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  • Annando

mehr als 1000 Beiträge seit 01.10.2011

Strategische Kommunikation

So wird euphemistisch die eigene Information genannt, mit der die Desinformation des Gegners bekämpft wird.

Aber ist die eigene Information wirklich neutral? Ist sie unaufgeregt, sachlich, objektiv? Ist sie immer die blütenweiße saubere Info, während die andere immer die schmutzige ist? Die aus meiner Sicht miserable Qualität der Faktenchecker beispielsweise, die Teil unserer Bekämpfung von Desinformation darstellen, erschwert es mir, die Frage mit einem klaren "Ja" zu beantworten. Es besteht durchaus die Gefahr, dass man bei der Bekämpfung der Desinformation des Anderen selbst den Pfad der Objektivität verlässt. Nicht einmal aus böser Absicht heraus.

Gemäß einer Kommunikationstheorie ("First-Mover-Vorteil" / first mover advantage) glaubt der Mensch eher der ersten Information, die er zu einem Thema erhält. Alle weiteren Infos zu diesem Thema haben es schwerer, weil die Psyche diese Folgeinfos immer mit der Erstinfo vergleicht, ohne aber die Erstinfo wirklich zu verwerfen. Prinzip des ersten Eindrucks. Auch eine Studie der RAND Corporation(*1) zeigt, dass jemand eher die erste Information akzeptiert, die er zu einem Thema erhält und dieser Erstinformation den Vorzug gibt, wenn er nachfolgend mit hierzu widersprüchlichen Botschaften konfrontiert wird. Wer zuerst kommuniziert, "gewinnt nicht nur potentiell das Publikum für sich, sondern die Gegenseite stößt bei dem Versuch, eine Gegenbotschaft zu übermitteln, auch auf größeren Widerstand, da der erste Eindruck des Publikums bereits feststeht." (*2)

Kommunikationsstrategen sagen nun, es sei daher wenig erfolgsversprechend, Desinformation "nur" zu bekämpfen, nur zu versuchen, sie aus den Medien zu verdrängen, sobald sie dort auftaucht. Denn das ist lediglich eine Reaktion, eine Zweithandlung. Die Info ist schon da; jede weitere muss mit ihr konkurrieren. Besser sei es, "vor die Welle" zu kommen: Eigene Information muss zuerst platziert werden. Hiervon abweichende Information, abweichende Meinung oder Bewertung darf erst anschließend auftauchen, muss wie eine Reaktion aussehen, wie eine Antwort auf etwas, das als Tatsache zuvor in die Welt gesetzt wurde. Das erfordert eine Kontrolle über den Informationsfluss in soziale Medien. Nur so kann die erwünschte Dominanz der eigenen (Erst-)Informationen erreicht werden. Wenn das nicht geht, dann muss im letzten Schritt dem Zielpublikum den Zugang zu nicht kontrollierbaren Plattformen untersagt werden.

Im Englischen nennt man die reaktive Bekämpfung von Desinformation "debunk", also "entlarven, widerlegen, aufdecken." Neuerdings benutzen die Meister der strategischen Kommunikation für die aktive Variante der strategischen Kommunikation den - wie ich finde - sehr passenden, aber nicht gut ins Deutsche übersetzbaren Begriff "prebunk". Also sinngemäß "vorabwiderlegen" oder "zuvorentlarven".

Warum schließlich sollten wir davon ausgehen, dass bei diesem Prebunking alles vollständig sauber abläuft? Es ist ein Krieg der Information. Um das Ziel schneller Dominanz der eigenen "guten" Information zu erreichen, liegt es da nicht nahe, dass auch die gute Seite zu zumindest zweifelhaften Methoden greift? Astroturfing, vorgetäuschte Graswurzelbewegungen, Fake-Accounts, Vorabdiffamierung alternativer Information und Informationsquellen. Alles umstrittene Methoden - aber doch alles für den guten Zweck? Zur Erreichung schneller Dominanz der richtigen(?) Information.
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*1: https://www.rand.org/pubs/perspectives/PE198.html
*2: https://www.airuniversity.af.edu/Wild-Blue-Yonder/Articles/Article-Display/Article/3630158/winning-in-the-information-environment-recent-successes-in-combating-adversary/

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (09.09.2024 17:45).

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