. Die Infrastruktur auf der ältesten und am stärksten befahrenen Strecken ist streckenweise uralt.
Das Stellwerk, dass in Muelheim ausbrannte, war aus den 1960'er Jahren mit der Technik aus 1960'-70'er Jahren. Das Gerümpel war uralt, als das 2015 ausbrannte. Und das an der am stärksten befahrenen Strecke der Republik. Ein Wirtschaftsunternehmen hätte sich so etwas nicht leisten können.

Heute ist die Deutsche Bahn AG ein schwer durchschaubares Geflecht aus Tochterunternehmen, mit teils doppelten Strukturen. Und in der Bundespolitik wird über eine Zerschlagung und möglicherweise auch Privatisierung dieses Firmen-Universums diskutiert.

Nein. Diese Strukturen machten erst überhaupt einen Überblick und eine Steuerung möglich. So etwas trocknet Verschiebesümpfe aus. Aber nun schickt man den Verstand ja lieber auf Urlaub und wird hinterher über die vielen Milliarden Defizit weinen und gerne in die Schweiz schauen, die das irgendwie billiger und besser hinbekommen.
Also deren Gesamtdefizit ist so hoch, wie 1/3 von dem, was bei uns jährlich dazukommt.

So kann schon ein einziges nicht funktionierendes Signal zwischen Kassel-Wilhelmshöhe und Fulda dazu führen, dass der gesamte Bahnverkehr zwischen Frankfurt, Hamburg, Berlin und vielen anderen Städten in dieser Richtung nur mit massiver Verspätung zum Ziel kommt. Und Halte wie in Fulda ausfallen müssen. Denn die Ausweichstrecken sind viel länger. Und oft auch ausgelastet.

Das Hauptproblem ist, dass unser Streckennetz schon lange am Poller ist und die Züge kaum noch irgendwelche Verspätungen wieder herausfahren können, wie das früher einmal der Fall war.
Hier kann man sich auch die Frage stellen, was man eigentlich will:
- Kurze (nominale) Fahrzeiten ohne Puffer und Toleranz
- Oder eine robuste Planung mit Toleranzen und (geringfügig) längeren Fahrzeiten.

Ich hatte letzten Dienstag alle 3 Späße der Bahn gleichzeitig (aber nicht alle bei meinem Zug):
- Zeitweilige Streckensperrung bei einer Hauptstrecke
- Ein defekter, liegengebliebener Zug
- Polizeieinsatz im Zug. (Eine besonderer Spaß. Früher gab es Bahnbeamte, die auch hoheitliche Rechte hatten und entsprechend durchgreifen konnten. Heute steht dann auch schonmal ein Kahn mit mehreren Hundert Reisenden, wenn da irgendwelche Leute renitent sind oder Beziehungskrise angesagt ist. Da muss dann die Staatsmacht anrücken, da nur die Polizei Gewalt anwenden darf. Und die ist da schonmal etwas weiter weg, selbst wenn der Zug im Hauptbahnhof einer großen Großstadt steht.)

Der Gedanke: Auf den immensen, frei werdenden Flächen in Innenstadtlage könnten dann neue Stadtviertel entstehen. In Frankfurt sollte der Bahnverkehr durch einen Tunnel zu einem neuen Tiefbahnhof verlaufen. Anfang der Nullerjahre legte man das Projekt im Angesicht der prognostizierten Kosten ganz tief zu den Akten im Giftschrank.

Also auch Frankfurt Hbf ist ein bescheuerter Kopfbahnhof. Für die schnellen Strecken begnügt sich die Bahn dann oft über die Rennpiste nur FFM-Flughafen anzusteuern.
Die bescheuerten Kopfbahnhöfe kranken nicht nur an dem großen Flächenverbrauch vor dem Bahnhof, sondern vor allen Dingen daran, dass sich die Züge kreuzen und gegenseitig behindern. Neben dem großen Bogen, den die Züge fahren müssen.
In Frankfurt wird aktiv an einem Tunnel durch die Innenstadt in Richtung Osten geplant.
Für FFM wird sich da aber auch nicht viel am Flächenverbrauch ändern.

Viel spannender: Da wurde überall viel Asche mit dem Rückbau der Güterbahnhöfe gemacht. (Stichwort Europaviertel.) Wo sollen die viele Güter, die zukünftig über die Bahn transportiert werden sollen, eigentlich entladen werden?
Ups. Noch ein Scheunentor im Konzept.

Denn was wissen wir schon, was in Zukunft passiert?

Eldenburg in Brandenburg könnte zur Großstadt werden und Fernverkehr brauchen. München könnte zur Kleinstadt schrumpfen.

Davon träumt so mancher Spinner in der Politik und kippt Milliarden in den Osten, nur um dann dort Strohfeuer zu entfachen.
Warum?
Na, weil das Gros der Städte (jenseits von Berlin) auf natürliche Art und Weise gewachsen sind. Es gab gute, i.d.R. logistische Gründe, warum die Städte dort entstanden sind und so groß wurden.. Und gesamtgesellschaftlich sollten wir auch kein Interesse an solchen Entwicklungen haben.

Und zum Abschluss:

Schon Monate zuvor wurde zudem auf der geplanten Strecke der unter Naturschutz stehende Eichenbock-Käfer gefunden. Es begann eine Debatte darüber, wie man damit umgehen soll: Die Trasse verlegen? Die Bäume, in denen der Käfer wohnt, umpflanzen? Einen Tunnel untendrunter durch bauen?

Karl, der Käfer wurde nicht gefragt...
Da hat man sich in der Berliner Republik eine ganz bescheuerte Industrie ausgedacht.
Anstatt die Viecher geräuschlos und schnell umzusiedeln wird hier ein alberner viele millionenschwerer Tanz aufgeführt. Alles zu Lasten der Algemeinhet.
Aber hey, daran wollen schließlich auch unsere NGO, Aktivisten und Rechtsanwälte verdienen.

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