Nach der Entfernung einer falschen Textpassage aus dem Artikel sind
hier die verbleibenden Anmerkungen zum Text. (Da der Artikel ausgiebige
Kritik an meiner Position übt, halte ich dies für notwendig.)
Zur Frage, ob Journalisten mitdiskutieren sollten, erklärt
sicherlich der zweite Teil meines Artikels zur BPjS-Tagung einiges.
Abgesehen davon haben Vertreter der Presse sicherlich besonders bei
diesem Thema ein Mitspracherecht, da sie ja selbst von Indizierungen
und Verboten betroffen sind.
Ich halte eine offene Debatte für sinnvoll und notwendig und werde
keinen Fragen aus dem Weg gehen. Allerdings sollten es mir meine
Kollegen nicht zu einfach machen, indem sie schlecht recherchieren ;-).
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Es ist sicherlich gut für ein Magazin wie Telepolis, bei einem so
brisanten Thema eine pluralistische Sicht zu präsentieren.
Andererseits argumentiert der Autor wie auch viele der
Tagungsteilnehmer nicht mit Fakten, sondern mit moralischer
Entrüstung, und er versucht, diese Entrüstung auch beim Leser
zu wecken, um eine Zensur zu legitimieren. Ich werde dennoch im
folgenden versuchen, mich der Problematik rational zu nähern:
"Solche Sachen gehören nicht in Kinderhände."
[...] "Auch wenn die Wirkungsforschung immer noch keine
eindeutigen Ergebnisse vorliegen kann, geht man bei der
Bundesprüfstelle in den Entscheidungen von einer begründeten
Wirkungsvermutung aus."
Wenn aber die Wirkungsforschung nicht Begründung dieser Vermutung
ist, kann es sich nur um das moralische Empfinden der
Entscheidungsträger innerhalb der BPjS handeln. Ich halte es
für höchst problematisch, dass hier die Moralvorstellungen
einer - teilweise extrem konservativen - Minderheit der Mehrheit mit
Gewalt übergestülpt werden, ohne dass eine tatsächliche
öffentliche Debatte stattfindet, ohne dass diese
Moralvorstellungen durch Forschung begründet wären. Ich
denke, dies ist auch nicht im Sinne des Grundgesetzes, das einen Schutz
der Jugend und nicht eine verbindliche Moralverordnungsstelle wie die
BPjS vorschreibt.
Wobei wir hier bei Computerspielen natürlich in erster Linie nicht
von Spielen wie dem Nazi-Huhn reden, denn das ist es ja nicht, was die
Kids zocken wollen; sie sind davon in der Regel genauso angeekelt wie
andere auch (vielleicht zu einem gewissen Grade auch amüsiert von
der Dummheit der Nazis, die dem Grundsatz folgen "Der Holocaust
hat gar nicht stattgefunden, er war gar nicht so schlimm, und ausserdem
waren die Juden selber schuld").
In erster Linie reden wir von indizierten 3D-Shootern à la Quake
& früher Wolfenstein (in letzterem schießt man im
übrigen auf Nazis, die im Spiel vorkommenden Hakenkreuze sind
eindeutig als Feindespropaganda identifizierbar). Games wie der
Anti-Türken-Test und das Nazi-Hühnchen dienen als Vorwand, um
eine hinreichende moralische Entrüstung zu fabrizieren, die dann
auch auf andere Spiele übertragen werden kann.
"Besonders durch das Internet haben Kinder und Jugendliche einen
schnelleren und unkomplizierteren Zugang zu allen Inhalten. Deshalb ist
ein schlagkräftiger Jugendschutz unabdingbar."
Zunächst einmal muss gerade angesichts der neuen Möglichkeit
des Internet aufgrund empirischer Forschung erneut geklärt werden,
welche Inhalte überhaupt als gefährdend einzustufen sind.
Sollte es tatsächlich Inhalte geben, die für Jugendliche
gefährlich und für Erwachsene ungefährlich sind, so ist
in diesen Fällen mit den existierenden Rechtsmitteln eine
hinreichend sichere (am besten staatlich organisierte)
Altersprüfung durchzusetzen.
"Gerade die aktuellen Computerspiele vermischen Fiktion und
Wirklichkeit"
Diese Behauptung entbehrt jeglicher Begründung, das kann man
bestenfalls noch von historischen Kriegssimulationen behaupten, wobei
aber auch hier der Kontext der spielerbestimmten Fiktion eindeutig ist.
Die Behauptung wäre zutreffend im Falle von Spielen, die eine
reale Handlung vortäuschen oder Bezug nehmen auf tatsächliche
Ereignisse und Sachverhalte. Der "Anti-Türken-Test" ist
ein (uraltes und extrem simples) Beispiel.
"sodass Kinder und Jugendliche in diesen Szenarien immer
öfter in die Rolle des Tötenden gedrängt werden."
Gedrängt wird überhaupt niemand.
"Aus den Spielen lernen sie nur eines: 'Menschen auf
unterschiedliche Weise zu töten.'"
Unsinn, mit den Fantasiewaffen von Quake & Co. lernt niemand
töten.
