Im Moment sieht es vor allem so aus, als wenn die Zahl der gefangen genommenen Russen steigt. Geordneten russischen Widerstand scheint es derzeit kaum zu geben. Man könnte wohl eher von einem fließenden Übergang zur Desertion sprechen.
Ich habe mir von Oberst Reisner erklären lassen, dass solche schnellen, überraschenden Vorstöße genau die Situationen sind, wo ein Angreifer i.d.R. weit geringere Verluste als der überrumpelte Verteidiger hat, sonst ist es eher andersherum. Der schnelle Forstschritt der Ukrainer ist derzeit wohl vor allem dem Umstand geschuldet, dass sich den ukrainischen Eliteverbände bisher nur Wehrpflichtige der Territorialverteidigung und leicht bewaffnete FSB-Milizen entgegenstellen - wenn überhaupt. Aber ich bezweifle, dass ausgerechnet aus den kampferprobten ukrainischen Sturmtruppen, die die Offensive an der Kursk-Front vortragen, jetzt viele desertieren werden.
Wenn ich die Mimik und Körpersprache Putins richtig deute, dann muss sich vor allem die militärische Führung in Russland Sorgen um ihre Zukunft machen. Es bleibt völlig unbegreiflich, wie die Ukraine einen solchen Großverband an der Grenze zusammenziehen konnte, ohne russische Gegenmaßnahmen auszulösen. Haben die Russen das nicht bemerkt oder haben sie es nicht ernst genommen? Beides würde kein gutes Licht auf die Armeeführung werfen.
So lange man den Plan der Ukrainer nicht kennt, wäre ich mit Bewertungen wie "wahnwitzig" vorsichtig.
Vielleicht geht es schon um Faustpfänder für kommende Verhandlungen? Einstweilen bleibt Russland gar nichts anderes übrig, als einige seiner wertvollsten, weil kampfstärksten und schnell verlegbaren, Verbände in eine mutmaßlich verlustreiche und chaotische Abwehrschlacht ohne vorbereitete Stellungen zu schicken. Vielleicht geht es der Ukraine auch nur darum, ihren im Rückwärtsgang befindlichen Verbänden im Donbass eine Atempause zu verschaffen?
Die nächsten Tage werden Klarheit bringen, worum es bei dem Vorstoß wirklich geht.