Kann mir eigentlich irgendjemand ein ernstzunehmendes Land in der Welt nennen, in dem es keinen Rassismus gibt? Wobei ich "Rassismus" schreiben müsste, da es oft oder sogar meist nicht gegen "Rassen", sondern gegen irgendwelche Menschen anderer Herkunft, anderen Glaubens oder anderen Aussehens geht (auch wenn es die eigene "Rasse" ist). Oft ist es sogar nur Hass zwischen Nachbarn.
Meine Negativliste, was mir so spontan einfällt, aus eigener Erfahrung oder angelesen oder vom Hörensagen:
- Bayern mögen Preußen nicht
- Preußen und der Rest Deutschlands mag Sachsen nicht
- Schwaben mag auch keiner
- Südtiroler wollen nicht Italiener genannt werden
- Norditaliener nennen Süditaliener "Nordafrikaner"
- Katalanen mögen Spanier nicht
- Spanier mögen Katalanen und Basken nicht
- Briten und Schotten und Iren sind sich nicht grün
- im Augenblick hassen Briten besonders Polen
- Polen mögen Russen und Deutsche nicht
- Frankreich mag englischsprachigen Einfluss nicht
- Deutsche sind in Frankreich auch nicht gerade beliebt
- Türken mögen Kurden nicht, Armenier auch nicht
- der ganze Nahe Osten mag sich gegenseitig nicht
- der ganze Nahe Osten mag keine Israelis
- im reichen Nahen Osten gelten Inder und Pakistanis als zweitklassig
- in Indien gelten Schwarzafrikaner als zweitklassig
- Israelis mögen keine Palästinenser, und keine Schwarzafrikaner
- Schwarzafrikaner mögen sich gegenseitig nicht (grausames Beispiel: Hutus / Tutsis)
- Weißafrikaner im Süden sind immer noch Rassisten
- Nordafrikaner mögen sich auch nicht (Nord- / Südsudan u.a.)
- in SO-Asien gelten Einwohner mit dunklem Teint als zweitklassig
- in Mittel- und Südamerika gelten Indigene als zweitklassig
- in Nordamerika stehen wir vor neuen, ungeheuren Rassenunruhen
- Rassismus ist trotz politischer Gegensteuerung in Nordamerika extrem stark ausgeprägt
- Australien, um mal den Pazifik abzudecken, ist ausgesprochen einwandererfeindlich
Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Meiner Meinung nach gibt es in jedem Land, das sich nicht völlig isoliert hat (wie Nordkorea etwa, aber bestimmt auch dort) rassistische Stereotype und offene Rassismen. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir "Westler" in vielen unserer Urlaubsländer auch nur auf Grund "positiver" rassistischer Stereotype geduldet/ertragen werden: "Wir" haben Geld, geben es auch gerne aus, haben keine Ahnung von den Preisen und sind insgesamt leichtgläubig. Sobald der gemeine westliche Tourist sich umdreht halten die Händler sich die Bäuche vor Lachen, oder die Angestellten im Hotel sprühen Gift und Galle, weil viele von uns denken, sich alles erlauben zu können, solange man Kunde oder Gast ist.
Mein Punkt ist: Deutschland ist nur ein rassistisches Land unter vielen, und ganz gewiss nicht das schlimmste. Wer, bitteschön, hat uns den Auftrag erteilt, besser und un-rassistischer zu sein als alle anderen Länder der Welt? Wer kann das verlangen, wer darf das verlangen? Das hehre Ziel sollte ganz klar weniger Rassismus sein, keine Frage. Aber: Geht jemand mit gutem Beispiel voran, oder sollen wir jetzt das gute Beispiel sein?
Und um mal einen anderen Aspekt einzuwerfen: Aus meiner soziologischen Halbbildung weiß ich, dass Menschen ganz allgemein dazu tendieren, Gruppen zu bilden, die sich voneinander abgrenzen wollen. Wobei jede Gruppe denkt, besser als die andere zu sein. Weiße gegen Schwarze gegen Asiaten, Katholiken gegen Protestanten gegen Russisch-Orthodoxe, Sunniten gegen Schiiten, Dorfbewohner gegen Stadtbewohner, Küstenbewohner gegen Flachlandbewohner gegen Gebirgler, Viehzüchter gegen Ackerbauern, Apple-User gegen Windows-User, Radfahrer gegen Autofahrer, FC Bayern Fans gegen St. Pauli Fans und so weiter und so fort. Diese Liste ließe sich sogar endlos verlängern. Der Punkt ist: Die Abgrenzung und Selbstüberhöhung ist offenbar in unser kulturelles Gedächtnis eingeschrieben und kann bestimmt nicht in ein paar Jahren oder Jahrzehnten wegerzogen oder ausgetrieben werden. Was eingedämmt werden kann und muss ist kriminelles und asoziales Verhalten, dessen Ursache häufig in dieser Abgrenzung liegt. Dazu fällt mir ein: "Das Leben und die Gesundheit des Menschen sind unantastbar", oder "Leben und leben lassen", oder noch einfacher, aber exakt auf den Punkt gebracht: "Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu". Wenn solche Dinge gruppenübergreifend akzeptiert und gelebt würden, könnten wir uns endlose Diskussionen sparen.