Dampflokomotive schrieb am 29.10.2024 09:57:
Der Mann sagt da ziemlich klar und direkt was er denkt. Und er hat meiner Meinung nach auch mit jedem Wort Recht. Er differenziert zum Beispiel klar zwischen dem Staat Israel, der Bevölkerung dort, den Glauben und so weiter. Was bei den normalen Statements von Medien und Politik ja nicht gestattet ist. Er nennt auch die Zahlen. Und Fakten hat der Mann. Jede Menge Fakten.
Okay, ja, in den meisten deutschen Foren würde man mit solchen Beiträgen gesperrt werden. Keine Frage. Von offizieller Seite ist man sehr vorsichtig und das schlägt dann auch auf Forenbetreiber durch.
Aber es ist sehr erfrischend und erhellend solche Interviews zu lesen. Gerne mehr davon.
Herr Lüders hat in diesem Interview eigentlich alle Argumente aufgeführt, auf die jeder vernunftbegabte Mensch frei von Ideologien kommen müsste:
1. Deeskalation durch Eskalation
Wie kann man die Auffassung vertreten, dass die Strategie "Deeskalation durch Eskalation" mit dem Tod von ca. 43.000 Palästinensern zu Frieden führen wird vorallem, wenn man die Entstehungsgeschichte der Hisbollah und Hamas kennt, die als Reaktion auf Israels militärische Operationen entstanden sind.
Das Unrecht im Gaza-Streifen ist der Nährboden für zukünftige Terroristen, nicht weil die Menschen per se radikal sind, sondern weil dies eine "natürliche" Reaktion von Menschen auf Unrecht ist.
Dies war auch den Zionisten vor der Besiedlung Palästinas klar, als es noch keine "blutrünstigen, fanatischen" Islamisten gab. Anbei ein Aussschnitt aus "Iron Wall" vom führenden Zionisten Jabotinsky veröffentlicht 1923:
Our Peace-mongers are trying to persuade us that the Arabs are either fools, whom we can deceive by masking our real aims, or that they are corrupt and can be bribed to abandon to us their claim to priority in Palestine , in return for cultural and economic advantages. I repudiate this conception of the Palestinian Arabs.
Culturally they are five hundred years behind us, they have neither our endurance nor our determination...
Every native population in the world resists colonists as long as it has the slightest hope of being able to rid itself of the danger of being colonised
2. Doppelmoral
Wie muss man die offensichtliche Doppelmoral auffassen, wenn Deutschland in ähnlichen Konflikten unterschiedliche Positionen bezogen hat und welchen Einfluss wird diese Doppelmoral auf die Glaubwürdigkeit Deutschlands haben?
a) Definition von Kriegsverbrechen unterschiedlich ausgelegt
Gerade der Vergleich mit dem Krieg in der Ukraine offenbart die Doppelmoral Deutschlands:
https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-12/ukraine-ueberblick-kriegsverbrechen-waffenruhe-annalena-baerbock-olexandra-matwijtschuk
Am schlimmsten sei die Lage für die Menschen in den besetzten Gebieten, sagte Baerbock. "Hier fehlt es nicht nur an Strom und Wärme, nicht einmal internationale Hilfslieferungen kommen hierher durch. Jeden Tag leben die Menschen in Angst vor Verschleppung, Folter, Mord durch die russischen Besatzungstruppen."
ABER
https://de.euronews.com/2023/10/23/eu-aussenminister-in-luxemburg-berlin-gegen-humanitare-waffenruhe-fur-gaza
Deutschland stellt sich in der EU gegen Forderungen nach einem humanitären Waffenstillstand für den Gazastreifen. Die Bekämpfung des Terrorismus sei essenziell, sagte Außenministerin Annalena Baerbock am Montag bei dem Treffen in Luxemburg.
Man sehe, dass weiterhin massiv Raketenangriffe auf Israel getätigt würden. "Es wird nur Frieden und Sicherheit für Israel und die Palästinenserinnen und Palästinenser geben, wenn der Terrorismus bekämpft wird", sagte die Grünen-Politikerin mit Blick auf das Vorgehen der islamistischen Hamas gegen Israel.
https://www.spiegel.de/ausland/nato-annalena-baerbock-warnt-tuerkei-vor-bodenoffensive-in-nordsyrien-a-0603969e-5797-4daa-bf8f-27d0bf17668c
»Unser zentrales Ziel ist der Schutz von Zivilisten«, sagte Baerbock weiter. »Und dabei gilt das Völkerrecht – auch mit Blick auf den Schutz vor Terrorismus«.
