Mein Fazit zum Artikel von Schiffer/Wagner:
1.
Die Autoren haben wesentliche Aspekte des HISTORISCHEN Antisemitismus wohl einigermaßen korrekt dargestellt. Ob es alle Aspekte waren oder ob sie in der nötigen Tiefe behandelt wurden, lasse ich jetzt mal dahingestellt Aber ich bin kein Historiker.
Der israelische Fachhistoriker Shlomo Sand hat in seinem Buch "Die Erfindung des jüdischen Volkes" ( deutsch bei Propyläen /Ullstein , 2008/2010 ) dazu ziemlich viel
Erhellendes geschrieben. Da wird auch klar,was Schiffer/Wagner kaum erwähnen:
Im Zuge der damaligen europaweiten bzw. weltweiten Nationalismushysterie ließen sich leider zumindest Teile "DES " (zumindest europäischen)"Judentums" dazu verleiten, dem deutschen ( bzw.europäischen) gemanisch- völkischen " National- Mythos" (eventuell auch "Nationalwahn" ) einen ebenso mythisch- biologistischen (und teilweise irrationalen) jüdisch- völkischen Blut- und Boden -Nationalismus entgegenzusetzen. Manche glaubten, in diesem historischen Umfeld, nur so das "jüdische Volk" vor dem Untergang retten zu können.. Bevor der Aufschei kommt: Das soll keine irgenwie geartete Rechtfertigung des "Hitlerismus" sein oder zu dessen Verharmlosung beitragen. Es ist einfach ein (historisches) Faktum. Das allerdings den Keim dafür legte , dass heute zwei religiöse Nationalethnien sich wegen eines relativ kleinen Gebietes unversöhnlich feindlich gegenüberstehen. Ethnischer Nationalismus vererbt sich eben. Allerdings nur in den Gehirnen und kaum in den Genen.
Dass also deutsche Nationalhysteriker aller Couleur sich von Anfang an mit den aller unfairsten Totschlagargumenten (zum Schluss im wörtlichsten Sinn) am "Judentum abarbeiteten" stimmt zwar, aber man sollte solche Kritik (zumindest der intellektuellen Redlichkeit wegen) auch auf die "Nationalhysteriker" aller Glaubens- und Himmelsrichtungen ausweiten.
2.
Ein Beispiel genügte dabei bereits, um die gesamte Unterstellung zu "beweisen" - entsprechend unserer generalisierenden "Pars-pro-toto"-Wahrnehmung. Dies widerspricht entschieden Katz' Schlussfolgerung, dass die Juden lediglich die Selbstmarkierung hätten aufgeben müssen, um dem Rassismus zu entgehen. Über die Definitionsmacht, wer fremd und mit welchen Eigenschaften ausgestattet ist, verfügt aber immer der Mächtigere in einer hierarchischen Konstellation - der, der die Gesetze und Umstände in einem Gemeinwesen prägt, und das war im europäischen Kontext niemals die Minderheitengruppe der Juden.
(Zitatende)
Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass eine "jüdische Selbstmarkierung" zu anderen Zeiten und in anderen Zusammenhängen durchaus gewünscht war . Man denke nur an all die Zuwanderer aus dem Osten nach dem Kollaps der UDSSR. Da wurde gewaltig "markiert" und es wurden plötzlich jüdische Identitäten geboren, die jahrhundertelang
vergessen waren oder geschlafen hatten . Und ich bezweifle , dass das immer nur zwangsweise zum Eigenschutz in einer feindlichen Umgebung geschehen war.
Und in Israel bestimmt der Staat durchaus über die jüdische oder nichtjüdische "Identifizierung" seiner Bürger ". Denn dort ist er jetzt."
....der Mächtigere in einer hierarchischen Konstellation - der, der die Gesetze und Umstände in einem Gemeinwesen prägt,..."
3.
Nur wenigen Juden gelang der Spagat zwischen all den unerfüllbaren Anforderungen und ihrem eigenen Identitätsgefühl. Von der Mehrheitsgesellschaft lieber gehört wurden sowieso diejenigen, die sich ihrer Gruppe gegenüber unsolidarisch verhielten und persönlichen Nutzen daraus zogen, als (ehemalige) Juden das "Jüdische" abzulehnen.
(Zitatende)
Das halte ich für viel zu pauschal, wenn nicht gar überzogen. Bekanntlich dachten sehr viele sich jüdisch Verstehende deutschnational und verstanden sich als "Deutsche jüdischen Glaubens". Mal ganz abgesehen von der eventuell noch größeren Zahl derer, die aus "Mischehen" hervorgegangen waren. Aber natürlich wollten und wollen das überzeugte Zionisten überhaupt nicht hören.
Und übrigens "hören auch wir heute lieber" wenn politisch Rechte oder Islamisten sich "Ihrer Gruppe gegenüber unsolidarisch verhalten und ihre ehemalige Identität ablehnen. Ganz und gar auch dann, wenn diese daraus "Nur" "... persönlichen Nutzen ziehen.
3.
Dasss im (polemischen) politischen Meinungskampf häufig nur selektiv zitiert wird, ist eine Binsenweisheit.
Die Autoren suggerieren aber , dass die "heiligen Schriften" jeweils einen rekonsruierbaren und konsistenten inneren theologischen oder gar moralischen "Wahrheitskern" enthalten würden. Das halte ich für einen beschönigenden theologischen Mythos. Es sind vermutlich fast alles nur (oft historisch zufällige) Sammlungen verschiedenster Legenden oder Fragmente älterer (religiöser oder historischer) Mythologien . Und zudem von Anfang an "redaktionell" von den Obrigkeiten auf Passung mit der Machtagenda getrimmt.
Dewegen kann man heute auch das jeweils (für jeden) Passende spielend leicht heraus- exegieren. Davon leb(t)en ganze Theologengenerationen. Meistens natürlich staatlich alimentiert.
Ähnliche Funktionen haben neuerdings vermutlich auch viele Islam- Wissenschaftler oder auch Religionswissenschaftler. (Ich lass die Anführungszeichen jetzt mal weg) (-:
[Und zu dem Folgenden (und weiteren ähnlichen Textstellen):
Selbst, wenn es offensichtliche Gegenbeispiele für diese "Logik" gibt, dann wird doch auch der andersdenkende und praktizierende Muslim in diesem Sinne nutzbar gemacht. Er wird zur berühmten Ausnahme erklärt, die die unterstellte Regel einmal mehr bestätigt.
(Zitatende)
Ja , ja - die bösen Manipulateure sind immer (nur) die Anderen.
4. P.S.
Und die allenhalben durchscheinende These, dass aufgrund der historischen deutschen und europäischen Antisemitismustradition (oder auch der theolologischen Anti- Judaismus -Tradition) auch heutzutage (auch in den jüngeren Generationen) eine immer größer werdende Gefahr des Wiederauflebens derselben drohen würde, halte ich für "relativ dünn".
Klar stürzen sich (prekär- gebildete) Menschen mit muslimischem Traditionshintergrund rhetorisch wegen des offensichtlich neokolonial bedingten Palästinenserproblems auf "Judengegner" jeglicher Art. Letztendlich sind sie aber trotzdem keine rassistischen Antisemiten der "alten Schule" - egal was sie daherplappern oder nachplappern.
Andererseits hat die zionistische Seite natürlich ein verstärktes Interesse daran , jegliche Kritik am Zionismus (bzw. israelischen Nationalmythos - oder Chauvinismus) immer wieder als nicht geopolitisch, sondern rein rassitisch- antisemitisch aussehen zu lassen.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (01.11.2021 17:16).