"Dennoch waren sich die Teilnehmenden einig, dass der beste
Medienschutz immer noch eine umfassende Medienkompetenz ist."
Klingt ja nett, aber wie wird das in der Praxis umgesetzt, insbesondere
wenn das Propagandamaterial der Nazis ja kriminalisiert und damit eine
Diskussion unmöglich gemacht wird? Das ist die eigentliche Gefahr,
dass Jugendliche *unvorbereitet* auf Nazi-Propganda stossen. Und diese
Gefahr ist besonders gross, wenn Spiele, Musik, Filme und Bücher
wie "Geheimgesellschaften des 20. Jahrhunderts" oder
"Geheimakte Gestapo Müller" ohne näheren
Hintergrund verboten werden oder in einer Liste wie dem BPjS-Index
auftreten. Gerade dadurch wird dieses Material erst interessant, und
gleichzeitig wird eine Diskussion z.B. im Schulunterricht
unmöglich gemacht.
Das Nazi-Moorhuhn gehört in die Schule, als Beispiel für
moderne Auswüchse der Nazi-Ideologie. Es macht diese
Strömungen auf eindrücklichere Weise lächerlich als es
100 Demonstrationen könnten.
"Zwar kann jedermann mittels eines Editors Veränderungen an
dem ursprünglichen Moorhuhnspiel vornehmen, aber bei
Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhass muss ein Riegel
vorgeschoben werden."
Über die technische Implementierung dieses "Riegels"
schweigt der Autor wohlweislich. Hier geht es nämlich auch um den
Informationsraum von Erwachsenen. Wie ich in meinem Artikel schreibe,
kann so ein Spiel selbst bei Erfolg einer Ausrottung jederzeit neu
produziert werden. Um die Verbreitung zu kontrollieren, müsste man
Anonymität und Verschlüsselung verbieten, FTP-Server und
Freespace-Provider dichtmachen, E-Mail und Web-Verkehr überwachen.
Für jeden Nutzer einen Kontrolleur, der die Einhaltung der
staatlich festgelegten moralischen Normen festlegt; nicht nur beim
Moorhuhn, auch bei Quake, MP3, Warez, Pornos, Meinungen.
"Solche Darstellungen können auch nicht mehr unter den
Deckmantel der Meinungsfreiheit fallen, weil sie eindeutig Stellung
beziehen"
Welch beeindruckende Logik. Wer eindeutig Stellung bezieht, hat keine
Meinung mehr. Ich würde beim Moorhuhn auch eher von Informations-
als von Meinungsfreiheit sprechen, ganz einfach deshalb, weil der Patch
kaum eine ausformulierte Meinung vermittelt. Bei Meinungsfreiheit geht
es aber gerade darum, unpopuläre Ansichten zu schützen -
populäre Meinungen brauchen keine Meinungsfreiheit.
"und die Ideologie der Judenpogrome weiterverbreiten."
Es gibt in diesem Spielepatch gar keine ausformulierte Ideologie, was
eine Diskussion und Widerlegung besonders einfach macht. Wer vom
Nazi-Moorhuhn begeistert ist, ist bereits ein Nazi, oder, was fast noch
schlimmer ist, er hat im Schulunterricht nie von den Nazis gehört.
"Ganz abgesehen davon, dass Spiele mit NS-Kennzeichen schon
strafrechtlich relevant sind, hat die Bundesprüfstelle für
jugendgefährdende Schriften diese Version ebenfalls in die Liste
jugendgefährdender Spiele aufgenommen"
Welch beeindruckende intellektuelle Leistung bei einem Spiel, das nie
legal vertrieben wurde. Das einzige Signal, das damit gesetzt wird, ist
"Hey Kids, das ist verboten, das ist interessant".
"Aber mit einer solchen Frage ist nur ein Teil einer
möglichen Wirkung angesprochen, denn:"
Und dann folgen keine Wirkungen, sondern Meinungen (ist es denn so
schwierig, ein logisch konsistentes Argument zu formulieren?), bis auf:
"besonders Kinder und Jugendliche mit rechtsextremer Gesinnung
finden durch solche Spiele möglicherweise eine Bestätigung
ihrer noch nicht gefestigten Ideologie."
Diese finden sie dann, wenn solche Spiele durch Verbote interessant
gemacht und nicht diskutiert werden.
"Wer ein solches Spiel freigeben will, fördert
willkürlich die Akzeptanz der Inhalte."
Das ist eine gemeine und böswillige Unterstellung.
"Normen und Werte einer Gesellschaft zu vermitteln, ist ein
erzieherischer Auftrag, dem sich auch der Gesetzgeber verpflichtet
fühlt."
In erster Linie ist es seine Aufgabe, negative Wirkungen von Kindern
und Jugendlichen fernzuhalten. Diese Aufgabe erfüllt er nicht
besonders gut, wenn er auf der einen Seite Tabakwerbung zulässt
und auf der anderen Seite harmlose Ballerspiele oder Nackedei-Bildchen
mit aller Härte verfolgt.
