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42 Beiträge seit 18.04.2024

Re: Sehr interessanter Artikel des taz-Journalisten Daniel Bax

Zustimmung auch von meiner Seite aus. Der Kommentator "Alefse" fragt völlig zu Recht

"Was ist mit Menschenrechten und Gerechtigkeit?"

Bei der Frage nach der Gerechtigkeit ist mir eine Sache von Anbeginn nicht klar gewesen: Die "Hamas" soll für die Gräueltaten an Israelis am 7. Oktober 2023 verantwortlich sein.
Daher meine Frage an "Haroun", der sich mit dem Thema offensichtlich schon länger beschäftigt hat:
"Die Hamas" als homogene Gruppe gibt es meines Wissens gar nicht. Es handelt sich dabei um ein Narrativ, das von der israelischen Regierung verbreitet und von westlichen Medien nachgeplappert wird. Bereits 2017 hat selbst die mit dem Pentagon verbundene RAND-Corporation darauf hingewiesen

"Israel does not recognize the difference between attacks launched by Salafists and those conducted by Hamas. Israel regards Hamas - the de facto recognized government of Gaza - as responsible for any and all attacks emanating from Gazan soil." [1]

Nun ist es allerdings so, dass der Terror-Überfall auf Israelis am 7. Oktober hauptsächlich von den Al Qassam Brigaden ausgeführt wurde.

"Mohammed Deif, commander in chief of Hamas' military arm, Al Qassam Brigades, releases a video statement claiming responsibility for the attack." [2]

Laut dem im arabischen Raum bestens vernetzten Sender Al Jazeera:

"the Qassam Brigades, carried out attacks inside Israel on October 7, killing more than 1,400 people and taking up about 200 people captive ..." [3]


Weiter heißt es dort:

"Other armed groups in Gaza have indicated that they are joining the current resistance against Israeli forces. Chief among them are the Palestinian Islamic Jihad’s Saraya al-Quds Brigades. (...) the Abu Ali Mustafa Brigades [...] also has an active military presence in Gaza and has been joining calls for armed resistance through official Telegram messages." [3]

Die deutsche FAZ schrieb am 28. November:

"Mindestens fünf bewaffnete Palästinenserorganisationen haben sich laut einem Bericht des britischen Senders BBC an dem Terrorangriff der Hamas auf Israel beteiligt [und] Videos veröffentlicht, die beweisen sollten, dass sie an dem Angriff beteiligt waren. Laut BBC teilten drei weitere Palästinensergruppen auf Telegram lediglich schriftlich mit, sie wären ebenfalls an dem Angriff beteiligt gewesen." [4]

Demzufolge scheint es also einen regelrechten Wettbewerb darum gegeben zu haben, aus dem vermeintlichen "Erfolg" des Terroraktes der Al Qassam Brigaden PR-Nutzen zu generieren. Bei all diesen Gruppen handelt es sich um militante, radikalisierte und bewaffnete Brigaden. Inwieweit diese sich überhaupt unter dem Dach "der Hamas" einreihen lassen, ist zumindest fraglich. Auch wenn die israelische Regierung das gerne und aus massenpsychologischen Erwägungen heraus (homogenes Feinbild) so hätte. Das gilt selbst dann, wenn Hamas-Sprecher in fast prahlerischer Art PR-Nutzen aus dem Terrorakt abzuleiten versuchen.

Der unter [1] zitierte Artikel, den die RAND-Corporation veröffentlicht hat, hat andererseits bereits vor 7 Jahren darauf hingewiesen, dass die bewaffneten Brigaden, denen die "Hamas" als Verwaltungsstruktur zu lasch gegenüber Israel agiere, von radikalen Salafisten sukzessiv unterwandert würden.

"The rise of hardline Salafism [...] is a worrisome trend in Gaza. Hamas, whose ideology is a blend of Palestinian nationalism and hardline Islamist politics, is being outflanked by more violent, extremist terrorist organizations determined to destroy Israel and wage war on Palestinian groups it has deemed too moderate." [1]

"The success of the Islamic State (ISIS), itself a hardline Salafi group, further strengthened Gaza's Salafists. (...) Gaza's Salafi have also criticized Hamas for agreeing to a cease-fire with Israel on several occasions, the most recent of which was in mid-2015, claiming that the once-feared Palestinian terrorist group known for its use of suicide bombings is now guilty of collaborating with the Zionist enemy.' [ebd]."

Demzufolge findet also bereits seit Jahren eine Art Selektionsprozess in Palästina statt (mithin bereits die Trennung der Fatah von der Hamas), welche sogar zu internen Kämpfen um die Macht geführt haben und in der militante Dschihadisten aus den salafistischen Spektrum, wie der IS, durch permanentes Anwerben neuer Mitglieder die Dominanz zu erringen versuchen. Anders ausgedrückt: Sie benutzen die Hamas als Vehikel für ihre dschihadistischen und klar anti-zionistischen Ziele.

