Ein historischer Vergleich und welche Konsequenzen er damals hatte:
Das Massaker von My Lai vom 16.03.1968 ist allgemein bekannt. US-Truppen unter Kommando von Leutnant Calley haben mehr als 500 Zivilisten, davon mehr als 70 Säuglinge ermordet, ohne auf bewaffneten Widerstand gestoßen zu sein. Aber nicht nur das: Es wurde auch jedes Huhn, jedes Schwein und jeder Wasserbüffel getötet, deren die US-Truppen habhaft werden konnten („alles was sich bewegt“). Frauen wurden, bevor sie ermordet wurden, vergewaltigt, das Trinkwasser des Ortes wurde vergiftet, alle Unterkünfte niedergebrannt.
Anfangs wurde das Massaker von My Lai als großer Sieg der US-Truppen vermarktet, bei dem angeblich 128 „Vietcong“ ohne eigene Verluste getötet werden konnten.
Nun gut, das Massaker wurde vor allem auf Grund des Engagements von Soldat Ridenhour als solches erkannt, wobei Soldat Ridenhour als Dank in einem Teil der US-Presse als "Verräter, Dreckskerl, Agent von Hanoi, Kommunist, Jude“ und „eine Schande für unsere Gesellschaft" beschimpft wurde.
Von der mordenden Truppe wurde nur der Vor Ort kommandierende Leutnant Calley mehr als zwei Jahre nach der Tat aufgrund der Fotos (u.a. in Life durch S. Hersh veröffentlicht) vor Gericht gestellt und Ende März 1971 wegen nachgewiesenem 102 fachen Mord zu lebenslanger Haft verurteilt. Diese Strafe wandelte Präsident Nixon innerhalb eines (!) Tages in Hausarrest um, bevor er 1974 ganz begnadigt wurde.
Nicht angeklagt wurde nicht nur die mordende Soldateska. Auch die kommandierenden Offiziere wurden nicht behelligt. So befahl Captain Mediva bei der Einsatzbesprechung vor My Lai, dass in My Lai jeder zu töten sei, der angetroffen werde. Auf die Rückfrage eines Soldaten, ob damit auch Frauen und Kinder gemeint seien, antwortete Captain Mediva – wie in vielen Einsatzbesprechungen vor- und nachher „Alles was atmet, alles was sich bewegt“. Captain Mediva wurde selbstverständlich für diese Befehle nicht belangt.
Ebensowenig wurde gegen mindestens 30 Personen, davon 2 Generäle, ermittelt, die aktenkundig und vorsätzlich versucht haben, die Ermittlungen zu My Lai zu behindern. Auf der anderen Seite wurden zahlreiche US-Soldaten, die im Zuge des My Lai-Prozesses ermutigt waren, ähnliche Verbrechen anzuzeigen, bedroht, verleumdet, eingeschüchtert oder bestenfalls ignoriert.
Die US-Regierung war bereits 1969 über das Massaker in My Lai informiert. Mitglieder der US-Regierung hatten Angst, dass sich ein Prozess über das Massaker zu einem ähnlichen, wie die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse ausweiten könne.
Die Angst war nicht ganz unbegründet, da 1971 Telford Taylor, Assistent (Beigeordneter Ankläger) des amerikanischen Hauptanklägers bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen und später selber Chefankläger in den Nürnberger Nachfolgeprozessen, in der „Dick Cavett Show“ die Ansicht vertrat, dass General Westmoreland nach den Yamashita-Standards schuldig sei. Herr Yamashita war kommandierender General japanischer Truppen, die nachweislich Kriegsverbrechen begangen hatten. General Yamashita wurde in einen US-Kriegsverbrecherprozess zum Tode verurteilt, obwohl er zum Zeitpunkt der Verbrechen keinen Kontakt mehr zu seinen Truppen hatte.
Daher wurde zunächst eine Army-interne Untersuchung angeordnet, die den Fall unter den Tisch kehren sollte. Obwohl der Vorsitzende der Untersuchungskommission, Lieutenent General William Peers einen nur sehr begrenzten Untersuchungsauftrag hatte, nahm er diesen ernst, und fand deutliche Worte über das Morden und - aus Sicht des Pentagon viel schlimmer - über die Befehlsstrukturen, die dieses erst möglich machten. Peers stellte insbesondere die persönliche Schuld des Kommandeurs der 11. Infanteriebrigade, Colonel Oran Henderson fest, da dieser
1. das Massaker, obwohl er darüber informiert war, nicht stoppte
2. keine Untersuchung einleitete, sondern
3. alles tat, um das Massaker zu verschleiern, insbesondere vorsätzliche falsche Angaben zum Hergang, den Opfern und der Anzahl der Opfer (20 Zivilisten, die ins Kreuzfeuer zwischen US-Truppen und denen der NLF gekommen sind) machte.
Peers hat aber in seinem Bericht nicht nur My Lai benannt, sondern auch andere Massaker, die nahe My Lai 1968 verübt wurden. Dies war dem Pentagon definitiv zu viel. Der Peers Bericht wurde m März 1970 stark "überarbeitet", wobei seine Aussage ins Gegenteil verkehrt wurde.
Der Originalbericht kam erst 1974 an das Licht und wurde ... man ahnt es: von Strafverfolgungsbehörden und Presse noch nicht einmal ignoriert.
Zum Abschluss noch ein Wort zu Leutnant Calley. Herr Calley war eindeutig "Bauernopfer". Er war ein rangniederer Offizier und - im Gegensatz zu den zahlreichen nicht belangten höheren Offiziere - kein West Point Absolvent. Seine Verurteilung diente vor allem dazu, die höheren Chargen von allen Vorwürfen freizusprechen.
Zur Rolle der Massenmedien: Diese ignorierten vor 1971 die vielfältigen Berichte über US-Kriegsverbrechen in Vietnam und taten diese als kommunistische Propaganda ab.
Nach den (öffentlichen) Diskussionen zum Massaker von My Lai gab es aber auch keine weiteren Veröffentlichungen zu Kriegsverbrechen, da alle genannten Massaker in ihrem Umfang kleiner waren, als My Lai – das zudem bedauerliches Einzelereignis durch das Fehlverhalten Einzelner sei. 1973/74 ging dann die Presse dazu über, jede neue Meldung zu Kriegsverbrechen als „alten Hut“ und „längst bekannt“ zu bezeichnen. Wir haben also folgende Abfolge:
vor 1971: noch nicht einmal ignorieren
1971-1973: erst leugnen, dann relativieren
seit 1973: alle Berichte über US-Verbrechen werden als „alter Hut“ bezeichnet, die nur noch von akademischem Interesse seien.
Mal schauen, was jetzt aus den zunehmenden Meldungen über israelische Kriegsverbrechen folgt.