notenom schrieb am 18.12.2023 18:17:
Alles richtig. Allerdings wird eines oft übersehen. Der Angestellte/Arbeiter muss sich für den Arbeitgeber "rechnen". Und da reicht die Palette eben von echter Ausbeutung (sprich der Arbeitgeber profitiert übermäßig) bis hin zu "Mindestlohn gerade noch kostendeckend".
Das ist eine falsche Interpretation der "Wirtschaftlichkeit des Unternehmens". Ich drehe das um: die Wirtschaftlichkeit ist Chefsache. Wenn die gesamte Wirtschaftlichkeit des Unternehmens darauf basiert, dass der Chef staatlich geförderte Mindestlöhne zahlen kann, dann ist das im BESTEN Falle ein schlechter Chef, im WAHRSCHEINLICHSTEN Falle aber lässt er sich von der Allgemeinheit durchbringen.
Solche Geschäftsmodelle sollten von der Allgemeinheit nicht unterstützt werden.
Letzteres gilt zum Beispiel oft für eine Friseurmeisterin, die eine Angestellte einstellen will, aber auch für viele Gastrobetriebe (da gibt es natürlich solche und solche). Auch eine kleinere Boutique muss mit spitzer Feder rechnen, ob sie sich eine zusätzliche Verkäuferin leisten kann oder nicht.
Ich wiederhole mich ungern: staatlich geförderte Geschäftsmodelle auf Mindestlohnbasis sind nichts, was die Gesellschaft unterstützen muss. Im nahe gelegenen Ulm gibt's in einer geschäftigen Straße auf weniger als einen Kilometer Strecke nicht weniger als drei Barbiersalons. Auch in meiner Kleinstadt gibt's in der Innenstadt (500m Radius) ähnlich viele Friseursalons, vier (!) Apotheken, zwei Optiker und drei Shisha-Bars. Drei Döner- und Pizzabuden. Also ich würde von "Marktsättigung" sprechen, wenn keiner davon sich allein halten könnte. Merkt man auch in den ständig wechselnden Pächtern: in einem nahe gelegenen Restaurant hat in 5 Jahren dreimal der Pächter gewechselt.
Dafür, dass immer Haare geschnitten werden und selbst ein Männerhaarschnitt ohne Waschen inzwischen 15 Euro in 10 Minuten einbringt und Frauen für eine Stunde "Kopfarbeit" auch inzwischen dreistellige Beträge dalassen müssen, jammern Friseurläden auffällig viel. Nehmen wir mal einen zu 75% ausgelasteten Friseursalon daher und rechnen mit 20 Euro pro Männerhaarschnitt in 15 Minuten und 100 Euro pro Frauenfrisur in einer Stunde, dann komme ich auf einen mittleren Umsatz von 0,75 x (80+100)/2 = 67,5 Euro Umsatz in der Stunde. Die Friseurfachkraft auf Mindestlohnbasis (13,60 Euro brutto) kostet anteilig ohne Energie und Pachtkosten ca. 16,46 Euro (Arbeitgeberanteil 21% = Brutto x 1,21).
Jetzt lass uns mal den Friseurladen mit 3 Angestellten auf einer Fläche von 100qm laufen, z.B. für die Stadt Regensburg. 2019 fielen da pro QM 20,- Euro Pacht (kalt) in bester Lage an. Energiekosten lass ich mal außen vor. Bei 100qm kommen da also monatlich 2000,- Euro Pachtkosten zusammen - bei einem 168 Arbeitsstunden sind das je Stunde anteilig 11,90 Euro. Auf die drei Angestellten runtergebrochen sind das dann also noch 4 Euro je Angestellte - aus den rund 16,46 Euro werden also rund 20,50 Euro. Dazu kommen noch Strom, Wasser und Heizung sowie Verbrauchsmaterial - und wir landen am Ende bei vielleicht 30 bis 35 Euro Unkosten je Angestellte.
Pro Monat macht der Laden Umsatz von:
3 Angestellte x 67,5 Euro x 168h = 34.020 Euro.
Demgegenüber stehen Kosten von:
3 Angestellte x 35 Euro x 168h = 17.640 Euro.
Differenz: 16.380 Euro vor Steuer
Wenn dann noch die Angestellten per Fördermittel vom Staat subventioniert werden, die Kosten also auch noch für's Personal gedrückt werden, könnte aber auch 'ne Differenz von 20.000 Euro übrig bleiben. Also wo liegt mein Rechenfehler? Zumal ich ja davon ausgehe, dass nur eine dreiviertel Stunde je Stunde umsatzwirksam gearbeitet wird je Angestellte, also auch mal Leerlauf drin ist, in der Haare gefegt und das Inventar aufgefüllt wird.
Also ich seh' da durchaus Spielraum, je Angestellte einen Lohn von 18,- Euro zu bezahlen (x 1,21 = 21,78 Euro). Das sind formal 5 Euro Mehrkosten, aber weder Pacht noch Material noch Energie sind höher. Aus 35,- Euro werden dann eben 40,- Euro, da bleiben immernoch knapp 10.000 Euro jeden Monat nach Abzug der Unkosten und Vorsteuer übrig.
Im übrigen müssten Mindestlohn (und Bürgergeld) stärker regional angepasst werden. In München kostet die Miete für eine (neu vermietete) Dreizimmerwohnung mindestens 1000 Euro mehr als in Görlitz, der Mindestlohn ist aber derselbe. Auch die Lebenshaltungskosten sind in München natürlich viel höher.
Abgelehnt. Damit zementiert man auf Dauer das Ungleichgewicht in den Regionen und sorgt für noch mehr Abzug. Gerade in Görlitz gibt's faktisch kaum Arbeit, die meisten Menschen sind zum Pendeln verdonnert. In München dagegen kann man eigentlich auf's Auto verzichten und spart damit auch rund zwei Monatsgehälter auf's Jahr gerechnet ein, wenn man mit den Öffis fahren würde.
Sinnvoller wäre, in München durch kommunalen Wohnungsbau die Wohnungsknappheit zu bekämpfen und dadurch mehr bezahlbare Wohnungen anbieten zu können. Weil Geld nicht aus dem Nichts geschöpft werden kann, sollten Unternehmer ihrer sozialen Verpflichtungen erinnert werden und entsprechend beteiligt werden am kommunalen Wohnungsbau. Als Zuckerl wären Steuersenkungen drin, wenn sie als stille Investoren ohne Gewinnbeteiligung den Wohnungsbau unterstützen.
Alternativ: Wohnungsbaugenossenschaften wie nach dem Krieg: Mieter sind Miteigentümer.
Ansetzen könnte man aber auch steuerlich: Mwst. bei Waren des täglichen Gebrauchs runter, dafür bei Luxuswaren rauf. Denn Mwst. zahlen nun mal auch Mindestlöhner und Bürgergeldempfänger, und bei ihnen tut diese viel mehr weh.
D'accord.
Wobei wir uns gern über "Luxus" unterhalten müssen. In einer Stadt ist ein PKW eher "Luxus" (weil Öffis) als auf dem Land.