Vielen Dank, Frau Berger, für Ihre sehr interessante, faktenreiche Arbeit. Dennoch hier einige Kritikpunkte. Zuerst zu den Honigbienen:
Und hier gab es trotz Einsatz von Neonikotinoiden und Glyphosat kein Bienensterben.
Ein Satz, der auf eine falsche Fährte führen kann. Ich habe keine Kenntnis über die Situation in Australien, aber man kann davon ausgehen, dass die Neonics auch dort ihre verheerende Wirkung entfalten. Es gibt ja keinen Zweifel daran, dass sie äusserst schädlich sind und global ausgemustert gehören. Falls das in Australien weniger durchschlägt, hat es vielleicht mit einer gewissen räumlichen Trennung zu tun, die die Belastung für die Bienen in Grenzen hält. Generell ist es nicht sehr sinnvoll Varoa-Milbe und Neonics gegeneinander auszuspielen. Am schlimmsten ist gewiss die Kombination beider Stressoren.
Zur Kritik an M. Imhoofs 'More than Honey' möchte ich noch bemerken, dass sich mir schon damals, als ich die Passagen zu China sah, Fragen stellten, die in diesem Artikel jetzt beantwortet werden. Es ist sicher eine Schwäche des Films, dass er das 'Aussterben' der Honigbiene als Aufhänger verwendet. Da ist Einiges nicht zu Ende gedacht. Dennoch wird die Problematik an sich korrekt dargestellt, auch diejenige in China, wenn auch nicht kapitalismuskritisch genug. Zudem ist der Film ästhetisch beeindruckend und hat sicherlich viele Menschen für das Thema Insekten generell sensibilisiert, wenn auch vorerst zu fokussiert auf die Honigbiene, was aber durch spätere Informationen korrigiert werden kann.
Gewässerrenaturierungen hatten nicht die erwartete Wirkung auf den Fischreichtum.
Auch diese Aussage ist etwas zu apodiktisch. Für eine endgültige Aussage braucht es sehr viel Zeit, jeder Eingriff bedeutet zuerst einmal Stress und es braucht Anpassung, das dauert. Natürlich kann man nicht von 'Renaturierung' sprechen, wenn das Gebiet anschliessend als Freizeitwiese für gestresste Städter missbraucht wird.
Andererseits hat sich aber gerade der Braunkohletagebau als Segen für viele bedrohte Arten unter Schmetterlingen und Vögeln erwiesen, weil er Ödland und Abbruchkanten zurücklässt, Landformen, an denen es heute in Deutschland mangelt.
Auch hier hätte es einer klaren Relativierung bedurft. In der Summe ist und bleibt der Braunkohletagbau eine Katastrophe, man denke nur an die Quecksilberemissionen.
Dass viele 'Ökomassnahmen' mehr als fragwürdig sind und oft eine versteckte Agenda in sich tragen, ist sicher richtig und gehört explizit hinterfragt. Die Vorstellungen der 'Öffentlichkeit' und der Politik simplifieren oft die realen Gegebenheiten über Gebühr. Darauf aufmerksam zu machen ist wichtig. Man muss aber das Fehlen eines Blicks auf das Ganze monieren. Allzu sehr klebt die Autorin an einzelnen Studien, von denen jede einzelne einer ausführlichen kritischen Würdigung bedürfte, und versucht nicht, jedenfalls nicht explizit, einen verallgemeinernden Schluss zu ziehen, obwohl dieser auf der Hand liegt. Jeder Eingriff in natürliche Verhältnisse bedeutet, wie schon gesagt Stress, also eine Belastung. Das Gesamtsystem wird aus dem, an sich schon labilen, Gleichgewicht gebracht. Die heutige menschliche Eingriffsdichte ist so hoch, dass ein Gleichgewichtszustand gar nicht mehr erreicht wird. Dazu kommt die Klimakrise, die ebenfalls die Bedingungen konstant und tendenziell im schneller modifiziert. Auf einer gewissermassen philosophischen Ebene muss man daraus den Schluss ziehen, dass die Menschheit versuchen sollte, sich an die natürlichen Umstände gleichsam anzuschiegen - eine Mimesis an die Natur gewissermassen. So viele Eingriffe wie unbedingt nötig, so wenige wie möglich. ('Lass Sein'. Sein grossgeschrieben.) In der christlichen Kultur im allgemeinen und im Kapitalismus im besonderen wird genau das Gegenteil getan. Die fortgeschritten Geister träumen einen Demiurgentraum von einer Natur 2.0. SF-Filme, in denen meist eigentliche irdische Natur kaum vorkommt, bebildern die Fantasie, antizipieren sie als gelungen oder zumindest einlösbar.
Die Auswirkungen sind verheerend. Die Menschheit zerstört ihre eignen Lebensgrundlagen, was eine beeindruckende 'Leistung' darstellt.
Praktisch - um wieder halbwegs zum Thema zurückzukommen - muss man aus all dem von Berger Geschilderten schliessen, dass wir dringend eine vollständige Abkehr von dem brauchen, was als konventionelle Landwirtschaft bezeichnet wird. Öko-Kleinklein löst die Probleme gewiss nicht. Eine Neonic- und / oder Glyphosat-Verbot ist zwar wünschenswert, aber wenn man vom herrschenden Paradigma nicht abgeht, wird das nur zum Einsatz einer ebenso zweifelhaften, aber noch nicht genügend erforschten Folgesubstanz führen, wie ja auch Berger an einer Stelle andeutet. Im kapitalistischen Falschen gibt es kein Richtiges, bestenfalls ein etwas weniger Gefährliches. Und das reicht nicht.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (17.11.2019 16:36).