Frau von der Leyen hatte eine klare Definition für Kriegsverbrechen als es um die Ukraine ging:
https://www.merkur.de/politik/von-der-leyen-angriffe-auf-energieversorgung-in-ukraine-sind-kriegsverbrechen-91860356.html
«Gezielte Angriffe auf zivile Infrastrukturen - mit der klaren Absicht, Männer, Frauen und Kinder von Wasser, Strom und Heizung abzuschneiden - sind reine Terrorakte», sagte die deutsche Politikerin am Mittwoch in Straßburg vor dem Europaparlament. Damit beginne «ein neues Kapitel in einem bereits grausamen Krieg». «Das sind Kriegsverbrechen.»
Als der komplette Gaza-Streifen dem Erdboden gleich gemacht wurde, war sie nicht in der Lage zur gleichen Einschätzung zu kommen.
b) Internationales Recht/ Regelbasierte Weltordnung
Herr Lüders hat darauf hingewiesen, dass Deutschland sich bei der Völkermordklage Südafrikas als einzige Nation vor dem IGH sich auf die Seite von Israel gestellt hat.
Das an sich ist nicht zu kritisieren, wenn Israel tatsächlich im Recht wäre und Deutschland allgemein gültige Regeln verteidigen würde.
Die Reaktion Deutschlands überrascht jedoch, wenn man bedenkt, dass Deutschland noch im November 2023 ebenfalls in einem anderen Genozid-Fall auf Seiten der Genozidkläger interveniert hat und sich für eine engere Auslegung der Definition eines Völkermordes eingesetzt hat.
https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/-/2632016
Deutschland ist am Mittwoch (15.11) dem von Gambia eingeleiteten Völkermord-Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) gegen Myanmar beigetreten.
Hier einige entscheidende Auszüge:
https://www.icj-cij.org/case/178
Für die Erfüllungs des Tatbestandes eines Völkermordes, muss der Kläger die "Absicht" (Intent) des Angeklagten nachweisen, was unter anderem in der Praxis sehr schwer ist. Deutschland vertrat dabei die folgende Position:
49. First, the Declarants submit that specific intent can be established on the basis of circumstan-tial evidence. ...while “general plans” or official governmental policies can yield direct evidence, genocidal intent is rarely formulated expressly. In Croatia v. Serbia, the parties accepted “that such [genocidal] intent will seldom be expressly stated.
Heutzutage ist es schwer eine Absicht nachzuweisen und die Hürden seien daher zu hoch:
51. ...The Declarants submit that,
precisely because direct evidence of genocidal intent will often be rare
, it is crucial for the Court to adopt a balanced approach that recognizes the special gravity of the crime of genocide, without rendering the threshold for inferring genocidal intent so difficult to meet so as to make findings of genocide near-impossible.
Es sollte daher ausreichen, dass die Absicht anhand von Indizien nachgewiesen werden kann:
50. The Declarants agree with these observations, which rightly emphasize that circumstantial evidence will typically be highly significant in drawing inferences of specific intent.
Ein Völkermord ist nicht zwingend nur durch die Tötung von Zivilisten definiert:
53 This cannot be the threshold of the test when other methods of inference are also present, such as when examining the scope and severity of a perpetrator’s conduct to evidence specific intent...
56 Beyond killing, evidence of other acts committed against a targeted group can be equally relevant to the determination of specific intent.
Welche Indizien für die Absicht eines Völkermordes gewertet werden können, wird entsprechend erläutert
Hierzu zählt der Entzug von ausreichender Nahrung und Medizin, die Tötung von Kindern , die Vertreibung von Zivilisten
Entzug von Nahrung und Medizin
41. The Court has already recognized that “Article 11(c) of the Convention, covers methods of physical destruction, other than killing, whereby the perpetrator ultimately seeks the death of the members of the group.”34 Examples of such conduct recognized by the ICTR include “subjecting a group of people to a subsistence diet, systematic expulsion from homes and the induction of es-sential medical services below minimum requirement.
Auch die Zufügung von psychischen Schäden wird als Absicht für einen Völkermord gewertet:
46. In relation to Article 11(b), the ICTY noted that “forced displacement may — depending on the circumstances of the case — inflict serious mental harm, by causing grave and long-term di-sadvantage to a person’s ability to lead a normal and constructive life so as to contribute or tend to contribute to the destruction of the group as a whole or a part thereof.”
