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  • Wilko Fokken

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Re: Meine Güte...

VollAufDieZwölf schrieb am 13. September 2015 21:04

> ... Du hast ja vielleicht nicht mal so ganz unrecht mit Deiner
> Geisselung des Marxismus. Marxens Kalle wird im Allgemeinen gern für
> die Verbrechen seiner Adepten verantwortlich gemacht, das hängt wohl
> damit zusammen, dass er über die glasklare Diagnose hinaus, dass der
> Kapitalismus nicht dauerhaft funktionieren kann, sich bemüssigt
> fühlte, nun unbedingt noch ein revolutionäres Subjekt, nämlich die
> Arbeiterklasse, ins Spiel bringen musste, und dann noch als
> Totengräber. Diese Fehleinschätzung hat ganze Machtblöcke entstehen
> und wieder zerfallen lassen. Insofern hast Du Recht.

Hier muß ich die deutsche Sozialdemokratie lobend hervorheben; sie
hat sich im Unterschied zu den linken Fundis nicht nur an ihren
(utopischen) marxistischen Wahrheitsbesitz geklammert, sondern
zugleich die konkreten Erfahrungen der gesellschaftlichen Entwicklung
beachtet.

> Andererseits haben sich alle Marxschen Analysen des Kapitalismus, die
> jetzt nix mit der besonderen Rolle der Arbeiterklasse zu tun haben,
> als äußerst evident erwiesen.  

Ja. Der gesellschaftlich nicht eingehegte Kapitalismus läuft wie eine
ungeregelte Dampfmaschine nur in der [kurzen] Anlaufphase harmonisch;
läßt man ihn ungezügelt weiterrasen, zerstört er die Gesellschaft und
schließlich sich selbst.

Der wichtigste Regelungsbedarf des Kapitalismus betrifft auf der
einen Seite die Begrenzung der wirtschaftlichen oder finanziellen
Marktmacht, die an die Stelle der Marktleistung tritt, z.B. die
Verhinderung von Monopolstrukturen; auf der anderen Seite die soziale
Absicherung der Menschen, die aus dem kapitalistischen
Wirtschaftssystem zeitweise oder dauerhaft herausfallen.

Die Soziale Marktwirtschft verfolgt das Prinzip, den natürlichen
Wildwuchs des kapitalistischen Systems so einzuhegen, daß einerseits
der Wirtschaftserfolg von Unternehmen auf Marktleistung gegründet
bleibt und nicht auf wirtschaftlicher oder finanzieller Marktmacht
beruht; andererseits die sozialen Gesellschaftsbedingungen so
gestaltet werden, daß die Existenz auch des Schwachen  gesichert
bleibt, allerdings nur so weit, daß er das Interesse behält, seine
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wieder in den Markt einzubringen
und sich nicht unnötig in der "sozialen Hängematte" aufzuhalten.

Damit zielt die Soziale Marktwirtschaft auf die Chancengleichheit,
aber nicht auf die Gleichheit der Lebensbedingungen, aus der
Erkenntnis heraus, daß letztere zur allgemeinen Erschlaffung und
damit zur unnötigen Verarmung der Gesellschaft im allgemeinen und zur
zusätzlichen Verarmung der Schwachen führen würden.

Eine übermäßige Staatsverschuldung hat nicht notwendig etwas mit
Kapitalismus zu tun, ist aber geeignet, das Funktionieren des
Kapitalismus entarten zu lassen: "Hohe Verschuldung ist die
Achillesferse des Kapitalismus." (Nobelpreisträger James Tobin)

Im übrigen ist ein geregelter Markt zur Steuerung einer komplexen
Friedenswirtschaft durch nchts zu ersetzen. Nur unter extrem
schwankenden Wirtschaftsbedingungen wie in Kriegen kann u.U. eine
vereinfachte Güterversorgung durch eine Planwirtschaft effektiver
funktionieren als durch eine Marktwirtschaft.

Diese Überlegungen haben durchaus etwas mit der aktuellen
Flüchtlingskrise zu tun, denn die Flüchtlinge kommen vor allem aus
Gebieten, in denen die menschlichen Wirtschaftsbedingungen mißachtet
werden – auch aufgrund ideologischen Wahrheitsbesitzes.

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