Das Völkerrecht kennt nicht nur das generelle Gewaltverbot sondern auch lauter Ausnahmen davon.
Was aber viel interessanter ist, ist der Umstand, dass das Völkerrecht einerseits davon ausgeht, dass es zahlreiche Gründe für Gewalt gibt, sich mit denen aber nicht befassen will. Es beschäftigt sich - ganz der Borniertheit eines juristischen Standpunkts folgend - nur mit der Frage, wann wem was erlaubt ist.
Das kennt man vom nationalen Recht. Auch da werden lauter Gegensätze unterstellt, aber nicht erklärt. Das Recht gibt diesen Gegensätzen eine Verlaufsform vor, in der sie sich zu bewegen haben, andernfalls sanktioniert/straft der Gesetzgeber die Partei(en) ab.
Anders gesagt: im nationalen Recht gießt der Gesetzgeber sein Interesse an dem Gegensatz in Recht, und macht ihn so produktiv. Der Gegensatz soll als solcher erhalten bleiben, aber keine der Parteien ruinieren. Das Gewaltverbot rundet das ab.
Im internationalen Recht liegt im Prinzip dasselbe Verfahren vor: das Recht hebt die Gegensätze nicht auf, es gibt ihnen eine Verlaufsform. Der entscheidende Unterschied ist aber, dass das Recht nicht über den Parteien steht, es kein Gewaltmonopol gibt, dass die Parteien zur Einhaltung des Rechts zwingen könnte.
Das resultiert dann in so interessanten Fragestellung, wie "welche Rechte eine Besatzungsmacht hat, und welche Rechte der besetzten Bevölkerung zustehen". Juristen beschäftigen sich allen Ernstes mit solchen Fragen, ohne einmal darüber nachzudenken, was da überhaupt für ein sachliches Verhältnis vorliegt, also welche Interessen da aufeinanderprallen.
Selbst da, wo so offensichtlich ist, dass die Angelegenheit schlicht eine Frage der überlegenen Gewalt ist, lassen sich Juristen nicht beirren und versuchen die Rechtslage zu klären. Und dann? Dann wird wieder einmal eine folgenlose Resolution verabschiedet.
Juristen sind sich nicht zu schade dafür solche Aussagen zu machen:
"Das völkerrechtliche Gewaltverbot hat als Grundnorm der gegenwärtigen internationalen Ordnung auch die Herausforderungen durch den Irakkrieg bestanden. Das Gewaltverbot gilt weiterhin als zwingendes Völkerrecht.
[...]
Denn nicht nur gilt das Gewaltverbot in Artikel 2 Ziffer 4 der UN-Charta weiterhin als Bestandteil dieses völkerrechtlichen Vertrages fort. Vor allem aber hat die übergroße Mehrheit der Staaten aus Anlass der Afghanistan-Intervention 2001 sowie insbesondere des Irakkrieges 2003 ihr grundsätzliches Festhalten an dieser Fundamentalnorm bekräftigt.
"
(https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/28036/gewalt-und-gewaltverbot-im-modernen-voelkerrecht/)
Der Jurist scheint zufrieden zu sein, wenn das Gewaltverbot nach wie vor im Recht verankert ist, auch wenn es praktisch keine Auswirkung hat. Diese geistige Verrenkung muss man auch erstmal hinbekommen.
Festhalten kann man, dass sich noch kein Staat durchs Völkerrecht von der Anwendung von Gewalt abhalten hat lassen. Insbesondere in den USA gibt es auch immer wieder Stimmen aus den höchsten politischen Reihen, die davor warnen, sich dem Völkerrecht unterzuordnen, oder auch nur den Anschein aufkommen zu lassen, dass sich die USA durchs Völkerrecht binden ließen. So wurde anläßlich des Irakkrieges explizit davor gewarnt, sich ein Mandat von der UN geben zu lassen, dass würde einen "gefährlichen Präzedenzfall" schaffen.