"Although the Izz al-Din al-Qassam Brigades are an integral part of Hamas, [...] they appear to operate at times independently of Hamas, exercising a certain autonomy. Some cells have independent links with the external leadership, enabling them to bypass the hierarchical command chain and political leadership in Gaza. [...] A senior Hamas official as stating: 'The Izz al-Din al-Qassam Brigade is a separate armed military wing, which has its own leaders who do not take their orders from Hamas and do not tell us of their plans in advance.'" [5]

"Hamas has already lost some of its more radical members, including many from its military wing, to these groups, which advocate a more militaristic stance toward Israel. (...) This means that attacks by Salafists could - and indeed have - resulted in [...] punishing Hamas for the misdeeds of the Salafists." [1]

Die Autoren des Artikels [1] kommen daher zu der Schlussfolgerung:

"Gaza's Salafists could surpass Hamas as the most dangerous threat to other Palestinians and the state of Israel. Such a result would likely be disastrous."

Diese Vorgänge in Gaza können auch Netanyahu nicht entgangen sein. Man könnte ihm (und der Gruppe um ihn) auf dieser Grundlage quasi vorwerfen, die Unterwanderung und Radikalisierung der Hamas absichtlich protegiert zu haben. Warum, abgesehen von der Frage um die Zweistaaten-Lösung? Es drängt sich der Verdacht auf, dass es darum gehen könnte, das palästinensische Volk für immer aus Gaza zu vertreiben, weshalb eine Radikalisierung geschürt wurde. Smotrich et al lassen grüßen ... Schließlich braucht selbst eine Netanyahu-Regierung einen plausiblen Grund für ihre militärische Intervention.
Was die Netanyahu-Regierung also betreibt ist letzten Endes: Die Bestrafung (und Vertreibung?) des palästinensischen Volkes mit dem Argument, sie führe Krieg gegen die Hamas. Eine Hamas allerdings, welche dermaßen inhomogen und von radikalen Kräften (Salafisten, IS, laut RAND-Bericht) unterwandert ist, dass zwangsläufig auch die "Falschen" getroffen werden.

Dass Netanyahu selbst mithalf, die Hamas zu finanzieren, weil er sich davon versprach, dass deren Existenz eine Zweistaaten-Lösung verhindere, setzt der ganzen Verwirrung/Verschleierung um die Verantwortlichkeiten noch das letzte i-Tüpfelchen auf.

"For years, Netanyahu propped up Hamas. [...] According to various reports, Netanyahu made a [...] point at a Likud faction meeting in early 2019, when he was quoted as saying that those who oppose a Palestinian state should support the transfer of funds to Gaza, because maintaining the separation between the Palestinian Authority in the West Bank and Hamas in Gaza would prevent the establishment of a Palestinian state (...) Bolstered by this policy, Hamas grew stronger and stronger until Saturday, Israel’s 'Pearl Harbor,' the bloodiest day in its history." [6]

Dies alles geschah übrigens wohl auch mit Wissen und stillschweigender Billigung der USA:

"The US was aware of the Qatari payments to Hamas, a former senior State Department official involved in the region told CNN on condition of anonymity due to the sensitivity of the matter." [7]


Dass Dschihadismus, angefangen bei der Unterstützung der Mudschahedin durch die CIA, über Osama bin Laden, Organisationen wie Al Kaida, Al Nusra bis hin zum IS und seinen Nachfolgern, Nureddin al Zenki, Ahrar Ash Sham, Jabhat Fatah al Sham, Ansar al Sharia und wie sie alle heißen, letztlich von den USA gegen Syrien als "Freie Syrische Armee" instrumentalisiert wurden [8], sei hier nur am Rande erwähnt, weil es den Rahmen völlig sprengen würde.

Das alles bringt mich zu dem Fazit, dass es beim gegenwärtigen Gazakrieg und dem versuchtem Genozid darum geht, einen Prügelknaben (die Palästinenser) zu bestrafen, dessen Aushängeschild "Hamas" als Feindprojektion vermarktet wird. Und zwar von der israelischen Regierung sowie den allermeisten westlichen Mainstream-Medien, die das nachplappern. Hinter dieser Fassade stecken im Grunde noch ganz andere Verantwortlichkeiten.

Es wäre interessant zu erfahren, ob unter dem eingangs erwähnten Anspruch nach "Menschenrechten und Gerechtigkeit" Kommentatoren wie "Haroun" das ähnlich sehen.

[1] https://www.rand.org/pubs/commentary/2017/10/how-salafisms-rise-threatens-gaza.html
[2] https://abcnews.go.com/International/timeline-surprise-rocket-attack-hamas-israel/story?id=103816006
[3] https://www.aljazeera.com/news/2023/10/26/who-are-qassam-armed-resistance-in-gaza
[4] https://www.faz.net/aktuell/israel-krieg/liveticker-zum-krieg-in-nahost-israel-und-hamas-bestaetigen-bruch-der-waffenruhe-faz-19226976.html
[5] https://en.wikipedia.org/wiki/Hamas#Military_wing
[6] https://www.timesofisrael.com/for-years-netanyahu-propped-up-hamas-now-its-blown-up-in-our-faces/
[7] https://edition.cnn.com/2023/12/11/middleeast/qatar-hamas-funds-israel-backing-intl/index.html
[8] http://www.heise.de/tp/artikel/49/49249/2.html

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