Prof. Dr. Klaus Moegling schrieb am 18.06.2023 21:42:
Wenn sich Tendenzen in der internationalen Friedensbewegung durchsetzen, die sowohl die russische Invasion und den russischen Krieg verurteilen und militärische Maßnahmen zur Selbstverteidigung der Ukraine hiergegen unterstützen als auch gleichzeitig einen kritischen Blick auf die Fehler bzw. Interessen des Westens in Bezug auf die Entstehung des Kriegs in der Ukraine werfen, würden Sie dann ebenfalls ein Engagement in der Friedensbewegung ablehnen?
Nein, ganz und gar nicht. Wahrscheinlich ist es allerdings nicht, denn zur Zeit besteht der "kritische Blick" mehr oder weniger aus russischer Propaganda, wie das Beispiel Jeffrey Sachs zeigt. Alles, was der vorträgt, wird hier im Forum seit Monaten Punkt für Punkt als Lüge, Fehlinterpretation oder Übertreibung widerlegt. Aber an einem wirklich kritischen, dabei jedoch wahrheitsgemäßen Blick auf alle Beteiligten kann ja nun nichts auszusetzen sein.
Die Unterstützer der Ukraine werden hier zwar ununterbrochen als "Kriegstreiber" und ähnliches bezeichnet, aber auch wir wollen einen schnellen Frieden. Das glaube ich sagen zu dürfen, ich habe jedenfalls noch keinen einzigen Beitrag gelesen, der für irgendwas anderes plädieren würde. Es muß sich allerdings um einen wirklichen, gerechten Frieden handeln, denn nur der ist dauerhaft und nicht der Kern für den nächsten Konflikt. Ein "Frieden", der gewaltsame Gebietseroberungen legalisiert, mit zigtausenden Toten, zehntausenden ungesühnten Kriegsverbrechen, völlig zerstörten Städten und hunderttausenden Ukrainern, die einer brutalen Russifizierung, Vertreibung oder Schlimmerem ausgeliefert würden, ist kein Frieden, sondern "Russki Mir", und vollkommen unannehmbar.
Die Russen haben keinen Anspruch auf irgendeine ihrer Forderungen. Die Ukrainer dagegen beharren nur auf ihrem Recht. Die Russen haben kein Recht, eine "Sicherheitszone" / einen "Einflußbereich" auf fremdem Staatsgebiet, eine Demilitarisierung oder eine Mitsprache bei der Bündniswahl eines souveränen Nachbarstaats zu fordern. Von den Gebietsforderungen mal ganz zu schweigen. Eine Friedensbewegung, die "Kompromisse von beiden Seiten" fordert, erwartet effektiv, daß die Welt so etwas durch internationale Verträge zu geltendem Recht macht. Die Ukraine würde sich dann selbst ins Unrecht setzen, wenn sie zB versuchte, ihre eigenen Gebiete zurückzuerobern oder, weil die Russen sich erkennbar für die Eroberung der Restukraine rüsten, der NATO beizutreten. Was das für ein fatales Signal an andere Möchtegern-Großmächte senden würde, darf man auch nicht vergessen.
EDIT: Was der Friedensbewegung meiner Meinung nach fehlt, ist eine "Vision", die über den Ukrainekrieg hinausgeht, etwas, was zur Zeit unrealistisch erscheinen mag, dem aber jeder normale, vernünftige Mensch zustimmen würde. Meine persönliche Vorstellung wäre eine reformierte, demokratisierte UNO, ohne Privilegien für einzelne Mitglieder, die die Rolle einer "Weltpolizei" übernehmen würde. Derzeit gibt es eine einzelne verbliebene Supermacht (USA) mit ihren Verbündeten (NATO), die zuerst an ihre eigenen Interessen denken. Daß das nicht funktioniert, zeigt zB der Jemen-Krieg. Und der Aufstieg der nächsten aufstrebenden Macht (China) sorgt erkennbar für mehr Konflikt, nicht für weniger.
Paradoxerweise ist derzeit aus meiner Sicht ausgerechnet die vielgescholtene NATO das wirksamste Mittel, Kriege zu verhindern. Ich habe keinen Zweifel daran, daß ohne deren Mitgliedschaft die baltischen Staaten noch vor der Ukraine auf dem russischen Zettel gestanden hätten. Eine Koalition aus 30, jetzt 31 Staaten, mit einer Schnellen Eingreiftruppe, die gerade auf 300.000 Mann verstärkt wird, hat das verhindert. Umgekehrt glaube ich, daß ein faktischer Schutz nach Artikel 5, wie ihn auch Finnland und Schweden während ihres Beitritts erhalten haben, die Ukraine vor dem russischen Überfall bewahrt hätte. Ein solches Bündnis, aber ohne die faktische Vorherrschaft eines einzelnen Mitglieds, das wäre meine Idee, wie wir eine friedlichere Welt erreichen. Jedenfalls ist es realistischer als der sympathische, aber vollkommen naive Wunsch, daß wir doch einfach nur alle aufhören müßten, aufeinander zu schießen.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (19.06.2023 07:45).