Ich bin, je nach Definition der Jahrgänge, der erste der Zoomer oder der letzte der Millennials. Ich habe nicht die Arroganz zu behaupten meine Erfahrungen wären allgemein gültig ich gebe hier nur wieder was ich in den letzten Jahren erlebt habe und was Freunde und Kollegen so zu sagen hatten.
Ich komme ursprünglich aus der Chemie Branche, habe einige Jahre im Chempark und später bei anderen kleinen Chemie Firmen gearbeitet, stellt euch die klassischen Familienbetriebe vor, jedoch habe ich mich noch vor dem beginn des Chemie Studiums verabschiedet und bin in die IT gewechselt. Ich bin mir (leider) sicher das ist der Moment bei dem die ersten schon anfangen über die Faule Generation Z zu schäumen die ja alles hinwirft beim ersten Gegenwind. Hat nur rein gar nichts damit zu tun, ich habe mir lediglich zu Herzen genommen was ich selbst seit ich auf der Welt bin beobachten konnte und was mir meine (besonders die älteren) Kollegen immer wieder sagten: Diese Branche hat in Europa keine Zukunft.
Den kläglichen Zerfall des Chempark NRW konnte ich lang genug aus zweiter Hand und dann später selbst erleben. Ich kenne all die Geschichten wie es einmal war, die Stadt in der Stadt, unvorstellbare Horden an Menschen, Jobs, Jobs und noch mehr Jobs, Aufschwung und Wohlstand. Einmal erzählte mir ein damals kurz vor der Rente stehender Kollege unter Tränen(!) wie großartig es einst gewesen ist dort zu arbeiten. Alles wundervolle Geschichten, aber für mich war es immer nur das: Geschichten, Legenden und Erzählungen einer längst vergangenen Era die ich selbst nie erlebt habe und auch niemals erleben werde, ich kenne nur den langsamen aber trotzdem scheinbar unaufhaltbaren Verfall.
Das war der ausschlaggebende Grund für meinen wechsel in das IT Studium. Anfangs war ich begeistert, 60 Kollegen im Studiengang, Professoren die sich wirklich bemühten, Kurse und Arbeiten mit top Noten abgehandelt. Dann kam Corona.
Von heute auf morgen wurde der Betrieb de-facto eingestellt. Hochnotpeinlich für eine IT Universität das es jedem Professor einzeln überlassen wurde alternativen zu Präsenz-Vorlesungen und Arbeiten zu finden aber bei weitem kein Einzelfall. Jeder meiner Freunde die zu dem Zeitpunkt an anderen Universitäten studierten berichteten mir unabhängig des Studiengangs, von Chemie und Biologie bis hin zu Geodäsie und dem klassischen MaschBau, das exakt gleiche: Hoffnungslos überforderte Professoren und eine Verwaltung die sich, anders kann man es nicht ausdrücken solange man freundlich bleiben muss, einfach dummdreist weigerte den Umständen anzupassen.
Kurse wurden mit verweis auf Corona mal um ein Semester verschoben oder fanden halt in dem Kalenderjahr weder im Winter- noch im Sommersemester statt. Im Semester vor Corona (3. Semester) waren wir wenn ich mich richtig erinnere noch knapp 45 Leute +/- ein oder zwei die ich vielleicht vergessen habe. Am Ende des Bachelors waren wir 5 die das Studium abgeschlossen haben. Der Grund den ich am häufigsten hörte: Geld. Oder ausführlicher: Corona hat zu sehr verzögert, Bafög zahlt nicht mehr da Regelstudienzeit vorbei, ich finde hier keinen Job, meine Eltern können mich nicht unterstützen, Inflation etc.
An der Stelle gibt es auch einfach nichts mehr zu relativieren oder beschönigen: Wer es bis zum 4. Semester schafft der merkt nicht plötzlich "Oh das Studium ist nichts für mich da fang ich doch lieber nochmal bei Adam und Eva neu an" oder stellt fest "Ach ne das Studium ist doch zu schwer das schaff ich nicht", wer da abricht macht das aus vielen Gründen aber ganz sicher nicht freiwillig oder weil man sonst nichts zu tun hat.