"Es muss deutlich sein, wem der Jugendschutz gilt: Kindern und
Jugendlichen unter 18 Jahren, denen es durch eine Indizierung erschwert
wird, an bedenkliches Material zu gelangen."
Das ist, wie auf der Tagung auch von einem sebsternannten
Jugendschützer festgestellt wurde, eine Illusion.
"Ein Spiel auf dem Index bedeutet nicht, dass es nicht mehr
verkauft werden darf, es darf lediglich nicht mehr öffentlich
dafür geworben werden oder in Regalen ausgestellt sein. Dies mit
Zensur auf eine Stufe zu stellen, ist daher falsch."
Das hat sogar das Bundesverfassungsgericht in seiner
Mutzenbacher-Entscheidung 1990 getan, als es von einer Nachzensur
gesprochen hat. Erst schreiben Sie, dass Jugendliche die Information
nicht mehr bekommen können, dann schreiben Sie, dass es sich nicht
um Zensur handle. Genau das ist aber die Wirkung einer Nachzensur. Die
Wiederkäung der BPjS-PR, es handle sich nicht um Zensur,
lässt nicht unbedingt eine kritische Distanz erkennen.
"Eine unsachliche Argumentation der Thematik wie in den Artikel
Computer sind Waffen hilft an dieser Stelle nicht weiter."
Ich überlasse es dem geneigten Leser zu beurteilen, wer hier
unsachlich ist.
"Es ist auch eine ganz andere Logik, wenn man Hakenkreuze nach dem
Strafgesetzbuch ( StGB § 86 und 86a) verfolgt, selbst wenn sich
solche in einer Grafiksammlung wie Corel Draw befinden."
Hier rechtfertigt der Autor sogar die Beschlagnahme eines Malprogramms,
das zum Beispiel von Jugendlichen für die Herstellung von Collagen
im Geschichtsunterricht verwendet werden kann. Statt dessen möchte
er die Symbole am liebsten "aus dem Auge, aus dem Sinn"
verbannen. Durch diese Vermeidung einer aktiven Stellungnahme werden
sie erst interessant und faszinierend, sie können so den gleichen
Einfluss ausüben wie vor 60 Jahren.
"Auch dem Autor sollte die Meinung reichen, dass es Spielinhalte
gibt, die sich von selbst verbieten."
Nichts verbietet sich von selbst, es bedarf dazu immer einer
Institution.
"Für solche jugendschützerischen Maßnahmen wird
man einen breiten gesellschaftlichen Konsens finden."
Dieser wird nur vorgegaukelt, es findet ja gar keine Diskussion statt.
"Nicht immer sind eindeutige Wirkungsvoraussagen erforderlich, um
die schädliche Wirkung von verunglimpfenden Inhalten zu
bescheinigen."
Doch, ansonsten ist der Weg frei für Willkürentscheidungen,
die gerade, wenn es um Zensur geht, brandgefährlich sind, wie die
Geschichte zeigt. "BRAVO ist Schmutz, das spricht für
sich."
"ob solche detaillierte Darstellungen von Leiden und
Schmerzen"
Das ist in der Regel unzutreffend. Wie ich in meinem Artikel
erläutere, stehen die Gewaltdarstellungen in der Regel in einem
"Action"-Kontext, nicht in einem sadistischen
Quäl-Kontext. Bedenklich sind Spielsituationen, in denen das Opfer
getroffen am Boden liegt und zur Meisterung der Situation den bereits
getroffenen Feind beseitigen muss.
"Erschreckend war die Meldung, dass nach Angaben der befragten
Kinder (280) zwei Drittel der Eltern die Computerspiele ihrer Kinder
nicht kennen."
Das dürfte kaum jemanden überraschen, der sich mit der
Thematik schon befasst hat.
"Nach einer sicher umstrittenen Studie stellten die
Wissenschaftler bei manchen Computer-Kids eine starke emotionale
Abstumpfung fest."
Falsch, die emotionale Abstumpfung war nicht "stark". Weitere
Kommentare zur Studie in meinem Artikel.
"Leider war auf der Jahrestagung kein Raum für eine
Diskussion vorhanden"
Dieser wäre am zweiten Tagungstag durchaus gegeben gewesen.
Außer mir hat jedoch kaum jemand das Wort ergriffen.
"Unter anderem fand man es merkwürdig, Kinder nach ihrer
Bindung an das Elternhaus zu befragen."
Gerade das war einer der vernünftigen Ansätze der Studie,
siehe z.B. www.violence.de/prescott/bulletin/article-d.html
"Tatsache bleibt, dass es sich um einen Strafbestand handelt, den
selbst viele
Erwachsene als Kavaliersdelikt ansehen. Doch wie sollen Kinder bei
diesen Vorbildern ein Unrechtsbewusstsein entwickeln?"
Gar nicht. Urheberrechtsverletzungen sind kein Unrecht. Gesetze sind
nicht Moral. (Ich bin nicht umsonst Mitbetreiber von
www.infoanarchy.org, einer Website, die sich gegen Urheberrechte und
Patente in ihrer bisherigen Form wendet.)
MfG
Erik Möller