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  • kemmerich

mehr als 1000 Beiträge seit 11.02.2020

Ein alter Hut

Das Problem ist so alt wie jenes System, das den ganzen Zauber ermöglicht hat: der Kapitalismus. Er begann um 1760 mit den ersten mechanisierten Webstühlen in England, also mit Maschinen. Die sollten die Produktivität erhöhen, es also ermöglichen, mit weniger Kosten mehr herzustellen. Alsdann wurden die Maschinen immer weiter verfeinert und weiterentwickelt, d.h. es wurde stets in Technik investiert, um die Produktivität weiter steigern zu können. Die Mühle war in Gang gesetzt, es gab nur noch eine Richtung: weiter nach vorn. Stand heute: KI.

Von der "Spinning Jenny" bis zu Chat GPT in 250 Jahren - das nenne ich eine Erfolgsstory. Zumal der Kapitalismus den Wohlstand in der Breite massiv erhöht hat, auch wenn er die Klassenunterschiede nicht beseitigt hat, dafür taugt er weniger. Aber hey! - Als kleiner Angestellter im Jahr 2024 möchte ich auf gar keinen Fall mit Ludwig XIV. (1650) tauschen. Der hatte zwar einen Hermelinmantel, lebte ansonsten aber unter Bedingungen, die man heute als menschenunwürdig bezeichnen würde. Es stank gar fürchterlich in seinem Schloss. In meiner Wohnung nicht, hab' ja eine zeitgemäße Sanitärausstattung, dazu Zentralheizung, Kühlschrank, Waschmaschine, Fernseher, Computer, ein Smartphone und ein Auto. Und einiges andere mehr an Technik, die nur der Kapitalismus hervorbringen konnte. Und das Schöne: Ich kann's mir leisten, so wie viele andere auch. Standard.

Der Kapitalismus begann mit Maschinen, sie waren und sind zentral für das System. Daran hat sich nichts geändert, garnix. Maschinen sind aber totes Kapital, wenn sie nicht betrieben werden können. Man braucht also Energie - und zwar immer mehr davon, denn die Mühle dreht sich ja immer weiter; das nennen wir "Wachstum". Leider kann man auch nicht einfach sagen: "Stehe, stehe, denn wir haben deiner Gaben vollgemessen..." und es uns auf dem aktuell erreichten Niveau gemütlich machen. Dann kommt die Mühle zum Stillstand, die Investitionsketten reißen, und der ganze Laden kracht auf spektakuläre Art zusammen. Wenn wir z.B. sagen würden: "KI? Wat is dat denn für'n Scheiß? - Danke, brauchen wir nicht", kollabiert das System. Entweder wachsen oder sterben.

Die zum Betrieb der ersten Maschinen eingesetzte Energie war zunächst Wasserkraft, dann Dampfkraft. Kohlevorkommen wurden ausgebeutet, das segensreiche "schwarze Gold" wurde entdeckt, auf Teufel-komm-raus gefördert und verbrannt. Bis heute. Immer mehr. Ohne Sinn und Verstand? - Nein! Der Kapitalismus zielt darauf ab, die Produktivität zu erhöhen, wofür er Maschinen einsetzt, die Energie benötigen - und da ist Energieeffizienz natürlich ein ganz entscheidender Faktor! Tatsächlich gab es auch bei der Effizienz gewaltige Fortschritte; hätte es sie nicht gegeben, hätte es auch niemals Autos geben können. (Würde man Verbrennungsmotoren mit jenem Wirkungsgrad betreiben, den man vor 200 Jahren aus Kohle holte, wäre ein Auto ein einziges Kohlelager mit einer Reichweite von wenigen Kilometern).

Seit 1760 sind die Maschinen um Lichtjahre energieeffizienter geworden. Aber eben nur, um die Mühle weiterhin immer schneller laufen lassen zu können - was notwendig war, weil: entweder Wachstum oder Zusammenbruch. Die Effizienzsteigerungen haben also nicht den Umweltschutz befördert, sondern immer es immer mehr Menschen ermöglicht, öfters mal nach Mallorca fliegen, immer PS-stärkere Autos bewegen, monströs riesige TV-Geräte betreiben und jeden noch so belanglosen Quatsch als Megapixel-Foto über die Welt kotzen zu können.

Das ist der auf den im Artikel erwähnte Rebound-Effekt, der auf den im Artikel erwähnten Mr. Jevons zurückgeht. Dieser Effekt ist keine Nachlässigkeit, kein auf Gier und Verantwortlungslosigkeit beruhendes Phänomen - sondern schlicht ein Systemzwang. Wenn wir also Umweltschutz machen wollen - ganz einfach, weil das alternativlos ist - dann werden wir den Kapitalismus verlassen müssen.

im Klartext bedeutet das: Die segensreichen Maschinen dürfen nur noch sehr gezielt eingesetzt werden, und im Hinblick auf KI: Wir werden wohl wieder selber denken müssen, anstatt absurd große Datenmengen durch die entsprechenden Algorithmen zu jagen.

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