Strategische Geduld

Einem großen Teil der Linken fiel nichts Dümmeres ein, als Merkel zu verteidigen, statt mit der Parole "Alle müssen weg" deutlich zu machen, dass keiner der sogenannten Repräsentanten der Macht es wert ist, verteidigt zu werden.

'Alle müssen weg' erinnert mich an die Parole in Argentinien, 'que se vayan todos', die wörtliche Übersetzung. Gibt es einen dümmeren Slogan? Effizienz halber sollte man verlangen, nicht nur die Politiker, sondern auch die ganze Bevölkerung weg zu machen, denn sonst werden ja gleich Ersatzidioten gewählt. Wer will der deutsche Macri werden?
Das Bewusstsein in den Köpfen ist zwar nicht unveränderlich, ändert sich aber sehr träge, das ist auch der Grund, warum Revolutionen regelmässig alte Miseren reproduzieren. Das grosse Köpferollen bringt selten etwas, die Bedingungen für den Aufstieg der Geköpften haben sich durch ihren Fall nicht geändert, also wachsen der Hydra neue Köpfe. Das politische Mäntelchen ändert sich vielleicht, die Inhalte bleiben weitgehend die selben. (Das ist nicht nur im syrischen Bürgerkrieg so, wo die gleichen Leute immer mal wieder unter neuem Banner ihren Dschihadismus ausleben.)
Das spricht nicht gegen den erzwungenen Abgang Einzelner, deren individuelle Idiosynkrasien besonders schädlich sein mögen. Man muss aber auch genau hinschauen, wie das politische Klima ist, wem mit dem Schassen eines Akteurs geholfen wird. Zurzeit tendiert alles nach Rechts, die Wahrscheinlichkeit ist beträchtlich, dass ein Auswechseln der Chefetage diejenige Generation an die Macht bringt, die die neoliberalen Werte besonders gut assimiliert hat, jene, deren politische Sozialisation in die delirialen Neunziger fiel. Diese sollte man auslassen, und erst die skeptischen Nuller ranlassen, die im Moment aber noch in den politischen Startlöchern sitzen. Die englische Entwicklung zeigt eine Überbrückungstaktik, bloss gibt es in Deutschland keinen Corbyn.