Jetzt langsam stellen sich manche Leute ganz kleinlaut die Frage: Warte mal was war während Corona eigentlich mit den Studenten? Tja Leute kann ich euch sagen: Die haben reihenweise Kapituliert und die Schnauze fürs Leben aber gestrichen voll.
Die ach so tollen """Unbürokratischen Hilfen""" mit deren Ankündigungen man sich von allen Seiten überschlug waren in den meisten Fällen nicht mal heiße Luft. In meinem Jahrgang wurden mit jedem vergangenen Tag an dem nichts kam außer blöde Sprüche, wir haben das in unseren Diskussionen etwas unfreundlicher ausgedrückt aber Netiquette, das ganze nur noch als der blanke Hohn empfunden. Wir haben bei der Uni und unseren """tollen""" Bildungsministerien um Hilfe geschrien, regelrecht gebettelt, haben gewarnt was es für Auswirkungen haben würde die Studenten so zu ignorieren, letztendlich hat man sich für uns noch weniger interessiert als für Grundschulkinder.
Jetzt könnte ich noch viel weiter ausholen und darüber reden wie unmöglich es war und ist als Berufsanfänger einen Job zu bekommen (vor dem Bachelor hieß es da fehlt der Abschluss, nach dem Bachelor fehlte plötzlich die Berufserfahrung), die im vergleich zur Ausländischen Konkurrenz lächerlichen Gehälter und sonstigen Verhöhnungen (Zuschuss zum Jobticket als Benefit und der Obstkorb ganz besonders wichtig!1!!1 damit lockt und hält man die Fachkräfte 🤡), das Bafög Anträge bei Kollegen mehr als nur einmal ein volles Semester brauchten bis sie tatsächlich durch waren und man das Geld auf dem Konto hatte obwohl sich nichts geändert hatte an den Umständen, die Zinsen bei den ach so tollen KFW Studien Krediten die man ja aufnehmen sollte um das Studium zu finanzieren (unbürokratische Hilfe und so) nur noch explodieren, der absehbare Kollaps unseres Renten und Pflegesystems, usw aber dafür habe ich weder die Zeit, die Lust noch hat Telepolis den Platz für etwas mit dem man ganze Bücher füllen könnte.
Für diesen letzten Teil möge man mir verzeihen aber es wird jetzt polemisch denn ich stelle einfach mal ganz frech die Frage an euch: Wofür genau soll man hier als junger Mensch motiviert sein?
Das man in meinem Fall trotz top Abschluss und vorheriger Berufserfahrung bei einem kleinen Server Hoster plus meine Erfahrungen in der Chemiebranche im Durchschnitt kapp über 300 Bewerbungen pro Vorstellungsgespräch (nicht Jobangebot!) rausschicken muss?
Ein Gehalt von dem man sich absehbar niemals ein Eigenheim leisten können wird wenn man nicht aufs Land zieht wo weder Jobs noch Ärzte oder sonst irgendetwas ist?
Einen verschimmelten Obstkorb und Leitungswasser als Benefit?
Wohlstands-verwahrloste Politiker die einen den ganzen Tag mit ihrem Durchhalteparolen berieseln die unabhängig der Parteizugehörigkeit in ihrem Realitätsverlust nur noch getoppt werden von "Qu'ils mangent de la brioche"?
Das man seine eigenen Kinder vollkommen absehbar eines Tages in die gleichen maroden Schulen schicken darf die man selbst erlebt hat?
Und dann als krönenden Abschluss darf man seinen Lebensabend in Altersarmut verbringen, frei nach Volker Pispers, in einem Altersheim an ein Bett fixiert in der eigenen Sch**** langsam krepieren weil wir alles Pflegepersonal schon verbrannt haben und sich jede relevante Partei nicht traut endlich echte Jahrzehnte überfällige Reformen anzugehen?
Vorsicht hier wird es jetzt so richtig Polemisch: Das ist offenbar das beste zu dem Deutschland noch fähig ist.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (07.01.2025 20:33).