Zu der den Artikel durchziehenden These "Wenn mehr Diplomatie ist, dann gibt es weniger Krieg" ist auf dem Münchner Ostermarsch ein interessantes Flugblatt verteilt worden, aus dem ich hier zitieren möchte:
Was ist Frieden?
Betrachtet man die Geschichte der – sagen wir einmal – letzten zwei hundert Jahre, so kann man zum Schluss kommen:
Frieden, das sind die Zeiten, in denen Kriegsgründe geschaffen werden.
Klingt sarkastisch. Vielleicht fragt ihr jetzt irritiert: Soll uns das denn davon abhalten, für den Frieden einzutreten, Verhandlungen zu fordern? Klar, Krieg ist furchtbar, und seine Beendigung zu fordern deshalb nie verkehrt. Nur sollte man darauf achten, in der Argumentation nicht zu kurz zu greifen. Wer bloß ganz allgemein Verhandlungen als die bessere Alternative benennt, verpasst das Entscheidende. Sehen wir uns einmal an, worüber unter Außenpolitikern verhandelt wird. Da drängt sich die Antwort auf: über Kriegsgründe! Denn es ist doch auffällig:
• Jedem Krieg gehen Verhandlungen voraus.
• Jeder Krieg wird durch Verhandlungen beendet
• Bei allen Verhandlungen steht die militärische Stärke und Position der Verhandlungspartner – zumindest als der redensartliche Elefant – im Raum.
• Während des Kriegs ist es üblich, militärische Ziele so zu bestimmen, dass sie einen möglichst guten Ausgangspunkt für eventuelle Verhandlungen bieten.Friedliche Verhandlungen und kriegerische Feldzüge sind also engstens miteinander verzahnt. Die entscheidende Frage ist also: Was sind die Gründe, die die Staaten ständig zueinander in Gegnerschaft bringen, so dass sie immer wieder streiten, zunächst in Verhandlungen und vor internationalen Institutionen, aber am Ende auch auf den Kriegsschauplätzen? Geht es um die berühmten “Werte”? Nun ja, mit Blick darauf, wie selektiv dieses Argument gebraucht wird, glauben wohl nur wenige wirklich ganz fest daran – und doch greifen fast alle gern darauf zurück, wenn es darum geht, die eigene Parteinahme zu begründen. Deutlich plausibler ist da schon der Hinweis auf wirtschaftliche Interessen, auch wenn mancher sich scheut, das direkt auszusprechen.
Denn es ist die Wirtschaft, durch die die Staaten untereinander in Abhängigkeiten geraten: Sie benötigen und benutzen sich wechselseitig als Rohstofflieferanten, Absatzmärkte und Arbeitskräftereservoir und das führt unweigerlich zu Konflikten. Freilich ist das nicht so zu verstehen, dass jeder Staat, der sich irgendwie von einem anderen wirtschaftlich benachteiligt fühlt, gleich zu den Waffen greift. Da befände sich längst jedes Land im Krieg mit jedem anderen. Vielmehr wird erst einmal „friedlich schiedlich“ um möglichst günstige Zugriffsbedingungen auf Reichtum und Ressourcen der anderen Nationen gefeilscht. Alle Staaten treten als Betreuer ihres jeweiligen nationalen Kapitalstandorts auf, und werden so zu Konkurrenten am kapitalistischen Weltmarkt, der inzwischen – nach dem Abdanken des sozialistischen Blocks – tatsächlich „global“ geworden ist. Der Ostblock versuchte, sich dem zu entziehen und wurde totgerüstet. Jetzt sind alle Staaten kapitalistisch verfasst und nehmen an der Weltmarktkonkurrenz so gut sie können teil, um nicht zum Verlierer zu werden, was Konsequenzen hätte bis hin zum Absturz als „failed state“. In dieser Konkurrenz wird vor allem die Stärke als Wirtschaftsstandort – aber auch als Militärmacht! – in Anschlag gebracht. Da spürt jeder Staat schnell die Begrenztheit seiner eigenen Möglichkeiten und versucht, sich mit anderen zu Bündnissen zusammen zu schließen. Das Ergebnis ist bekannt: Die ganze Welt teilt sich zunehmend in „Blöcke“ auf, die gegeneinander „geostrategische“ Interessen verfolgen.
Was ist also der Grund für diese ständig kriegsträchtige Situation? Es ist die kapitalistische Gesellschaftsordnung, die zwangsläufig und gesetzmäßig zu diesem Zustand führt. Fazit:Wer den Kapitalismus nicht kritisieren will, der sollte vom Frieden schweigen.
Die besagten "geostrategischen" Ziele und Erwägungen gehen bei den Politikern sowohl den Verhandlungen wie auch den militärischen Beschlüssen voraus, und es ist ebenfalls immer aus diesen Zielen abgeleitet, ob die das eine oder das andere gerade für zweckmäßiger erachten. Der bloße Ruf nach Verhandlungen abstrahiert von den tatsächlich ständig in der Politik lauernden Kriegsbereitschaft. Um beim Artikel zu bleiben: zu Kennedy's Zeiten haben die USA eben das Kräfteverhältnis so eingeschätzt, dass sie auf Verhandlungen gesetzt haben. Das hat sich, so ist zu befürchten, geändert.
Fazit: bitte keine Illusionen über die rolle von Krieg und Frieden in unserer kapitalistischen Welt verbreiten!
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (06.04.2024 19:14).