Die Tötung von Baby´s
70 ... In Akayesu, for example, the ICTR emphasized that evidence demonstrating that “even newborn babies were not spared” demonstrated the perpetrators’ “intention to wipe out the Tutsi group in its entirety.”
71. Thus, the Declarants submit that the targeting of children is relevant to the determination of specific intent.
Vertreibung von Zivilisten
74. The Declarants further submit that a violent military operation triggering the forced displacement of members of a targeted group may similarly contribute to evidence of a specific intent to destroy the protected group
Zu diesem Thema passt, dass der Haftbefehl gegen Netanjahu und Gallant, der Ende Mai beantragt wurde, auf Grund der Intervention Deutschlands und Großbritanniens bis heute immer noch nicht vom Gericht ausgestellt wurde.
c) Boykott
Als Russland ebenfalls das Völkerrecht eklatant verletzt hat, wurde es von vielen Veranstaltungen ausgeschlossen. Für Israel gilt dies nicht. Warum?
Des Weiteren wird zurecht darauf hingewiesen, dass der gewaltsame Widerstand der Palästinenser von uns abgestraft werden muss.
Verschwiegen wird jedoch, dass wir jede Form des friedlichen Widerstandes wie z.B. den Antrag von Abbas 2011 auf die Aufnahme in der UN auch von Deutschland sanktioniert wurde.
Beschämend ist, dass Deutschland in der Vergangenheit die Bemühungen friedlicher Palästinenser immer wieder sanktioniert hat und die internationale Anerkennung Palästinas verhindert hat. Makaber wird dies, weil dadurch den Palästinensern die legalen Mitteln zur Gegenwehr lange Zeit verwehrt wurde.
Denn laut Israel rechtfertige der Umstand, dass die Palästinenser nicht über einen Staat verfügen, die gezielte Tötung der Terroristen und damit die Kollateralschäden:
https://en.wikipedia.org/wiki/Targeted_killing_by_Israel
Gal Luft of the Institute for the Analysis of Global Security has argued that because the Palestinian National Authority is not a state, and because few governments recognize Hamas' control in Gaza, the Israeli-Palestinian conflict is not bound by the set of norms, rules, and treaties regulating other state conflicts.[21] John Podhoretz has written for the New York Post that if the conflict were between states, targeted killing would be in accordance with the Fourth Geneva Convention (Part 3, Article 1, Section 28) which reads: "The presence of a protected person may not be used to render certain points or areas immune from military operations." Podhoretz therefore argues that international law explicitly gives Israel the right to conduct military operations against military targets under these circumstances.
Ebenfalls wird ausgeblendet, dass die friedlichen Proteste 2018 im Gaza-Streifen von Israel brutal unterdrückt worden sind.
In den friedlichen Gaza-Protesten von 2018 tötete die israelische Armee gezielt 223 Palästinenser, 70 mit Kopfschuss, darunter 35 Kinder und 6 mit Kopfschuss. Ein Aufschrei des Westens blieb jedoch aus.
https://www.ohchr.org/en/hr-bodies/hrc/co-iopt/report2018-opt
"Yasser Abu Naja (11) On 29 June, Israeli forces killed Yasser from Khan Younis with a shot to the head as he was hiding with two friends behind a bin ...
Nasser Mosabeh (11)
Nasser was from Khan Younis. On 28 September, Israeli forces shot him in the back of the head as he stood 250 m from the separation fence. He died the same day."
Wenn man jedoch diese Aktionen boykottieren möchte, dann werden die Boykottaufrufe als antisemitisch delegitimiert:
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw20-de-bds-642892
Der Bundestag hat am Freitag, 17. Mai 2019, einen gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“ (19/10191) angenommen...
Wie es in dem angenommenen Antrag der vier Fraktionen heißt, rufe die „Boycott, Divestment and Sanctions“-Bewegung (abgekürzt BDS) auch in Deutschland zum Boykott gegen Israel, gegen israelische Waren und Dienstleistungen, israelische Künstlerinnen und Künstler, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Sportlerinnen und Sportler auf. Der allumfassende Boykottaufruf führe in seiner Radikalität zur Brandmarkung israelischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger jüdischen Glaubens als Ganzes. Das sei inakzeptabel und scharf zu verurteilen.